Wandern in den Hohen Tauern
Nach Hinterbichl
Hinterbichl
liegt hinter Bichl im Tal der Isel in Osttirol, Österreich. Obwohl es
in den Hohen Tauern liegt, darf man nicht über die Tauern-Autobahn
fahren, sonst landet man in Salzburg. Überhaupt fährt man nur ein ganz
kurzes Stück auf österreichischen Autobahnen, so kurz, dass es die
8.70 Euro Maut gar nicht Wert ist. Der Felbertauern-Tunnel, durch den
man dann durch muss, kostet nochmal extra 10 Euro (und ist auch
länger). Nach dem Tunnel geht's über die
Felbertauern-Ersatz-Straße... man wundert sich nur so lange über den
Namen, bis man gesehen hat, dass die Felbertauern-Original-Straße
durch einen Erdrutsch in Mitleidenschaft gezogen wurde (
Bericht im Kurier).
In Hinterbichl gibt es direkt an der Isel einen kostenlosen
Parkplatz. Schlauerweise ist dieser Parkplatz und die Teilung der Isel
in zwei Flussarme mit Insel dazwischen auf der Wanderkarte nicht
eingezeichnet, das E-Werk gegenüber dagegen schon, aber nicht da, wo
es in der Realität ist. Naja, irgendwie über den Fluss und dann das
Tal hoch, kann ja nicht so schwer sein. Die Leute auf dem Hof, den wie
durchqueren müssen, sind auch sehr hilfsbereit und freundlich ---
obwohl auf der anderen Seite des Hoftores steht, dass der Durchgang
verboten sei. Das sehe ich natürlich erst auf dem Rückweg, als ich
nach 10 Minuten nochmal zum Auto zurück muss, weil ich mich irgendwie
nicht erinnern kann, meinen Geldbeutel nach verschiedenen
Nahrungsaufnahme- und Abgabe-Stopps wieder in den Rucksack gepackt zu
haben. Tatsächlich findet er sich in der Autotür. Gute Gelegenheit
jedenfalls, Gerhards Lesebuch auch gleich noch mitzubringen.
Dann geht's weiter den Fluss entlang, der sich mit Wuchtwasser und
spektakulären Wasserfällen präsentiert, die durch ausgesprochen
luftige Aussichtsplattformen für schwindelfreie Touristen sicherlich
eine Attraktion sind. Nach weniger als fünf Kilometern sind wir an der
Islitzer Alm angekommen, wo sich nicht nur niemand an unseren Anruf
zwecks Zimmerreservierung erinnern kann, sondern es auch gar keine
Zimmer gibt. Zum Glück ist direkt nebenan die Pebellalm, wo es sowieso viel
ruhiger zugeht und die freundlichen Wirtsleute uns gleich ein äußerst
gemütliches Zimmerchen anbieten. Am Abend ist es merklich abgekühlt
und wir holen sogar unsere Jacken hervor, als wir auf der Terrasse zu
Abend essen: Knödeltrio aus Kaspress-, Speck- und Spinatknödeln.
Zur Neuen Reichenberger Hütte
Aussichtsplattform über der Isel. Blick ins Umbaltal. Die Umbalfälle.
Bergwanderer sind ja früh auf,
aber irgendwie wünschen wir uns doch, wir hätten das Frühstück nicht
schon für acht Uhr bestellt. Es ist aber reichhaltig und gut, und der
Wirt gibt uns noch jede Menge gute Ratschläge für unseren weiteren
Weg. Zuerst gehen wir mal ohne Gepäck zu den Umbalfällen, über die die
Isel das Umbaltal herab gerauscht kommt. Hier gibt es einen
Wasserlehrpfad mit Infotafeln und weitere Aussichtsplattformen, alles
durchaus sehenswert, wird aber etwas überschattet von dem Wissen, dass
wir danach noch über tausend Höhenmeter zur Neuen Reichenberger Hütte
ansteigen müssen. Dabei fällt mir schon hier der Anstieg ganz ohne
Gepäck schwer! Nach einer Stunde sind wir wieder an der Alm und
stärken uns nochmal mit einem gespritzten Apfelsaft, wie es hier
heißt.
Wer ist hier am Ende der Nahrungskette?
Dann geht's ernsthaft los, der Aufstieg beginnt direkt hinter
der Alm. Wir entscheiden, den kürzeren, direkten Weg durch das
Großbachtal zu nehmen statt den längeren Weg durch das Kleinbachtal
und über die Rote Lenke, einen Pass auf knapp 2800m. Erst mal geht's
bis zur Stürmitzalm, nur etwa 250m Luftlinie entfernt, aber 500m
höher. Schnauf. Das Wetter ist schon wieder sehr warm, zu warm, und
sonnig; jeder kleine Schatten durch den Bergwald am Wegrand wird
ausgenutzt. Wo ist denn bloß dieser trockenadiabatische
Temperaturgradient hin? Macht der auch Sommerferien?
Die Neue Reichenberger Hütte am Bödensee.
Als der Wald aufhört, müssen wir eine Weide überqueren und das außen
am Rucksack befestigte Baguette gegen Fressfeinde verteidigen. Ab
jetzt steigt der Weg nur noch mäßig an und führt durch das Hochtal des
Großbaches. Die Aussicht auf die Schneefelder und Wasserfälle der
umliegenden Berghänge ist spektakulär, und schließlich sehen wir sogar
ein paar Murmeltiere! Am Ende des Talkessels geht's nochmal steil und
steinig bergan, und direkt hinter der Bachlenke (Lenke = Sattel) liegt
schon die Neue Reichenberger Hütte am Bödensee. Wir bekommen ein
Zimmer im zweiten Stock, mit Ausblick auf eine große
Murmeltierkolonie. Dusche und WC sind einen Stock tiefer, und warmes
Wasser gibt's nur in der Dusche, gegen Zahlung von einem Euro. Naja,
ist ja erst Tag eins, so verschwitzt sind wir noch nicht...
