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LesCrosets
Skifahren in der Schweiz
Im Dezember 2011 fragten mich ein paar Freunde aus Karlsruhe, ob ich
mit ihnen zum Skifahren kommen wollte. Sie fahren jedes Jahr gemeinsam
in den Skiurlaub, aber dieses Jahr hatte jemand kurzfristig absagen
müssen, so dass noch ein Platz frei war. Obwohl ich bisher noch nie Ski
gefahren war, sagte ich sofort zu.
Meine Freunde hatten eine Menge Erfahrung mit der Planung dieses
Urlaubs, und ich brauchte nichts weiter zu tun, als meine Sachen zu
packen und einen Tag vor der geplanten Abfahrt mit der Bahn von
München nach Karlsruhe zu fahren. Ich wurde sogar am Bahnhof abgeholt!
Am nächsten Morgen traf sich die ganze Gruppe, um das Gepäck und die
Personen auf zwei Autos zu verteilen. Wir waren insgesamt sechs Leute:
Sonja und Rolland, Gerhard, Markus, Alex und ich. Dank des
Dachgepäckträgers war genug Platz für alles, und wir machten uns guter
Dinge auf den Weg in die Schweiz. Ich wurde rasch in die üblichen
Rituale eingeführt, die sich auf dieser Fahrt abspielen. Zum Beispiel
bekommt man auf den Autobahntoiletten einen Gutschein über einen
Schweizer Franken, wenn man die Toilette benutzt und dafür
bezahlt. Dieser Gutschein wird anschließend zum Kauf eines einzelnen
Schokokusses verwendet. Die Schweizer Schokoküsse sind viel
schokoladiger als die deutschen.
In Bern machten wir eine gemütliche Tee-und-Kekse Pause bei Esther,
einer Freundin, die ich in England kennen gelernt hatte. Anschließend
wurden in einem Supermarkt in Monthey noch die letzten notwendigen (oder nicht
ganz so notwendigen) Dinge eingekauft, z.B. massenhaft Schokolade,
Wurst und Käse. Dann verließen wir die Autobahn und ab jetzt ging es
endlich in die Berge! Die Straße war zwar schmal und kurvig, aber vom
Schnee geräumt und gut befahrbar. Ungefähr gegen 18 Uhr erreichten wir
Les Crosets, den Ort, wo sich unsere Ferienwohnung befand.
Wie
versprochen lag diese Wohnung in einem Haus, das sich mitten zwischen
den Skiliften am Ende der Pisten befand. Das hört sich sehr praktisch
zum Skilaufen an, und das ist es auch. Der Nachteil ist allerdings,
dass mitten in der Nacht die Pistenraupen ständig rund um das Haus
herum fahren, um die Skipisten für den nächsten Tag zu
präparieren. Daher war ich am nächsten Morgen unausgeschlafen und
nicht in der besten Stimmung, meinen ersten Versuch mit den Skiern zu
machen. Erst mal musste ich die Ausrüstung ausleihen, was, genauso wie
der Skipass, den man braucht, um die Lifte benutzen zu können, nicht
ganz billig war. Skistiefel sind ausgesprochen unbequeme
Kleidungsstücke. Sie sind mit Absicht so eng, dass man den Fuß gar
nicht mehr bewegen kann, denn sie sollen einen ja vor dem Umknicken
schützen. Deshalb drücken sie ganz furchtbar, vor allem am
Schienbein. Man kann auch nicht ganz gerade darin stehen, sondern muss
die Beine immer leicht anwinkeln. Noch bevor ich auf den Skiern stand,
hatte ich eigentlich die Nase voll von Skifahren! Aber mit Hilfe
meiner Freunde, die nicht nur selber sehr gute Skifahrer sind, sondern
sich auch als gute Skilehrer erwiesen, schaffte ich es bis zum Skilift
und dann den Hausberg hinauf. Ich kam auch ohne Hinfallen aus dem Lift
wieder raus, und sogar ohne schwerwiegende Zwischenfälle den Berg
wieder runter, obwohl ich vermutlich den größten Teil der Strecke auf
dem Hintern oder dem Bauch zurückgelegt habe statt auf den Skiern!
