Toliara
Es geht Richtung Süden, nach Tulear oder Toliara, je
nachdem, welche der lokalen Sprachen man verwendet. Die Landschaft ist
zunächst noch ziemlich karg, mit einzelnen Bismarckia-Palmen. Nach
einiger Zeit kommen wir durch
Ilakaka, die bedeutendste
Saphirgräber-Stadt in Madagaskar. Patrick hält nicht an, denn hier
gibt es wohl oft Raubüberfälle und dergleichen gibt; wir können also
nur im Vorbeifahren schauen. Die Städte sehen nicht viel anders aus
als alle anderen Ort, die wir bisher gesehen haben, abgesehen davon,
daß die Ladenfronten der
Gem Shops mit Gittern gesichert sind
und es weniger Straßenhandel gibt. Alle Restaurants und Hotels heißen
irgendwas mit "Saphir" im Namen. Auch
Manombo Be
(Groß-Manombo) und
Manombo Kely (Klein-Manombo) sind
Orte, in deren Umgebung nach Edelsteinen gegraben wird.
Bald darauf ändert sich die Landschaft plötzlich, es ist
bewaldet. Eine Gruppe Ringelschwanzlemuren sitzt mitten auf der Straße
und entgeht nur knapp unserem Auto. Patrick sagt, sie warten auf
Regen, da es im Wald zur Zeit sehr trocken ist. Die Straße führt
jetzt mitten durch den Zombitse Nationalpark, der vor allem wegen einer bestimmten
endemischen Vogelart angelegt wurde.
Kurze Zeit später sehen wir die
ersten Baobabs oder Affenbrotbäume. Patrick meint, wir sollen gleich
den ersten ausgiebig betrachten und fotografieren. Warum? Weil die
nächsten alle in der Nähe von Dörfern stehen und wir dann durch
bettelnde Kinder belästigt werden. Hat er mal wieder Recht gehabt!
Kaum hält er am Rand eines Dorfes an, kommt eine ganze Horde Kinder
auf uns zu. So viele Kugelschreiber haben wir nun doch nicht
dabei. Die Baobabs haben gelbe, ulkig aussehende Blüten, die rundherum
auf dem Boden liegen. Wir machen unsere Fotos und sehen zu, daß wir
weiter kommen. Am Straßenrand sind oft Ziegen. oder Zebu-Hirten zu
beobachten, meist ein oder zwei Jungs mit ein paar Tieren. Die Dörfer
sehen ärmlicher aus als in der Gegend von Tana, was laut Patrick daran
liegt, daß es hier trockener ist und daher nicht so viel wächst. Es
gibt keine Reisfelder mehr, nur gelegentlich Mais- oder Maniokfelder, Mango-
und Papaya-Bäume. Die Leute leben in eingeschossigen kleinen
Lehmhütten. Die Straße wird oft durch Furten unterbrochen, aber keines
der Flußbetten führt Wasser.
Das Hotel Palétuvier in Toliara.
Eine
Weile später, wir sind jetzt bestimmt schon vier Stunden unterwegs,
ändert sich die Landschaft erneut, wird buschiger. Merkwürdig
aussehende Bäume tauchen auf; sie enthalten einen weißen, gummiartigen
Saft. Endlich sieht man in der Ferne das Meer! Wir erreichen Toliara,
das etwa 800.000 Einwohner hat. Die meisten davon gehören zum Stamm
der Feso, die vornehmlich Fischer sind. Im
Hotel Paletuvier, das Patrick für uns ausgesucht hat, findet heute Abend
eine Hochzeit statt, was für uns zwei Nachteile hat: erstens ist
vorauszusehen, daß es die Nacht über laut zugehen wird, und zweitens
ist das einzige Zimmer mit Klimaanlage für das Brautpaar
reserviert. Patrick bietet uns an, uns woanders unterzubringen, aber
er muß hier bleiben, weil dies wohl das einzige Hotel mit eigenem
Parkplatz ist, und es sei nicht sicher, das Auto nachts auf der Straße
stehen zu lassen. Also gut, dann bleiben wir auch hier – besser laut
und warm und mit Patrick in der Nähe als ganz allein in einem anderen
Hotel, wo uns womöglich niemand versteht. Es stellt sich dann nachts
heraus, daß die Open-Air-Musikkneipe vor unserem Fenster viel
schlimmer ist als die Hochzeitsfeier, von der wir praktisch nichts
hören. Tulear ist eben eine Stadt für Touristen und Parties. Das Hotel
ist ein richtiges Haus, überhaupt gibt's hier ziemlich viele richtige,
mehrstöckige Häuser. Es gibt auch einen großen Pool, der aber nach den
natural pools in Isalo nicht wirklich attraktiv ist. Die
fehlende Klimaanlage ist wirklich übel, denn hier ist die Luft viel
schwüler und heißer als irgendwo sonst, wo wir bisher waren, und es
kühlt auch über Nacht nicht ab. Zum Abendessen bringen Patrick und
Dimbi uns in das Restaurant Le Jardin, das einem echten
Italiener gehört und echte italienisch schmeckende Pizza serviert (sie
selber gehen lieber einheimisch essen). Es gibt sogar echtes
italienisches Eis, und die Sortenauswahl auf der Karte ist
exotisch: Baobab, Jackfruit, Ananas, Papaya, Mango usw. Allerdings
gibt es wohl ein Problem mit der Zuordnung: ich bestelle Ananas,
Papaya und Aprikose, und nur die Ananas ist als solche erkennbar und
das auch nur mit viel gutem Willen. Der Digestiv wird in einer
Baby-Nuckelflasche serviert. Nach dem Essen holen uns Patrick und
Dimbi wieder ab.