Auf der kleinen Terrasse ist es schon recht voll mit einer
Männergruppe, die noch nicht ganz voll, aber schon reichlich laut
ist. Nachdem wir unsere Linzertorte verdrückt haben, suchen wir uns
daher ruhigere Plätze: zwischen den Felsen am See oder im
Bett. Komisch, wie kühl es auf dieser Höhe gleich wird, sobald sich
eine Wolke vor die Sonne schiebt! Überall kann man Murmeltiere
beobachten, und der Ausblick auf den See mit den sich darin
spiegelnden Bergen ist auch sehenswert. Zum Baden ist es mir
allerdings zu kalt – auf der anderen Seeseite ragen Schneefelder ins
Wasser! Zwei Herren lassen sich davon jedoch nicht abschrecken.
Zum Abendessen müssen wir dann doch in die Gaststube. Kurze
Irritation: meine Hausschuhe sind weg, wahrscheinlich hat jemand sie
für allgemein verfügbar gehalten. Die Männer von vorhin sind jetzt
schon sehr angeheitert, bestellen abwechselnd Bier und Schnaps und
spielen über ein Handy Musik ab. Das Abendessen aus Gröstl
(=würfelförmige Bratkartoffeln), Spiegelei und Fleischkäse
bzw. Bratwurst will also schnell gegessen sein. Meine Hausschuhe
finden sich wieder, zum Glück bei einem der beiden Herren, mit denen
ich mich vorhin am See schon nett unterhalten hatte. So muss ich
wenigstens nicht mit einem angeheiterten Iphone-Besitzer darüber
verhandeln, der nämlich, Ikea sei Dank, die gleichen Pantoffeln hat.
Nach dem Essen gehen wir noch mal kurz raus, die Abendsonne genießen,
bevor sie hinter den Bergen verschwindet, und den Murmeltieren "Gute
Nacht" sagen.
Über den Lasörling-Höhenweg zur Clarahütte
Nachts war es leider etwas diesig und vermutlich wegen des nahen
Vollmondes sehr hell, so dass der Sternenhimmel gar nicht so
beeindruckend war, wie er hätte sein können. Am Morgen ist es wolkig
und eher kühl, endlich mal keine Hitzschlag-Gefahr. Blitzschlag-Gefahr
besteht laut Hüttenwirt auch erst am Nachmittag, also gute Aussichten
für einen entspannten Spaziergang hinüber zur Clarahütte. Die Dauer
wird auf den Wegweisern mit nur drei Stunden angegeben. Wie in den
DAV-Hütten üblich, haben wir schon am Abend vorher für Essen,
Übernachtung und Frühstück bezahlt. Das Frühstück ist mit acht Euro
für ein paar Scheiben Brot mit Wurst, Marmelade und Hüttenkäse nicht
gerade ein Schnäppchen, aber wo bekommt man sonst seinen Käse per
Hubschrauber geliefert? Eine Straße oder Materialseilbahn gibt's hier
nämlich nicht.
Die Murmeltiere sind natürlich schon längst wach, als wir endlich
alles gepackt haben und marschfertig sind. Der Lasörling-Höhenweg
führt zunächst Richtung Westen. Die Landschaft ist noch
beeindruckender als gestern, schroffe Steilwände mit Schneefeldern
oben und riesigen Schuttkegeln an ihren Füßen. Auf einem Grat hoch
über uns sehen wir zwei Gämsen. Bis zur Daberlenke geht es ganz leicht
bergan; von dort kann man das Leitbach- und Daberbachtal im Nordosten
überblicken, durch die der Weg weiterführt. Ein guter Zeitpunkt für
eine kurze Rast. Ab jetzt geht es immer in der Flanke des steilen,
V-förmigen Tals entlang. Unten rauscht der Daberbach, teilweise noch
von alten Schneefeldern verdeckt.
Hier oben gibt es eine Vielzahl blühender
Kräuter und Insekten, zum Beispiel Rotwidderchen. Bei einer weiteren
Pause in der Nähe einer kleinen, verschlossenen Hütte haben wir
reichlich Gelegenheiten, diese interessanten Schmetterlinge zu
bestaunen und zu überlegen, ob es nun wohl Schmetterlinge sind oder
nicht (tja, wenn man bloß eine Biologin dabei hätte, die sich mit
so was auskennt!). Hier in der Nähe treffen wir auch die einzigen
anderen Wanderer an diesem Tag (zumindest, bis wir wieder in das von
Touristen überflutete Umbaltal kommen). Erst mal haben wir noch eine
Weile Ruhe. Der Weg führt weiter, mehr oder weniger schmal, teils mit
Seilen gesichert. Allerdings scheint es mir sicherer, aufrecht zu
gehen und das am Boden liegende Seil zu ignorieren, als zu riskieren,
gebückt zu gehen, um das Seil halten zu können, und dabei zu
stolpern. Dennoch bin ich froh, als in der Ferne ein Wegweiser
auftaucht, der hoffentlich das Ende dieses Tals und die Rückkehr zu
einem gemütlicheren Pfad ankündigt – aber Pustekuchen! Es ist ein
Hinweisschild mit der Notrufnummer der Bergwacht. Danke, wie
vertrauenerweckend!
Der Weg durch das Daberbachtal.
Trotzdem erreichen wir bald das Ende des Daberbachtales und die
Mündung desselben ins Umbaltal. Dort müssen wir erst mal über eine
sehr improvisiert aussehende Brücke aus einem Metallgerüst die Isel überqueren, dann
treffen wir auf den Weg, der nach links zur Clarahütte und nach rechts
zurück zur Pebellalm führt. Hier unten im Tal ist es wieder sehr warm
(das mag auch an der Sonne liegen, die jetzt wieder ungetrübt scheint).
Mündung des Daberbaches in die Isel.
