Die Höhle des Löwen
Wir werden heute nur einen Tagesausflug machen und müssen endlich mal nicht alles verstauen und einpacken. Der Daunenschlafsack freut sich — man wird ja wohl den kleinen Khaled davon fernhalten? Um acht gibt's Frühstück im Empfangszimmer, der Hausherr ißt auch mit und bringt noch extra Olivenöl, vor allem für die Berber, die wohl mit Marmelade und Frischkäse nicht allzu viel anfangen können. Dazu gibt es frisch gebackenes Brot, es ist noch ganz warm und sehr lecker!
Morgensonne in der Schlucht von Tislit
Unser Versuch, Mohamed (den Führer) davon zu überzeugen, daß wir für eine Tagestour keine Bastmatte, keine Matratzen, keinen Salat und auch keine Maultiere brauchen, schlägt fehl. Immerhin darf das Küchenzelt zuhause bleiben... Achmed, der Hausherr, begleitet uns, und die beiden Maultiertreiber einschließlich Maultiere kommen ebenfalls mit. Es geht wieder durch die Schlucht, und dann in ein Seitental hinauf. In der Morgensonne sehen die Felsen natürlich ganz anders aus und wollen alle nochmal fotografiert werden. Die Maultiertreiber reiten heute auf ihren leicht beladenen Tieren und sehen beide sehr vergnügt aus. Sie kommen viel schneller voran als wir und sind bald außer Sicht.
Die Höhle von weitem... und aus der Nähe.
Am Ende des Seitentales ist eine große
Hoehle, die von Hirten als Ziegen- und Schafstall genutzt wird, was man an der dicken Schicht Köttel und dem beißenden Ammoniak-Geruch merkt. Am Eingang sind kleine Bereiche durch Mauern und dornige Sträucher abgetrennt, wo die Hirten wohnen, wenn sie in der Gegend sind. Kleidungsstücke und ein Topf liegen herum. Möglichst ohne zu atmen betreten wir die Höhle. Mohamed (der Führer) und Achmed sind entzückt, daß wir unsere Stirnlampen dabei haben, und sie nutzen die Gelegenheit, tiefer in die Höhle einzudringen,als ihnen das bisher möglich war. Wir zwängen uns durch ein paar enge Löcher und klettern über kleine Mauern, die die Hirten wohl errichtet haben, um die Ziegen fernzuhalten (ohne Erfolg). Es ist eine Art Tropfsteinhöhle, aber alles ist staubtrocken. Nach einem weiteren engen Durchgang stellt sich raus, daß wir im Kreis gelaufen sind und uns wieder dem Ausgang nähern. Luft! Mohamed möchte auch noch eine kleine Nebenhöhle erforschen, in der es noch staubiger und stickiger ist, und zum Glück ist sie nicht tief. Puh, nichts wie raus hier!
Wieder an der frischen Luft, gehen wir an der Höhle vorbei weiter den Berg hinauf bis auf eine Hochebene, die genau über der Höhle liegt. Hier machen wir Mittagspause (Rastplatz 4). Die Maultiertreiber erwarten uns schon. Ich muß erst mal das nahegelegene ausgetrocknete Flußbett nach einem Tümpel absuchen, um mir den Staub udn Dreck von den Fingern zu waschen — besser schlammverschmiert als voller Ziegensch... gut, daß Esther ihr Desinfektionswaschgel dabei hat. Mohamed (der zweite Maultiertreiber) bringt natürlich noch extra Wasser zum Händewaschen, bevor wir uns ans Salat schnippeln machen. Nix mit einem einfachen Mahl aus Wasser, Datteln und Nüssen! Aber dafür gibt's jetzt zusätzlich Nüsse; während wir im Halbschlaf in der Sonne dösen, hören wir ständig ein Klopfen: die Maultiertreiber knacken mit einem Stein Walnüsse für uns. Sta! Essen!
In Ermangelung von Bäumen sitzen wir heute in der prallen Sonne, was wegen der kühlen Luft und des Windes auch sehr angenehm ist. Auch wenn ich nach dem Mittagsschlaf beinahe einen Sonnenstich habe.