Abends bereiten wir uns auf den Rückflug nach Tana vor: alles, was
nicht ins Handgepäck darf, wird in den großen Rucksäcken verstaut und
dann ins Auto gepackt. Wir wollen nicht noch einmal ein verlorenes
Gepäckstück riskieren. Dimbi fährt das Auto dann im Morgengrauen nach
Tana zurück, während wir noch einen Tag in Toliara verbringen und
übermorgen hinterher fliegen. Nach einer letzten kalten Dusche – die
wievielte heute? Hier ist es wirklich schrecklich heiß und feucht --
gehen wir ins Bett und lassen Ventilator und Ohrstöpsel ihren Job
machen.
Am nächsten Morgen sind wir nicht wirklich ausgeschlafen. Dafür ist
dies der erste Tag auf der ganzen Reise, der kein "Programm" hat: kein
Nationalpark muß besichtigt werden und keine stundenlange Autofahrt
steht bevor. Um neun Uhr treffen wir uns zum Frühstück, es gibt hier
Auswahl zwischen Petit und Continental Dejuner, und dazu noch Omlette
oder Spiegelei. Frische Früchte sind allerdings nur auf Anfrage und
nach einiger Wartezeit erhältlich, aber immerhin, wir kriegen drei
Mangos. So wie es bei uns verschiedene Sorten Äpfel gibt, gibt's hier
verschiedene Arten von Mangos, die sich durch Farbe und Geschmack
unterscheiden (diese hier sind orange, die gestern waren
grün). Patrick erklärt erst mal, wie man diese Dinger zivilisiert
aufschneidet und ißt: die Dinger haben in der Mitte einen länglichen
Kern, um den herum man das Fruchtfleisch außen in Streifen
abschneidet. Irgendwie in der Theorie gut, aber alles ist hinterher
voller Mangosaft.
Wir machen uns auf zu einem Stadtbummel. Da heute erstens Sonntag und
zweitens Weihnachtsferien sind, haben praktisch alle Geschäfte
einschließlich der Post geschlossen, und auch auf dem Markt ist fast
nichts los. Die Sonne scheint erbarmungslos auf die Straßen, und es
ist sowieso viel zu warm, um hier draußen herumzulaufen.
Patrick ruft zwei Rikschas,
mit denen wir zum
Hafen fahren. Er wäre am liebsten sofort wieder
zurückgefahren, aber wir bestehen darauf, auszusteigen und uns
umzusehen. Wir stehen auf einem Platz bzw. einer breiten Straße, die
an einer Seite einen Durchgang zum Strand hat. Das erste, was einem
auffällt, ist der üble Geruch, der hier in der Luft hängt.
Blick auf den Hafen von Toliara.
Patrick
weigert sich, uns zu begleiten, als wir die Absicht äußern,
tatsächlich an dem Müllhaufen vorbei zum Wasser zu laufen. Vielleicht
gar keine so schlechte Idee: das erste, was wir an unseren Händen, mit
denen wir die Nasen zuhalten, vorbei erkennen können, ist eine fette
Frau, die ihren Rock hochgezogen hat und direkt vor unseren Augen ihr
großes Geschäft erledigt. Auf Zehenspitzen hüpfen wir zwischen den
Haufen hindurch und erreichen schließlich den Strand, bzw. den Rand
des Wassers. Hier ist die Luft endlich besser, und es weht ein
erfrischen kühler Wind vom Meer her. Viele Ausleger-Kanus liegen hier
im Wasser und an Land; einige von ihnen sind auf der Bucht unterwegs,
teilweise mit Segel. Einige wenige der Kanus sind noch echte
Einbäume.
