Andasibe
Die Straße, die Antananrivo mit der zweitgrößten Stadt des
Landes, dem Hafen Toamasina-Tamatave an der Ostküste, verbindet, ist für malegassische Verhältnisse sehr stark befahren. Patrick meint,
daß das Autofahren nachts in Madagaskar zu gefährlich sei – mir
scheint, es ist vor allem gefährlich für die vielen Fußgänger und
Radfahrer, die ohne Licht am Straßenrand unterwegs sind. Im Dunkeln
ist es leider nicht möglich, alle Ortsschilder zu erkennen, also fehlen
in der GPS-Wegpunkte-Liste ein paar Dörfer. Endlich erreichen wir
Andasibe und das Hotel Feon'ny ala, eine riesige Anlage mit vielen
kleinen Hütten, die mehr oder weniger direkt im Regenwald
liegen. Unsere Hütte ist aus Holz und mit Palmblättern gedeckt. Das
Bad ist nur durch eine Gardine vom restlichen Zimmer
abgetrennt. Patrick instruiert uns, am nächsten Morgen für die
Dschungeltour früh aufzustehen, und wir fallen um gleich ins Bett.
Unsere Hütte im Feo'ny ala Hotel.
Gegen fünf Uhr dreißig morgens, wie von Patrick vorhergesagt, werde
ich durch ein jämmerliches Lautes Heulen geweckt: der Ruf des Indri,
der größten Lemurenart. Es hört sich an, als würden sie
direkt gegenüber von unserer Hütte sitzen, aber zu sehen ist nichts.
Tischkickern im Dschungel.
Patrick
hat einen Fahrer mit einen geländegängig aussehenden Nissan Pickup
organisiert, der uns morgens um halb acht am Hotel abholt. Patrick
sitzt hinten auf der Ladefläche (hinter einer Plane). Kurzer
Zwischenstop am Infozentrum des
Andasibe-Mantadia Nationalparks, wo wir Nestor, unseren Guide,
aufsammeln.
Lianen hängen kreuz und quer. Links im
Bild Nestor, unser Guide.
Wir fahren fast zwei Stunden lang auf einer engen,
holperigen Straße durch den Wald zum Mantadia Nationalpark. Unterwegs
nehmen wir ein paar einheimische Fußgänger mit, auf der Ladefläsche
ist ja genug Platz. Früher durfte man im Park zelten, das ist
inzwischen aber verboten. Am Ziel unserer Fahrt angekommen, sieht man
immerhin noch das Plumpsklo des früheren Campingplatzes (es darf auch
noch benutzt werden). Hier lassen wir das Auto stehen, der Fahrer
wartet auf uns, während wir im Dschungel verschwinden, Nestor voraus
und Patrick hinterher. Der Wald sieht wieder sehr urwaldig aus, mit
Lianen, Farnen, sogar Baumfarnen, Palmen... es gibt auch kleine Bäche,
die kreuz und quer durch den Wald fließen (oder täuscht das, es ist
nur ein Bach, und wir laufen kreuz und quer immer wieder drüber?). Nur
Lemuren sehen wir erst mal keine. Nestor hat ein großes Repertoire an
Lemuren-Lockrufen, Vogelstimmen und Froschquaken parat, und wenn er
nicht gerade irgendetwas malegassisches in seinen Bart murmelt,
schnalzt, pfeift oder grunzt er vor sich hin. Nach einer ganzen Weile
des Herumirrens findet Nestor schließlich ein paar Diadem-Sifakas
(
Propithecus diadema).
Diadem-Sifaka Propithecus diadema.
Die sehen ganz
hübsch aus und sind auch einigermaßen bereit, sich fotografieren zu
lassen. Die
black and white ruffed lemurs (
Varecia
variegata), die Nestor uns auch noch zeigen will, finden wir
leider nicht.
Mantella baroni (Baumfrosch)
Dafür hat unser Fahrer, als wir wieder am Parkplatz
ankommen, für uns ein Chamäleon aufgespürt.
Wieder zurück im Hotel, schenken wir dem Fahrer ein T-Shirt (irgendwie
müssen wir die ja loswerden). Dann essen wir erstmal was. Steak mit
Salat und Pommes, und Spaghetti mit Tomatensoße. Die
Restaurant-Terasse liegt direkt an einem Teich oder Flußarm, und auf
der anderen Seite ist Dschungel. Man hört allerhand Getier, und ich
habe mein Fernglas mitgebracht, sehe aber trotz intensiven Studiums
der Baumwipfel nur Moospolster und Ameisennester, aber keine größeren Tiere. Es
sind recht viele Touristen hier, verglichen mit den anderen Hotels, in
denen wir bisher waren. Das liegt wohl daran, daß das hier nicht so
weit weg von Tana ist.