Entlang der Isel geht's flussaufwärts zur Clarahütte. Nur noch wenige
Wegbiegungen, dann sehen wir sie einladend mit einer
Sonnenschirm-beschirmten Terrasse vor uns liegen. Ach ja. Erst mal was
trinken. Dann einen Clarakuchen-Brownie. Mjam! Irgendwann könnten wir uns
dann auch mal nach unserem Zimmer erkundigen – die Wirtin wundert
sich schon, dass wir gar nicht wieder aufbrechen wollen. Sie bringt
uns dann gleich alle möglichen Tourenbeschreibungen, damit wir
uns an unseren "freien Tag" morgen nicht zu langweilen brauchen.
Natürlich müssen wir auch noch das Mühlrad anschauen, das die Hütte
mit Strom versorgt. Es hat eine maximale Leistung von 15 kW. Einziger
Nachteil: Das Stromkabel von der Mühle zur Hütte liegt scheinbar
direkt unter der Terrasse und bringt unseren Kompass durcheinander...
Die Hütte ist fast komplett neu, es wird sogar an einigen Ecken noch
gebaut. Die gerade frisch renovierte Hütte wurde 2012 durch eine
Lawine stark beschädigt, und seitdem von Freiwilligen der DAV-Sektion
Essen wieder aufgebaut und gleich noch erweitert. ("PIIIEEEP" --
"Nein, es brennt nicht, wir installieren nur gerade die
Rauchmelder"). Die neuen Duschen sind noch nicht fertig, aber wir
dürfen die alten benutzen ("4:32 Minuten für 3 Euro"), und Dank des
Mühlrades gibt es genug Strom, um gleichzeitig warmes Wasser für die
Dusche und Energie zum Kochen des Abendessens zu haben. Das
Bergsteigeressen ist ein riesiger Teller sehr leckerer Spaghetti
Bolognese (woher hier wohl das Hackfleisch kommt? Eine Zufahrtsstraße
oder Materialseilbahn gibt es auch hier nicht). Unser Zimmer ist auch
sehr gemütlich und für eine Hütte sehr komfortabel: es gibt sogar
fließend warmes Wasser im Zimmer! Und aus dem Fenster kann man direkt
auf den gegenüberliegenden Berghang mit seinen Murmeltieren schauen
und ihnen beim Abendessen zugucken – bei denen scheint der gelbe
Hornklee besonders beliebt, die großen Blütenstände werden mit einem
Haps verschlungen Am Abend fallen noch ein paar einzelne Regentropfen,
und es ist in der Nacht trotz zwei Schichten Decken recht
kühl. Vielleicht sollten wir doch das Fenster zu machen?
Zum Ahrner Kopf ... Ahr, nee.
Das Umbaltal ist ein typisches Trogtal.
Am nächsten Morgen scheint wie immer die Sonne. Wir haben Frühstück
für acht Uhr bestellt, und die Wirtin ist sehr erleichtert, dass wir
nicht, wie die Gäste in den Tagen zuvor, schon um sechs frühstücken
wollen. Wir haben das kleine Frühstück, das aus zwei Scheiben Brot,
Marmelade und einer Tasse Tee besteht. "Nehmt ruhig vier Scheiben, sie
sind so klein geraten" — die Hüttenwirtin hat selber gebacken und es
schmeckt lecker.
Wir wollen heute zur Kleinen Philipp-Reuter-Hütte und zum Ahrner Kopf
(3051 m). Gemütlich spazieren wir das Iseltal aufwärts. Es gibt so
viele Murmeltiere, dass wir gar nicht voran kämen, wenn wir alle
ausgiebig beobachten wollten. Wir überqueren die Isel auf einer
baugerüstartigen Brückenkonstruktion, und ab jetzt
geht es steil den Hang hinauf. Der Anstieg geht flott, und wir
schaffen es, wie in der Tourenbeschreibung empfohlen, die erste Pause
tatsächlich erst nach zweieinhalb Stunden an der Biwakhütte auf 22672
m zu machen (allerdings halb verhungert). Die Hütte ist für eine
Biwakschachtel recht komfortabel, es gibt drinnen Betten, Decken und
Petroleumlampen, und draußen ein Plumpsklo mit Panoramablick (man muss
die Tür offenlassen, sonst ist es drinnen zu dunkel). Es ist so warm,
dass ein Schattenplatz schön wäre, aber den gibt's hier nicht. Wir
genießen in Ruhe die phantastische Aussicht auf das Tal, den Umbalkees
= Gletscher mit Gletschersee und die Isel. "Sagtest Du gerade
'Määhhh'?" — tatsächlich gibt es in dieser Höhe noch Schafe, die
zwischen den Felsen herum klettern oder sich zum Mittagsschlaf auf die
Schneefelder legen.
Vorderes Umbaltörl und Ahrner Kopf.
Der weitere Aufstieg zum Vorderen Umbaltörl
(= Scharte) ist schwieriger, weil der Weg auf feinem Geröll steil und
rutschig wird und wir zudem ständig Schneefelder überqueren
müssen. Und schwuppdiwupp — schon ausgerutscht! Schnell auf den Bauch
drehen und mit Händen und Füßen bremsen. Das hätte beinahe eine
Katastrophe gegeben — einen Meter weiter, und ich wäre... in einem
riesigen Haufen aufgeweichter Schafsch... gelandet. Glück gehabt!
Es folgen noch mehr steile Schneefelder und Krabbelei auf rutschigem
Geröll. Ein Blick auf die Scharte, noch mit Schnee gefüllt und auch
recht steil: das wird wohl nichts. Also kehren wir kurz unterhalb von
3000m um. Dadurch haben wir Zeit, auf dem Rückweg noch da Tal weiter flußaufwärts zum
Umbalkees zu gehen. Wir stören eine Menge Schafe, die sich zur
Mittagsruhe in den Schatten großer Felsblöcke zurückgezogen haben. Es
gibt sie hier in allen Formen und Farben: grau, braun, weiß, schwarz, gefleckt
mit großen Hörnern oder dicken Eutern oder noch als Lamm.