Auf dem Rückweg gehen wir nicht wieder durch die Schlucht, sondern oben auf den Felsen am Rand entlang. Sozusagen mitten zwischen den Köpfen, die wir gestern von unten betrachtet haben. Ich kann gerade noch der Versuchung widerstehen, zu probieren, ob ich einen der großen runden Felsen ins Tal schubsen könnte oder nicht. Jedenfalls eine gute Gelegenheit, das komische Konglomerat näher zu betrachten und natürlich haufenweise weitere Fotos zu machen. Wir finden — wie gestern auch schon — jede Menge kleiner, metallisch glänzender Steine; Mohamed (der Führer) sagt, es wäre eine Form von Eisenerz. Außerdem begegnen wir einen großen Schaf- und Ziegenherde; die Viecher haben große gewundene Hörner und bieten wiederum gute Fotomotive. Achmed kennt den Hirten (hier kennt sowieso fast jeder jeden). Nach einer weiteren kurzen Pause, die erheblich zur Verminderung unserer Vorräte an Nüssen und Mandeln beiträgt, erreichen wir bald wieder Tislit. Wir werden von einer Schar Kinder begrüßt, die uns hinterherlaufen und auf uns einreden, bis Mohamed sie verscheucht — was sie wollten, bleibt unklar; Teppiche verkaufen oder Bonbons oder Kugelschreiber erbetteln?
Als wir wieder in Achmeds Haus sind, müssen wir erst mal die Kinder bespaßen; der kleine Mohamed spielt begeistert mit meiner Sonnenbrille und Saina genießt einfach unsere Gesellschaft, auch wenn wir uns fast nicht unterhalten können — sie spricht nur wenige Worte französisch. Sie muß tagsüber auf den kleinen Khaled aufpassen und kann daher nicht zur Schule gehen. Zur Teezeremonie im Empfangszimmer sind Mädchen scheinbar auch nicht zugelassen; während der kleine Mohamed mit hereinkommt und ihm auch Tee und Kekse angeboten werden, wartet Saina draußen an der Tür. Esther geht schließlich hinaus, und Saina zeigt ihr das Dorf und die Schule, stellt sie der Lehrerin und dem Dorfvorsteher vor. Die Lehrerin erzählt, daß sie hier allein für 25 Kinder der Klassen 1--6 zuständig ist. Viele der Kinder kommen unregelmäßig, wenn überhaupt; meist eher Jungs als Mädchen und zur Erntezeit kommt sowieso niemand. Eine weiterführende Schule gibt es im Dorf nicht; die Kinder müßten ein Internat besuchen, aber selbst wenn sie das dürfen, finden sie dort nur schwer Anschluß, weil das, was sie bein gelegentlichen Schulbesuch im Dorf gelernt haben, dafür einfach nicht ausreicht.
Zum Abendessen kocht Hadija, die Frau von Achmed, Tajine, mit Fleisch und einem großen Gemüseberg. Wieder ißt sie selber nicht mit, bis wir und die Männer fertig sind; und auch die Kinder essen extra, bis auf den kleinen Hassan, er ist ungefähr fünf Jahre alt und auf dem Küchenfußboden schon fast eingeschlafen, als sein Vater ihn ermuntert, sich etwas zu nehmen. Wie gestern wird zuerst das Gemüse von dem Berg gegessen, und wenn keiner mehr will, werden die Fleischstücke darunter hervorgesucht und dann gegessen. Dazu muß man sie im Tajine-Topf mit den Fingern der rechten Hand solange daran herumzupfen, bis man ein Stück für sich abgetrennt hat — eine Kunst für sich. Ich bleibe lieber beim Gemüse. Nach dem Essen gibt es noch Tee; wie schon mittags mit Thymian statt mit Minze oder Safran zubereitet. Schmeckt ein bißchen wie Hustensaft. Den Thymian haben Mohamed und Achmed heute auf der Wanderung gesammelt.
Und ab geht's ins Bett, es ist erst halb neun, aber was soll man sonst den ganzen kalten, dunklen Abend lang machen? Noch lesen und Tagebuch schreiben. Hier gibt's immerhin ausfallfreien Strom.
Zum RueckWeg nach Taliwine.