Das Wasser ist hier bis weit
draußen sehr flach, erst in der Ferne sieht man, wie sich die Wellen
brechen – vor der Küste befindet sich ein Korallenriff. Der
Überseehafen am Südende der Bucht liegt daher ein ganzes Stück vor der
eigentlichen Küste und ist über eine künstlich aufgeschüttete Straße
erreichbar. 800km weiter im Westen liegt das afrikanische Festland.
Wir gehen nun die Straße entlang zurück Richtung Innenstadt und suchen
das erste schöne Restaurant, das eine Terasse direkt am Meer hat, um
dort eine Weile im Schatten zu sitzen und was Kühles zu trinken. Die
Hotels und Restaurants liegen alle zwischen der Straße und dem
Strand. Hier ist es wirklich angenehm. Frank liest, und
Patrick und ich schauen aufs Meer. Touristen werden mit Motorbooten
zum Tauchen oder Schnorcheln an das Riff gefahren, und damit sie sich
nicht die Füße naß machen, wenn sie in die Boote steigen, werden sie
mit Zebu-Karren zu den Booten hinausgefahren.
Touristen werden in Zebu-Karren zu den
Motorbooten gefahren, die sie zum Riff bringen. Im Hintergrund die
künstliche Straße, die zum Überseehafen führt.
Als wir so eine Weile dagesessen haben kommt mir die Idee, mir Zöpfe
flechten zu lassen, wie sie hier viele Frauen und Mädchen haben. Bevor
ich länger drüber nachdenken kann, hat Patrick schon an der Rezeption
gefragt und arrangiert, daß eine Frau herkommt, die sich damit
auskennt. Da das eine Weile dauert, bestellen wir in der Zwischenzeit
was zu Essen, und das ist natürlich grad dann fertig, als die Frau
kommt. Sie bringt ihren Mann als Übersetzer mit, denn sie kann kein
Englisch. Außerdem muß er auf die kleine Tochter aufpassen, während
sie mit meinen Haaren beschäftigt ist. Er stellt sie uns gans stolz
vor: Sarah, fünf Monate. Seine Vorfahren kamen vor vielen Jahren aus
Deutschland. Seine Frau ist sehr flink, es ist ganz erstaunlich, wie
schnell sich ihre Hände bewegen. Als sie fertig ist mit flechten, geht
ihr Mann nochmal los, um einen Haufen bunter Gummibänder zu kaufen,
mit denen das Kunstwerk dann fixiert wird.
Die ganze Prozedur hat etwas über eien Stunde gedauert. Die kleine
Sarah und ich sind jetzt gleichermaßen hungrig. Nachdem wir der Frau
ein reichliches Trinkgeld gegeben haben, Bezahlung wollte sie nämlich
nicht, stillt sie Sarah direkt an Ort und Stelle im Stehen. Wie
unkompliziert hier alles ist, im Vergleich zu Deutschland!
Wahrscheinlich gibt's im malegassischen noch nicht mal ein Wort für
"Stillkissen". Ich mache mich derweile über meine wieder-aufgewärmten
frittierten Krabben mit Pommes her, eine leckere Zebu- und Reis-freie
Mahlzeit.
Anschließend gehen wir zurück in unser eigenes Hotel und verbringen da
noch einen sehr ruhigen und entspannten Nachmittag (trotz der
Temperaturen). Abends gehen wir wieder zu den Italiener, und nachdem
Patrick gehört hat, daß es da auch große Portionen gibt, und weil ihm
sein Essen von gestern Abend auf den Magen geschlagen ist, kommt er
sogar mit. Die Eiszusammenstellung ist genauso merkwürdig wie gestern,
das Pistazieneis schmeckt nach Erdnüssen, aber die Pizza und die
Spaghetti sind 1a.
Im 'Le
Jardin' wird der Digestiv in einer Nuckelflasche serviert.
Zwischendurch kommt ein Anruf von Air Madagascar, daß unser Flug nicht
wie geplant um 6 Uhr morgens, sondern erst um 11 Uhr geht. Patrick
befürchtet einen blöden Scherz, sowas passiert wohl hier bisweilen,
und will deswegen sicherheitshalber später nochmal bei Air Madagascar
anrufen.