Das Umbalkees. Gletscherschliff.
Als wir die Talsohle erreichen, beginnt ist der Weg nur noch schwer zu erkennen, er führt mitten durch die Geröllhalden der Moräne des Gletschers und über glatt geschliffene
Felsen mit den faszinierendsten Färbungen und Musterungen. Auch ein
paar Nebenbäche der Isel, die hier am Gletscher ihren Ursprung hat,
müssen wir überqueren, das ist mit Bergstiefeln aber kein Problem. Das
Gletschertor ist leider noch von Schnee bedeckt und daher sieht man
nur eine kleine Öffnung, aus der das milchige Wasser heraussprudelt. Ein kalter Wind kommt von oben herab. Hoch über dem Gletscher kreist ein riesiger Vogel – ein Steinadler, wie wir später herausfinden.
Direkt an den Gletscher heran kommen wir nicht, da müssten wir noch
ein ganzes Stück weiter bergan gehen. Das wäre zwar kein Problem, aber
die dunklen Wolken, die sich gerade über unserem Rückweg
zusammenziehen, sind vielleicht eines... lieber umkehren, bevor wir
hier am oberen Ende des Tals in ein Gewitter geraten!
Vertrauen in die Vibram-Sohlen.
Schönstes Reibungs-"klettern" auf den trockenen Felsen — wozu man
hier überhaupt Seile angebracht hat? Naja, falls es regnet, würde aus
der Kletter- wohl ganz schnell eine Rutschpartie! Die Bühlerhaken zur Befestigung sind allerdings oft schon verbogen oder ausgerissen, und einmal ist mit dem Haken gleich ein ganzes Stück vom Felsen mit abgerissen.
Die Angst vor dem Gewitter war wohl doch unbegründet; als wir ein ganzes Stück weiter unten sind, unterhalb der Talstufe, müssen wir uns für unsere nächste Rast schon wieder einen Schattenplatz an einem großen Felsblock suchen. Wir sehen zwei Männer in dem Gletschersee baden — brrr! Das wäre mir dann doch zu kalt, Sonne hin oder her.
Der Weg das Tal
hinunter führt dicht am Fluss entlang durch mehr oder weniger sumpfiges
Gelände; ständig müssen wir kleine und größere Bäche überqueren, die
von den Hängen über uns herab sprudeln. Manchmal ist der Weg selber auch eher ein
Bach.
Zurück in der Hütte gibt's erst mal eine Cola. Auf der Speisekarte
für's Abendessen steht heute Tomatensuppe als Vorspeise, dann Tiroler Gröstl (=Bratkartoffeln mit Spiegelei). Mir geht's nicht so gut und ich nehme nur die Suppe --
eine weise Entscheidung, denn die Suppe ist eine Schale voller Nudeln
mit Tomatensoße oben drauf und schon eine Mahlzeit für sich! So darf
ich die Gröstl von Gerhard auch noch "probieren".
Am späten Abend grummelt es in der Ferne, und mitten in der Nacht gibt
es dann ein heftiges Gewitter. Die
Blitze zucken im Sekundentakt über den Himmel, und es donnert fast
ununterbrochen. Da sind wir schon froh, dass die Hütte
lawinensicher halb in den Berg hinein gebaut
wurde und nicht irgendwo auf einem ausgesetzten Plateau steht, auch wenn man aus dem Fenster dieser Hobbithöhle keine gute Aussicht auf die Blitze hat.
Ob er aber über Oberammergau...
Merkwürdige Hütten am Wegrand.
Lange haben wir überlegt, wie wir von hier aus zur Essener und
Rostocker Hütte gehen sollen: ob wir den neu angelegten Weg über die
Hochkarscharte nehmen sollen, der auf der Karte gepunktet, also als
alpiner Steig, eingezeichnet ist, oder ob wir hinunter in Tal und dann
wieder hinauf zur Hütte gehen sollen. Oder gar einen Bergführer
anheuern und den alten Königsweg nehmen, der nicht mal auf der Karte
markiert ist? Es wäre schon ungünstig, wenn ich nach vier Stunden
merke, dass mir der Steig zu steil ist, und wir alles zurück gehen
müssen! Zum Glück macht uns das Wetter die Entscheidung leicht: es
regnet, und da ist es keine gute Idee, auf fast 3000 m aufzusteigen
und einen schlecht markierten, potentiell noch verschneiten und
ausgesetzten Weg zu wählen. Auch wenn die Hüttenwirtin uns versichert,
der Weg wäre ganz einfach. Allerdings kennt sie weder das Wort
"ausgesetzt" noch das Wort "schwindelfrei", das macht mich
misstrauisch (sie kommt aus Osteuropa).
Durch den Regen hervorgelockt sitzen immer wieder kleine schwarze
Salamander auf dem Weg. Nicht allzu weit von der Hütte steht der zur
Hütte gehörende Geländewagen auf dem Weg; ab hier zählt das wohl als
Fahrweg. Es ist mir jedoch schleierhaft, wie man hier mit einem Auto
durchkommen soll, der Weg ist immer noch schmal und steil.
Der Vorteil des Weges unten herum ist ganz klar: wir kommen nochmal an
der Pebellalm vorbei und können uns dort mit Kaiserschmarrn und einem Heißgetränk stärken. Den hatten wir
schließlich auf dieser Tour bisher noch nicht, und ist es ist ja auch
genau das richtige Wetter dafür. Der Wirt hat auch die aktuelle
Wettervorhersage für uns: vormittags noch halbwegs trocken, ab vier
Uhr dann starker Regen. Also los!
Wo war doch gleich der Weg?