Den Nachmittag verbringen wir vor bzw. in unserer Hütte. Von hier aus
kann man ebenfalls in den Urwald gucken – damit kann man sich
stundenlang beschäftigen – aber nichts Interessantes zeigt sich.
Zum Abendessen gehe ich wieder ins Restaurant, hier gibt's auch Min
Chao, während Frank in der Hütte seine chinesischen Instant-Nudeln
kocht. Patrick ist auch da, und wir unterhalten
uns noch eine Weile. Um 19 Uhr treffen wir uns wieder mit Nestor, mit
Anti-Brumm eingesprüht und mit Stirnlampen ausgerüstet, um die
nachtaktiven Lemuren zu beobachten (Maus- und Zwerglemuren). Nestor
verwendet jetzt, passend zu den Zielobjekten, eine andere Auswahl an
Lockrufen. Wir gehen entlang der Straße, und durch den Mondschein ist
es so hell, daß man auch ohne Lampe genug sehen kann. Die Lampe
brauchen wir nämlich, um die am Rand stehenden Büsche und Bäume
anzuleuchten und nach der Reflexion von Lemuren-Augen Ausschau zu
halten. Jedoch ohne Erfolg: wir sehen keinen einzigen Lemuren. Da fast
Vollmond ist, ist es ihnen wohl nicht dunkel genug, und sie kommen
nicht aus ihrer Deckung heraus. Statt dessen finden wir mehrere
schlafende Chamäleons. Eins davon ist knallgelb. Als es aufwacht,
ändert es eiligst die Farbe und wird orange – allerdings nur auf der
Seite, von der wir es anleuchten, die Rückseite bleibt hellgelb, wie
ein rascher Kontrollblick zeigt.
Patrick sammelt uns am Ende unseres Weges mit dem Auto wieder ein. Wir
würdem uns am liebsten gleich ins Bett fallen lassen, das wird
allerdings etwas erschwert dadurch, daß zunächst etwas anderes fällt,
nämlich das Türschloß uns entgegen. Die Tür ist weiterhin
verschlossen. Immerhin gibt mir der erneute Besuch der Rezeption --
aufgrund der Größe der Anlage beinahe eine Expedition für sich – die
Gelegenheit, für morgen ein malegassisches Frühstück zu bestellen (das
gibt's nämlich nur auf Bestellung, im Gegensatz zu dem Omlette und
Baguette-Fraß). Es kommt dann jemand mit einem Brotmesser, um die Tür
zu öffnen (Zitat Frank: "Was, kein Schraubenzieher? Ich will sofort
wissen, wo Patrick ist!"), und wir können dann in das Häuschen
nebenann umziehen (weil die Tür sich natürlich auch nicht mehr
abschließen läßt). Wie praktisch, jetzt haben wir auch wieder genug
Klopapier für die nächsten Tage (das ist nämlich bisweilen in den
Hotels etwas knapp bemessen, selbst wenn man nur eine Nacht bleibt und
keinen Durchfall hat. Gut, daß wir für Notfälle unseren eigenen Vorrat
mitgenommen haben). Schlafen tut sich's in dem neuen Häuschen genauso
gut wie in dem alten.
Frühstück mit Reissuppe und gebratenem
Zebu und Blick auf den Regenwald.
Am nächsten Morgen geht's wieder früh raus – als ob man bei dem
Geschrei des Indri eine andere Wahl hätte – um eben diesen zu
beobachten. Der
Indri indri, wie er auf lateinisch heißt, ist
wie schon erwähnt, der größte der Lemuren, und der mit dem
durchdringendsten Schrei: er ist mehrere Kilometer weit zu
hören. Leider sind die Viecher nicht mit den Zeitplänen im Hotel
synchronisiert, denn Frühstück gibt's erst ab 6:30 Uhr. Das
Malegassische Frühstück besteht aus einer Reissuppe (etwa so wie
Milchreis, nur mit Wasser statt Milch und ohne Zucker) und kleinen
scharf angebratetn Stückchen Zebu. Der Reis ist ziemlich geschmacklos,
aber das Zebu ist super-lecker. Frank schläft noch in Ruhe aus und
trinkt dann nur einen Kakao.
Bambus-Lemur Hapalemur sp.