Sonja zeigte mir dann den Idiotenhügel, damit ich in flachem Gelände
die grundlegenden Dinge (wie zum Beispiel Kurven fahren, bremsen und
anhalten) lernen konnte. Das sind tatsächlich wichtige Fähigkeiten,
würde ich im Nachhinein sagen. Währenddessen fuhren die anderen zur
"Käsekneipe", einer Käserei, die mitten im Skigebiet liegt. Dort
erstanden sie ein ganzes Rad besten Schweizer Bergkäse, der während
der Woche unser Hauptnahrungsmittel sein würde.
Am Nachmittag fuhren wir noch ein paar Mal den Hausberg hinauf und
hinunter. Dabei entdeckte ich die "anfangende Rennbahn", was wohl
ein Übersetzungsfehler war und eigentlich "Anfängerpiste" heißen
sollte. Aber es war wirklich eine Rennbahn! Da ich noch nicht bremsen
konnte, war ich sehr froh darüber, dass am Ende dieser Strecke eine
Menge loser, tiefer Schnee war, wo ich mich einfach reinfallen lassen
konnte. Als Sonja und ich schließlich zurück in die Ferienwohnung
kamen, war etwa ein Viertel des Käserades schon aufgegessen! Käse ist
eine sehr universell einsetzbare Energie- und Protein-Quelle. Man kann
ihn über Pasta und auf Brot tun, in Gemüsesuppe reiben oder einfach so
essen. Im Laufe der Woche würden wir noch weitere Möglichkeiten der
Anwendung ausprobieren.
Am zweiten Tag wollten meine Freunde auf eine große Tour gehen. Sie
beschrieben mir die Vorzüge dieser Tour so anschaulich, dass ich
natürlich auch mit wollte! Sie schauten etwas überrascht, dass ich als
Anfänger mir das zutraute, und sie beschlossen, dass ich mit dürfe,
wenn ich die "anfangende Rennbahn" hinunterfahren könne, ohne am
Ende im Schnee zu landen. Nun, das war ganz eindeutig eine bessere
Motivation als einfach nur zu versuchen, sich nicht die Knochen zu
brechen! Ich glitt die Rennbahn sanft hinunter und nichts außer meinen
Skiern und Stöcken kam mit dem Schnee in Kontakt. Und los ging's auf
die große Rundtour! Leider war das Wetter nicht sehr gut, es war sehr
neblig und meistens konnten wir nicht wirklich gut sehen, wo wir
eigentlich hinfuhren. Das war aber für meine Freunde kein Problem,
weil sie die Gegend ja schon aus früheren Jahren kannten. Und für mich
war es auch von Vorteil, weil ich mich wahrscheinlich einige Abhänge gar
nicht hinuntergetraut hätte, wenn ich gesehen hätte, wie steil
sie wirklich waren! Ich glitt sehr viel seitlich die Hänge hinunter
anstatt geradeaus zu fahren, denn dadurch wird man nicht so schnell,
und das ist ein guter Plan, wenn man noch nicht richtig bremsen kann.
Am Dienstag, dem dritten Tag, hatte ich eine Schneeschuhtour
geplant. Die Planung beschränkte sich allerdings darauf, dass ich meine
Schneeschuhe von zuhause mitgebracht hatte. Daher musste ich erst mal
wieder zum Skiverleih, wo es auch Wanderkarten für Schneeschuhtouren
gab. Der Angestellte in dem Laden zeigte mir sogar noch, wo der
Startpunkt der Touren war — und das war definitiv notwendig, denn auf
der Karte war außer dem eigentlichen Weg praktisch gar nichts
eingezeichnet, was es ziemlich unmöglich machte, sich allein damit
zurechtzufinden. Wieder war das Wetter neblig. Dadurch konnte ich eine
Menge Speicherplatz auf meiner Kamera sparen, denn sonst hätte ich
bestimmt alle paar Minuten ein Foto von den Dents du Midi gemacht,
einer Bergkette, die sehr imposant über das Tal ragt.