Immerhin sind wir erst vor wenigen Tagen hier herauf gekommen... ein
paar Weideüberquerungen später sind wir wieder auf dem rechten Weg,
unglücklicherweise zusammen mit jeder Menge Touristen, die vom
Hinterbichl oder Ströden aus zum Mittagessen auf die Alm wollen.
Einige sind auch faul und lassen sich mit der Pferdekutsche
heraufbringen. Eine gewisse Versuchung, mit der Kutsche hinunter bis
Ströden zu fahren! Aber die Ackergäule sind auch nicht viel schneller
als wir zu Fuß, also lohnt es sich nicht. Vom Parkplatz in Ströden aus
soll es einen Pfad direkt am Maurerbach entlang geben. Den finden wir
nicht, dafür aber eine sehr gut gepflegte und parfümierte öffentliche
Toilette, und vor allem eine Mülltonne – es steht schließlich
nirgendwo, dass man seinen Müll auch wieder mit auf den Berg
hinauf nehmen soll.
Vom Parkplatz wieder ein Stück zurück und dann die Straße
das Maurertal hinauf. Kurz hinter dem Ort liegen noch einige
Ferienwohnungen und Almen am Weg, die zur Rast einladen. Aber wir
hatten ja gerade erst was, auch wenn es hier wirklich verführerisch
nach Essen duftet! Hinter der Talstation der Materialseilbahn zur
Essener und Rostocker Hütte wird aus dem Fahrweg ein Trampelpfad. Wir
treffen ein paar Pferde, und natürlich jede Menge Kühe. Der Weg geht
steil bergan durch klatschnassen Bergwald und Wiesen. Sogar
Frauenschuh wächst hier! Können wir nicht mal kurz Pause machen, um,
schnauf, äh, die interessante Flora zu betrachten, schnauf? Hätte ich
bloß nicht so früh am Tag und so weit unten im Tal so viel
Kaiserschmarrn gegessen, jetzt muss ich den bergauf schleppen. Der
Maurerbach ergießt sich in einem Wasserfall über eine Talstufe (entsprechend steil geht es bergan), und
als wir oberhalb dieser Stufe und damit auch endlich wieder oberhalb
der Baumgrenze sind, gönnen wir uns eine Mittagspause. Gut, dass es
gerade mal nicht regnet! Wir packen alles aus, genießen die Sonne und
freuen uns, dass wir nicht über die Hochkartscharte gegangen sind, denn
dort kommen gerade ziemlich dunkle Wolken herübergezogen. Moment,
dunkle Wolken... bevor wir uns versehen, platschen große Tropfen dicht
an dicht auf uns herunter. So wird das Baguette wenigstens wieder
weich. Aber kaum haben wir hektisch alles wieder eingepackt und die
Regensachen übergezogen, hört es schon wieder auf. Typisch.
Jetzt ist
es nicht mehr weit bis zur Hütte. Der Weg gabelt sich in einen
"Normalweg" und einen anderen über einen Mini-Grat; beide führen zur Hütte. Wir nehmen
natürlich den anderen, verlaufen uns dann aber bei den vielen Spuren
und kommen am Ende doch über den Normalweg zur Hütte. Kaum sind wir
drin und haben unser Zimmer bezogen, fängt es richtig heftig an zu
regnen und hört so schnell nicht wieder auf. Wohl doch eine richtige
Kaltfront, die uns höflicherweise erst mal nur mit einer Vorhut
erwischt hatte, und die jetzt richtig loslegt. Und das schom um Viertel
nach drei statt wie versprochen um vier.
Das Zimmer ist ganz nett, hat aber leider nur Blick
ins Tal und nicht auf die spektakulären Gletscher, die hinter der
Hütte zwischen den Gipfeln hängen. Vor dem Fenster steht eine
Fahnenstange, von der in unregelmäßigen Abständen ein "Pling"
herüberschallt. Eine heiße Dusche wäre jetzt gut. Keine Ahnung, wie
der Heißwasser-Automat die Zeit zählt, aber es ist gut, dass ich
Haare und Oberkörper gleich nach dem Einseifen wieder abgespült habe, sonst hätte
ich das nämlich mit kaltem Wasser machen müssen. Das waren garantiert
keine fünf Minuten!
Den Rest des Abends verbringen wir in der Gaststube, erst mit heißer
Schokolade, dann mit Abendessen. Die Wirtin fragt, ob es recht wäre,
das Abendessen schon um halb sechs zu servieren? Aber bitte, gerne! Es
gibt Rindsbouillon, Jägerschnitzel und Bananencreme, alternativ
Donauwelle. So eine Materialseilbahn hat doch ihre Vorteile.
Außer uns sind noch ein paar andere
Gäste da, unter anderem zwei Familien mit insgesamt drei Kindern, die
Jüngste sicher noch keine zehn Jahre alt. Erstaunlich, dass die die
Ausdauer hatten, hier herauf zu kommen! Und morgen wollen sie zur
Johannishütte weiter. Sind wir irgendwie zu faul?
Warum heißt die Essener und Rostocker Hütte übrigens so? Weil die
Rostocker DAV-Sektion freundlicherweise den Essenern erlaubte, an dem
Ort, an dem schon die Rostocker Hütte stand, eine neue Hütte zu bauen,
nachdem den Essenern zum wiederholten Male Lawinen ihre eigenen Hütten an
offensichtlich ungünstigen Standorten
(z.B. die Clarahütte und die Kleine Philipp-Reuter-Hütte) zerstört hatten.
Nachts bleibt es im Zimmer trotzt des geöffneten Fensters stickig und
warm. Die Wolkendecke reißt auf, und man sieht, wenn man denn nachts
hinausschaut, eine Andeutung von dem, was ein beeindruckender
Sternenhimmel in komplett unbeleuchteter Ubgebung sein könnte. In der
Ferne gibt es noch Wetterleuchten.