Unsere Exkursion heute beginnt direkt am Informationszentrum, und
Nestor verspricht außer dem Indri auch noch Boas, Waldfrösche und
Orchideen. Die Boas leben in den Ruinen einer alten Fischfarm, sind
aber so früh scheinbar noch nicht an ihre Schlafplätze
zurückgekehrt. Dafür sehen wir in einem hohlen, mit Wasser gefüllten
Baum einen dicken Frosch, der laut quakt, wenn Nestor ihn mit einem
Stock anstupst. Kurz darauf sehen wir ein paar Bambus-Lemuren, und vor
lauter Foto-Begeisterung verlieren wir Nestor aus den Augen, der vor
sich hin grunzend vorweg läuft. Nach einiger Zeit fällt ihm wohl auf,
daß wir weg sind, und er kommt zurück, um uns an einer Weggabelung
abzuholen. Er hat eine Indri-Familie aufgespürt, und eilig folgen wir
ihm. Wir hören sie schonrufen. Sie tun das zur
Revier-Markierung, wenn eine fremde Familie in ihr Territorium
eindringt. Es hört sich also so an, als würden wir was zu sehen kriegen.
Ganz selten kommen die Indris auf den
Waldboden, und daß sie dabei so nah dran sind, ist wirklich ein
Glücksfall.
Bald sehen wir sie auch: vier Stück, gar nicht weit entfernt von uns
in den Bäumen. Da wir uns an einem Hang befinden, sind sie fast auf
einer Höhe mit uns (sie sitze in den Bäumen, die ein Stück tiefer
stehen). Sie fressen Blätter. Bisweilen springen sie mit großen Sätzen
von einem Stamm zum nächsten. Schließlich klettern zwei bis auf die
Erde runter und sitzen dann zwei Meter vor Frank auf dem Boden. Sie
fressen Sand, damit dieser in ihrem Magen die Blausäure neutralisiert,
die in manchen Blättern enthalten ist. Erst als die ganze Familie sich mit großen Sätzen davon gemacht hat, können wir uns losreißen.
Videos und ein mp3-File mit den Rufen des Indri findet Ihr auf meiner Indri indri Spezial-Seite: IndriIndri
Die nachtaktiven Makis erkennt man an
ihren großen Augen. Tagsüber machen sie die nur unfreiwillig auf.
Auf dem Rückweg zum Informationszentrum schauen wir nochmal bei der
Fischfarm vorbei, und diesmal sind zwei Boas zuhause - faul liegen sie
zusammegerollt herum, eine unter Gras, die andere in einer
Betonröhre.
Nachdem wir das Infozentrum beischtigt und ein paar Postkarten gekauft
haben, geht's noch ein paar Meter weiter die Straße entlang zum
Orchideenpark. Der Park ist geschlossen, aber Dank Nestor kommen wir
über einen Trampelpfad trotzdem hinein. Die Orchideen blühen hier im
Oktober und November, d.h. wir sind ein paar Monate zu spät dran
(deswegen ist der Park vermutlich zu), aber mit etwas Phantasie kann
man sich vorstellen, wie toll es hier zur Blütezeit aussehen muß! Der
Park besteht aus einem Rundweg um einen kleinen See herum, und an ganz
vielen Ästen und Baumstämmen sind Orchideen befestigt (die brauchen
nicht in der Erde zu wachsen, etwas Torf um die Wurzeln herum und hohe
Luftfeuchtigkeit reichen ihnen zum Leben).
Hoffentlich versteht das jeder...
Anschließend gibt's Mittagessen. Patrick hat Zebu Te-Pan empfohlen:
Zebu vom heißen Stein. Es wird mit Spiegelei und Nudeln serviert und
kommt wirklich in einer zischenden Pfanne. Es ist super-lecker. Zum
Nachtisch lassen wir uns Crepes nach Art des Hauses und
selbstgemachten Joghurt schmecken. Anschließend haben wir noch eine
Stunde Zeit, alle Postkarten zu schreiben, denn um 15 Uhr sind wir mit
Patrick verabredet, um ins Dorfzentrum von Andasibe zur Post zu
fahren. Unsere Hektik ist völlig umsonst, denn die Post hat
geschlossen, es sind hier wohl noch Weihnachtsferien. Zur Zeit der
Franzosen hieß Andasibe Perinet, so steht's auch noch am
Postamt. Der Bahnhof hingegen ist nagelneu, ein prunkvolles
Steingebäude, an dem der malegassische Name dran steht. Züge fahren
hier allerdings nicht, denn wenn nicht gerade die Lok kaputt ist,
wurden unterwegs Teile der Schienen geklaut.