Hier ist es so warm, daß man beliebig oft duschen könnte – nach dem
Aufstehen, bevor man ausgeht, wenn man heim kommt, bevor man ins Bett
geht. Aber es ist auch das erste Mal, daß wir unbehelligt von Moskitos
sind, was wohl zum Teil daran liegt, daß es draußen so warm ist, daß
es gar keinen Sinn macht, die Balkontür zum lüften zu öffnen. Und vor
dem Fenster ist ein Moskitonetzt. Im Zimmer läuft die ganze Zeit der
Ventilator. Steifer Nacken durch Zugluft? Besser als im Schweiß
ertrinken!
Da Patrick sich bis zum nächsten Morgen nicht nochmal meldet, scheint
es mit dem späteren Flug seine Richtigkeit zu haben. Wohl weil heute
Montag ist und alle heute arbeiten müssen statt die Nacht durch zu
feiern, war es nachts verhältnismäßig ruhig. In ruhe frühstücken wir,
nachdem wir schon recht früh aufgewacht sind. Dann nehmen wir ein Taxi
zum Flughafen. Sollte es uns beunruhigen, daß der Tacho nicht
funktioniert? Wohl kaum, denn eine überhöhte Geschwindigkeit kann
diese Klapperkiste bestimmt nicht erreichen.
Wir kommen reichlich früh am Flughafen von Toliara
an. Patrick gibt sein Gepäck auf, und wir checken ein. Es stellt sich
raus, daß der Flug kein Direktflug ist, sondern daß wir in Morondava
zwischenlanden werden. Draußen am
Eingang ist es am kühlsten wenigsten heiß, im
Schatten des Gebäudes versammeln sich immer mehr Menschen, die auf den
Flug warten. Es geht ein leichter Wind. Nach etwa einer Stunde kommt
eine Durchsage, daß alle Passagiere wegen der Verspätung des Fluges
ein kostenloses Lunchpaket bekommen: ein Sandwich und ein gekühltes
Getränk. Mittagessen ist gesichert, hurrah! Am Flughafen gibt es einen
Souvenirshop, der sogar eine reiche Auswahl an Postkarten
anbietet. Frank kauft ein T-Shirt der "Maki Company". Briefmarken
haben wir aber noch immer keine.
Endlich ist es soweit, daß wir zum Gate dürfen. Dieser abgeteilte Raum
hat alle 2m eine Hochleistungs-Klimanalage von der Größe eines großen
Kühschrankes stehen, die auf 16°C eingestellt ist. Kurz bevor ich am
Sitz festgefroren bin, dürfen wir nach draußen zum Flugzeug. Es ist
eine turboprop Maschine mit etwa 80 Sitzplätzen. Wie bei Ryanair gilt
freie Platzwahl. Wir sitzen vorne, fast direkt neben den Propellern.
Madagaskar von oben sieht praktisch genauso aus wie von unten: ziemlich
viel rötlicher Boden, große Flächen ohne Vegetation oder nur mit ein
paag einzelnen Bäumen, kahle Felder. Wir sehen ein paar Flüsse, die
wenig oder gar kein Wasser führen. Immerhin gibt's an Bord was zu
trinken.
In
Morondava müssen wir alle kurz aussteigen, und nach
zwanzig Minuten geht's weiter. Das Flugzeug ist, wie bisher auch
schon, wieder voll besetzt. Endlich, am frühen Nachmittag, landen wir
in
Antananarivo.
Während Patrick sein Gepäck holt, wollen wir nochmal Geld wechseln,
aber die Wechselstube hat keine Ariary mehr. Also müssen wir per
Kreditkarte am Automaten Geld abheben. Der Automat gibt als größte
Summe "nur" 200.000 Ariary auf einmal raus, das sind etwa 70 Euro. Wir
würden auch ganz gern am Air France Schalter unseren Rückflug
bestätigen lassen, das sollte man wohl unbedingt machen, aber der
Schalter hat geschlossen (ebenso wie das Klo) und macht erst ab 16 Uhr
auf. Als zehn nach Vier immer noch niemand in Sicht ist, geben wir es
auf. Draußen erwartet uns Dimbi schon mit dem Auto und dem Gepäck. Auf
in Tanas Verkehrschaos! Kurzer Zwischenstopp am Supermarkt zum Tanken und Wasser und Chips kaufen, weiter
geht's. Irgendwo mitten in Tana setzen wir Dimbi ab. Die Sonne geht
schon unter, als wir endlich die Grenzen der Stadt hinter uns gelassen
haben, aber uns stehen noch ein paar Stunden Fahrt nach AndasiBe
bevor...
Fast alle Fotos (c) by Frank Spychalski.