Am Simonysee
Oberhalb der Essener und Rostocker Hütte.
Simonysee und Simonykees.
Aufwachen ohne Wecker, aber mit Kopfschmerzen. Macht sich die Höhe
scheinbar doch bemerkbar. Tut aber dem Appetit keinen Abbruch: das
reichliche Frühstück vom Buffet kommt inklusive mit dem
Halbpensions-Abendessen. Danach kann man ja immer noch wieder ins
Bett... oder zum Simonysee. Ein paar Stunden und eine große Cola
später strecke ich dann auch die Nase zur Tür hinaus, wäre zu schade
um das schöne Wetter! Vom gestrigen Regen ist kaum noch etwas zu
merken, die Luft ist kühl und frisch und ein paar Wolken sorgen
dafür, dass die Fotos interessant werden (hab ich mir sagen
lassen). Meine linke Ferse sieht unter dem Blasenpflaster sehr
bedenklich aus, fühlt sich aber gut an. Also auch auf zum
Simonysee. Dieser See am Ende des Simonykees (=Gletscher) liegt etwa
45 Gehminuten oberhalb der Hütte. Gerhard kommt mir beim Aufstieg
entgegen, er möchte noch auf das Rostocker Eck, den Hausberg der
Hütte. Ich bleibe lieber unten, schließlich kann ich ihn auch ganz
bequem vom Seeufer aus beim Aufstieg durch's Fernglas beobachten. Die
Ruhe am See — herumsitzen, nichts tun, die Felsen
anstarren, ein paar Zeichnungen machen — tut mir gut.
Gegen halb drei sind wir beide wieder in der Hütte, und noch eine Cola später sind dann auch endlich meine Kopfschmerzen vollständig weg. Da können wir ja gleich nochmal raus! Die vorhergesagten Regenschauer sind ausgeblieben, aber es herrscht trotz der Nachmittagssonne, die zwischen den Wolken immer wieder hervorkommt, ein kalter Nordwest-Wind, und es ist deutlich kälter als an den Tagen zuvor. Das ist aber auch mal ganz gut.
Zum Abendessen gibt's Karottencremesuppe vorweg, und für die Hungrigen dann noch Schweinenackensteak und Apfelkompott. Es ist deutlich voller als gestern Abend, die Zwischentür zum zweiten Gastraum wurde geöffnet und trotzdem drängen sich die Leute an den Tischen. Am Tisch neben uns sitzt eine große Gruppe aus Deutschen und Amerikanern, und es wird laut und mit durchdringendem Organ geredet. Das Paar bei uns am Tisch dagegen ist angenehm zurückhaltend und ruhig. Sie haben fast dieselbe Wanderkarte wie wir, nur ein klitzekleines bisschen anders geschnitten, aber komplett anders gefaltet.
Die Hüttenwirtin – sie ist auf ihre Art eine sehr lustige Person, irgendwie ein Schelm, finde ich – spendiert uns einen Marillenschnaps aufs Haus. Passt zwar nicht ganz zum Kräutertee, aber so ein Angebot kann man ja nicht ablehnen, oder?
Zur Johannishütte
Das Maurerbachtal überhalb der Essener und Rostocker Hütte ist voller Murmeltiere.
Heute geht's von der Essener und Rostocker Hütte zur
Johannishütte. Abgesehen von dem kleinen Hügel dazwischen, dem
Türmljoch (2772m), ein Sonntagsspaziergang (auch wenn erst Freitag ist). Das
Wetter ist wieder mal hervorragend, sonnig, aber nicht mehr ganz so warm. Das Frühstück kennen wir ja schon, Müsli mit
Joghurt, Brot mit Marmelade, Tee mit Milch. Der Weg geht zunächst
durch das Tal des Maurerbaches, über schöne grüne Wiesen. Es sind
mehrere Grüppchen in unsere Richtung unterwegs, und je nachdem, wer
gerade seine Jacke auszieht oder Fotos macht, sind wir mal vorne, mal
hinten. Als der Anstieg zum Joch beginnt, stolpern wir mitten in eine
Murmeltierkolonie hinein. Überall zwischen den Felsen pfeift und
hoppelt es. Ein Murmeltier läuft uns schneller, als wir die Kamera
ausrichten können, direkt zwischen den Beinen durch. Vor lauter
Begeisterung macht unsere Sonnencreme einen Satz mitten ins Getümmel
und bleibt in einem der zahlreichen Löcher verschollen (gut, dass wir
uns für heute schon eingecremt haben!).
Der Aufstieg von 650m geht
recht flott vonstatten, und oben machen wir – wiederum mitten
zwischen Murmeltieren – unsere wohlverdiente erste Pause. Der Wind
ist so frisch, dass wir uns einen Windschattenplatz suchen
müssen. Die Ruhe wird durch die Ankunft der Gruppe von vier Amerikanern
gestört, die statt die Ruhe zu genießen, sich durch lautes Rufen
zwischen ihren weit entfernten Sitzplätzen unterhalten. Immerhin, die
Murmeltiere bleiben unbeeindruckt (und mit den Tablets der Amis wohl
auch un-fotografiert).
Blick auf den Großvenediger (links, mit Schneekappe).
Jetzt geht's eigentlich nur noch runter, davon aber reichlich. Und wir
haben den ersten Blick auf den Bergkamm,in dem sich auch der
Großvenediger befindet, aber der versteckt sich bis zum Schluss hinter
dem Kleinen Happ. Dafür können wir in der Ferne das Defregger-Haus
ausmachen, quasi das Basislager für Großvenediger-Expeditionen. Das
ist doch glatt nochmal eine Fernseh-Pause wert! Und schwuppdiwupp, da läuft
uns auch prompt noch eine Gams durchs Bild.