Wir besuchen dann den Souvenir-Shop an der Straße gegenüber unserem
Hotel. Das meiste Zeug ist Mist, ich bedauere, nicht gleich bei der
ersten Gelegenheit kurz hinter Tana ein Raphia-Chamäleon gekauft zu
haben. Aber sie haben zwei schöne englische Bücher über die Fauna
Madagaskars. Wir lassen uns von Patrick beraten, welches davon wir
kaufen sollten; er empfiehlt Madagascar
Wildlife von Nick Garbutt; das Exemplar ist sogar vom Autor
signiert. Der Ladenbesitzer erzählt, daß Nick ab und zu hier
vorbeikommt und ein paar Bücher mitbringt, die der Laden dann
verkaufen kann. Eine weitere Sensation sind die
handgemachten, bestickten Survival-Westen.
Um 19 Uhr sind wir wieder mit Nestor verabredet für einen neuen
Versuch mit den nachtaktiven Lemuren. Diesmal gehen wir schnell die
Straße entlang und schlagen uns dann kreuz und quer durch's
Unterholz am Teich des Orchideenparks. Der erste Fund ist ein
Schmetterling, der zusammengefaltet unter einem Blatt sitzt. Dann
ruft Nestor aufgeregt – er hat, hoch oben in den Bäumen, zwei orange
Augen gesichtet, die zu einem Zwerg-Lemuren (Cheirogaleus sp.) gehören. Die Augen sind aber gleich
wieder im Dunkel verschwunden. Dann ein Schimpfen voraus: Nestor ist
von irgendetwas in den Finger gestochen worden, als er sich an einem
Ast abgestützt hat. Es scheint sehr schmerzhaft zu sein, und er bindet
den Finger mit einem Stück Liane ab (soviel dazu, daß es in Madagaskar keine
gefährlichen Tiere gäbe). Während der ganzen weiteren Tour schaut er
immer wieder nach, wie sich sein Finger verhält.
Kurz darauf finden wir tatsächlich noch einen
Maus-Lemuren, ein etwa 10cm dickes Fellknäuel mit 4 kleinen Füßchen
und einem langen Schwanz, das uns aus großen Augen erschreckt
anstarrt. Das kleine Viech macht sich mit Riesensprüngen (mehr als
50cm weit) aus dem Staub, Nestor gleich hinterher, ohne Rücksicht auf
Ranken oder weitere Insektenbisse. So kriegen wir das possierliche
Tierchen von allen Seiten zu sehen. Die Gattung der Maus-Lemuren
(
Microcebus sp.) enthält die kleinsten Lemuren Madagaskars mit
Exemplaren, die nur knapp 30g wiegen (zum Vergleich: Zwerghamster
wiegen etwa 50g).
Das war wirklich ein aufregender und interessanter Abend! Nachdem wir
uns mit einem ordentlichen Trinkgeld und guten Wünschen für seinen
Finger von Nestor verabschiedet haben, kehren wir zurück ins Hotel. Im
Restaurant trinken wir dann noch ein Bierchen (bzw. Radler, das hier
"Fresh" heißt, und Passionsfruchtsaft) und bestellen das Frühstück für
morgen. Dann nichts wie ins Bett.
Am nächsten Morgen haben wir alle Zeit der Welt, denn wir sind erst um
9 Uhr zur Weiterfahrt mit Patrick verabredet. Es ist aber gar nicht so
einfach, auf Befehl lange zu schlafen, schon gar nicht mit den Indris
gegenüber. Wir haben Zeit für ein gemütliches Frühstück. Dabei treffen
wir auf drei weitere Deutsche, die allein unterwegs sind, mit dem Taxi
Brousse. Sie waren schon öfter in Madagaskar und wissen also, was sie
tun. Alle anderen Gäste sind heute morgen abgereist, denn das
Restaurant macht über Silvester und Neujahr zu (das Hotel bleibt
offen). Heute morgen regnet es in Strömen und ist ziemlich kühl. Nach
dem Frühstück packen wir unser Zeug zusammen und natürlich warten
schon zwei Einheimische darauf, die großen Rucksäcke zum Auto zu
tragen, für Trinkgeld natürlich. Sobald Patrick auftaucht, packen wir
alles ins Auto und machen uns auf die Weiterfahrt gen Osten, zum LacRasoabe, an die
Küste des Indischen Ozeans.