Schließlich kommen wir doch noch unten an, also unten wie auf 2121m
bei der Johannishütte. Wir sehen ein paar SUV-Pferde: sportlich, aber mit so dünnen Staks-Beinen, dass sie kaum für die Bergwiesen geeignet sind (sie bleiben auch brav auf den Wegen). Anders als die Kühe und geländegängigen Schafe.
In der Hütte gibt's erst mal Kaiserschmarrn und Cola für alle. Eine
Gruppe Herren kommt gerade vom Großvenediger und will noch weiter zur
Sajathütte; sie können kaum glauben, dass wir für heute hier bleiben
und morgen dann schon wieder auf der Sajathütte bleiben wollen. Dafür
haben sie wahrscheinlich die Gams nicht gesehen. In der Hütte ist
ziemlich viel los, und auf der Terrasse ständig lautes Gequassel. Das
kann einem echt zu viel werden! Lieber noch ein bisschen die Pfade
entlang und weiter oben an den Hang gesetzt. Andererseits hat es auch
Vorteile, weil wir auf der Hütte verschiedene Leute treffen, die wir
nach dem besten Weg für morgen fragen können: über den Gipfel der
Kreuzspitze (3155m, steil und durch eine "senkrechte" Feldwand), oder
außen herum auf dem Sajat-Höhenweg (sehr ausgesetzt)? Ein 3000er wäre
schon noch schön.
Zum Abendessen gibt's Selleriesuppe (optional), Spinatknödel und Kirsch-Eis, sehr empfehlenswert, aber wie immer viel zu viel. Unsere Tischnachbarn sind erfahrene Bergwanderer und ebenfalls begeisterte Fotografen und wir unterhalten uns prächtig.
Das Lager, vor dem wir Zweibettzimmer-Verwöhnte etwas Angst hatten, ist wirklich komfortabel, riesige Matratzen, zu Zweien nebeneinander und von den Nachbarn durch eine halbhohe Bretterwand getrennt, mit reichlich Platz zum Abstellen des Rucksacks und Aufhängen der Kleidung. Und diese kuscheligen Decken erst! Die Mitschläfer sind zum Glück keine Mitschnarcher, nur einen aus einem anderen Lager hört man in unserem Zimmer und auch im danebenliegenden WC noch deutlich.
Dass die Johannishütte auch noch als Ausgangspunkt für Großvenediger-Touren genutzt wird, merkt man nicht zuletzt daran, dass man mitten in der Nacht im Waschraum Leute trifft, die sich schon mal die Sonnencreme für den Gletscher ins Gesicht schmieren.
Es ist doch ein Kreuz mit der Spitze! – Zur Sajathütte
Hier müssen wir etwas früher aufstehen, da die Lager schon um 8:30 Uhr geräumt sein müssen und es Frühstück nur bis 8 Uhr gibt. Dafür ist das reichhaltig, es gibt sogar frischen O-Saft, hoffentlich kriegen wir keinen Vitaminschock! Die bestellten Lunchpakete sind es ebenfalls, wahrscheinlich hätte doch eins für uns beide gereicht, aber ich wollte ja unbedingt mein eigenes Käsebrot. Dazu gibt's dann noch Wurstbrot, eine Packung Kitkat, zwei Nektarinen, eine Banane und eine Tafel Schokolade – für jeden. Das müsste sogar für einen größeren Anfall von Höhenangst reichen, oder?
Gämsen an der Kreuzspitze.
Wir haben beschlossen, über die Kreuzspitze zu gehen und den steilen Abstieg zu wagen, statt uns auf dem langen, ausgesetzten Höhenweg zu quälen. Über 1000m Aufstieg warten auf uns, zuerst wieder durch üppige Wiesen, dann durch weniger üppige, und am Ende über Schnee- und Geröllfelder bis zum Gipfelgrat. Diesmal überholen wir alle anderen Gruppen, die in dieselbe Richtung gehen; als wir zur Kreuzspitze abzweigen, sind wir endgültig allein. Diese herrliche Ruhe nach der Hektik in der Hütte!
Aufstieg zur Kreuzspitze.
Der Weg ist nicht gerade prächtig markiert, und der Grat doch ziemlich ausgesetzt und eine Kletterpartie. So hatte sich das gestern in der Beschreibung nicht angehört! Eine falsche Abzweigung, hier geht es nicht weiter. Ich klammere mich an die Felsen, während Gerhard den richtigen Weg suchend zurückgeht, hinter der nächsten Ecke verschwindet, im Wind kaum mehr zu hören ist... hat er gerufen, wir sind falsch, ich müsse zurück? Können vor Lachen! Ein paar Felsen noch, dann beschließe ich: hier geht's für mich nicht weiter. Dennoch: ich habe meine Nase über die 3000er-Grenze gestreckt (ich werde gleich erinnert, dass ich dafür eine Runde Schnaps auszugeben hätte. Okay: der Gelbe Enzian soll ganz furchtbar schmecken).
Es gibt noch nicht mal einen guten Erholungs-Sitzplatz, überall scheint es abwärts zu gehen. Aber ein paar Stücke Schokolade später, und nachdem wir immerhin so Zeit hatten, die Herde von über 20 Gämsen in der Ostwand der Kreuzspitze zu beobachten, komme ich doch wieder runter. Also nun wohl oder übel den langen Weg. Sobald wir wieder in Murmeltier-Land sind, verlagern wir erst mal die Vorräte aus unseren Rucksäcken näher an unseren Körperschwerpunkt. Eine gute Lastverteilung ist bei solchen Expeditionen schließlich unerlässlich
Der Sajat-Höhenweg verläuft leicht ansteigend in der Westwand von Schernerskopf und Knappenspitze, zwei niedrigeren Gipfeln des Kreuzspitz-Massivs. Unglücklicherweise sieht diese Westwand aufgrund der optischen Täuschung durch den schrägen Verlauf der Gesteinsschichten praktisch senkrecht aus (auf den Fotos sieht man das natürlich wieder mal nicht so richtig). Dass wir, kurz bevor wir da hineingehen, einen kleinen Erdrutsch oberhalb des Weges beobachten, mit Gerumpel und Staubwolke und allem, was dazugehört, hilft nicht wirklich. Hab ich erwähnt, dass Erdrutsche oft nicht von jetzt auf später passieren, sondern sich durch kleinere Rutschungen ankündigen, die dann exponentiell an Häufigkeit und Größe zunehmen, bis der ganze Hang abrutscht? Also, da wird jetzt jedenfalls keine Pause gemacht, bis wir vorbei sind! So viel Schokolade kann ich heute glaub ich gar nicht mehr essen, um den Stress auszugleichen. Zum Glück gibt es ein, zwei Stellen in der Wand, an denen man mal ein paar Quadratmeter mehr Platz hat, um sich auszuruhen. Dort werden wir von den Wanderern überholt, mit denen wir in der Essener und Rostocker Hütte an einem Tisch gesessen hatten — sie waren zwischendurch noch im Defregger-Haus. Zumindest die Frau scheint auch nicht sehr glücklich mit dieser Wand zu sein – beruhigend, dass es nicht nur mir so geht!
Der Sajat-Höhenweg ist extrem Steinschlag-gefährdet. Dagegen hilft auch ein Seil nicht. Hunde anleinen?! Die Sajatscharte: hier sind wir herunter gekommen.
Direkt an der Scharte gibt es eine Bank, wo wir erst mal Pause machen. Nur noch ein paar Serpentinen auf der anderen Seite herunter, dann sind wir an der Hütte. Erst mal wundere ich mich aber über die Beschilderung: Hunde anleinen! Wie um Himmels Willen hätte man hier überhaupt mit einem nicht-angeleinten Hund hinkommen sollen?
Die paar Serpentinen sind dann auch nochmal ein bisschen steiler als gedacht, aber dafür mehr oder weniger in einem Kamin und daher überhaupt nicht mehr ausgesetzt und vergleichsweise harmlos. Schnauf. Määhh. Ja, genau, da unten liegen schon wieder Schafe auf einem Schneefeld in der Sonne. Und es springt mal wieder eine Gams durchs Bild.
Blick aus dem Klofenster.
Komfortzimmer in der Sajathütte.
Wir haben ein Komfortzimmer in der Sajathütte. In diesem Fall ist es eines der Turmzimmer mit Blick auf das Tal der Isel und einem Hausrotschwanz-Nest direkt über einem Fenster. Es gibt bezogene Betten und ein eigenes Bad mit Dusche und WC. Der Luxus an der Dusche ist nicht wie erwartet unbegrenzt heißes Wasser, sondern ein ausgeklügelter Pieps-Mechanismus, der einem ankündigt, dass man bald wieder im Kalten steht.
Kaum sitzen wir frisch geduscht in der Gaststube (es gibt sogar Tee in der Kanne!), gibt es doch tatsächlich einen Hagelschauer! Über den Nachmittag haben sich beinahe unbemerkt Wolken angeschlichen. Wir treffen unsere Bekannten aus den letzten Hütten wieder. Wir wollen nochmal traditionell österreichisch essen und bestellen Schlupfkrapfen (eine Art Maultaschen, die in unserem Fall erstens viel zu viele sind und zweitens mit Knödelteig gefüllt). Die Küche meint es gut mit uns uns spendiert jedem ein Stück Apfelstrudel zum Nachtisch — da müssen die Krapfen halt ein bisschen zur Seite schlupfen). Und dann kommt ja noch der Gelbe Enzian drauf. Ich hab schon Schlimmeres getrunken.
Jetzt geht's nur noch abwärts
Rückblick zur Sajathütte und zur Roten Säule.
So, das war's dann schon fast wieder mit dem Bergwandern! Jetzt kommt nur noch der lange Abstieg ins Tal. Same procedure as every day, früh aufstehen, alles irgendwie in die Rucksäcke stopfen (diesmal vielleicht mit etwas weniger Sorgfalt als sonst), frühstücken, loslaufen. Die Murmeltiere verabschieden uns. Wir wurden auf die beachtenswerte Bergflora hingewiesen, die an diesem Südhang zu finden sei, und die Natur bietet tatsächlich noch einiges zu bestaunen, nicht zuletzt eine ganze Ansammlung von Edelweiß. Wie immer in solchen Fällen zieht sich der Abstieg hin, die Wege machen die unerfindlichsten Kurven und scheinen überhaupt nicht da zu sein, wo sie auf der Karte eingezeichnet sind, aber schließlich kommen wir doch in Hinterbichl und beim Auto an. Das Wasserkraftwerk Hinterbichl, das das Wasser des Dorferbaches mit einer Fallhöhe von über 600m nutzt, produziert etwa 1MW an Energie. Die knapp 30m² Solarzellen daneben gerade mal 1.5kW.
Die Bergstraßen bis zum Felbertauerntunnel sind frei und das Fahren macht Spaß und kann mir trotz der Kurven nicht den Appetit auf Schnitzel verderben. Zum Glück weiss heutzutage ja das Navigationsgerät Rat und führt uns direkt zum Brennerwirt in Mittersill, der dann auch wirklich Schnitzel auf der Karte hat. Auch wenn es kein echtes Wiener Schnitzel ist: Schwein gehabt!
Die A8 hat dann noch eine Überraschung für uns bereit: es ist überall Stau oder stockender Verkehr, außer zwischen Stuttgart und Karlsruhe! Wegen der langen Fahrzeit weiss ich jetzt allerhand über Murmeltiere, zum Beispiel, dass eben nicht eines aus der Kolonie immer Wache hält, sondern dass sie einfach nur gern auf erhöhten Plätzen herumliegen und dösen (siehe Wikipedia).
Fotos im Format 3:2 (c) Gerhard Bocksch 2015, alle anderen Fotos (c) Ute Schröder.