Wie erwartet, dauerte es nicht lange, bis ich mich verlaufen
hatte. Bzw. bis ich den Weg verloren hatte, denn ich hatte noch eine
Sommer-Wanderkarte und auf der wusste ich noch genau, wo ich bin. Das
nützte nur nicht viel, denn der Schneeschuh-Pfad hatte offenbar nichts
mit den Sommerwanderwegen zu tun, die nun unter etwa 150 cm Schnee
verborgen waren. Gelegentlich hatte ich noch ein paar Wegweiser
gesehen, aber da die Schneeschuhwege offenbar nur zur Begehung in
einer Richtung gedacht waren, ich aber andersherum unterwegs war,
waren die nächsten Pfeile oft nicht erkennbar. Ich befand mich
jedenfalls plötzlich viel höher auf dem Berg Pointe de l'Au, als ich
eigentlich vorgehabt hatte. Wegen der Lawinengefahr konnte ich nicht
den direkten Weg zurück zum Pfad nehmen, sondern musste noch weiter,
ganz um den Gipfel des Aiguille des Champeys herum (da waren wir
gestern schon mit Skiern gewesen). Im Dorf Champoussin fragte ich nach
dem weiteren Weg, und ein sehr eifriger Angestellter eines Skiliftes
fuchtelte wild mit den Armen und redete auf mich ein — leider nur
auf französisch. Das einzige, was ich verstand, war, dass es zurück
nach Les Crosets noch 10 km
sein sollten, was sich aber zum Glück als gewaltige Übertreibung
herausstellte. Der Weg zurück, als ich ihn dann gefunden hatte,
verlief ereignislos entlang einer flachen Forststraße durch den Wald,
mit gelegentlichem Ausblick auf die wolkenverhangenen Dents du
Midi. An diesem Abend gab es Käsefondue, und wegen eines
Missverständnisses beim Einkaufen hatten wir eine riesige Menge an
Käse. Es passte noch nicht mal alles auf einmal in den Topf! Dennoch
gab es lange Gesichter, als der Caquelon schließlich leer war.
Die Abende in der Wohnung waren stets sehr entspannt. Normalerweise
nahm jeder nach dem Skifahren erst mal ein Bad, und dann wurde das
Abendessen zubereitet. Diejenigen, die daran nicht beteiligt waren,
lümmelten mit einem Buch auf dem Sofa. Es war auch sehr beliebt, aus
dem Fenster in die Dunkelheit zu schauen und die Pistenraupen zu
beobachten. Manchmal gingen wir nach dem Abendessen noch etwas
spazieren, in der vergeblichen Hoffnung, dies würde die Verdauung des
zu viel gegessenen Käses beschleunigen.
Mittwoch war der Tag der Chavanette. Diese Piste ist eine der
schwierigsten in Europa, wenn nicht sogar auf der Welt. Wegen der
exzellenten Schneeverhältnisse in diesem Jahr war sie aber besser
fahrbar als in anderen Jahren. Vor einiger Zeit hatte Alex an dieser
Piste einen schweren Unfall (den er aber zum Glück ohne bleibende
Schäden überstand), und seitdem war kaum einer meiner Freunde dort
wieder gefahren. Dieses Jahr versuchten es aber vier von ihnen, und
alle kamen wohlbehalten unten an. Rolland und ich bevorzugten es, mit
dem Lift wieder runterzufahren, was auch schon einigen Mut erfordert,
denn der Lift stürzt sich quasi senkrecht über eine Kante in den
Abgrund. Als alle unten angekommen waren, war die Stimmung natürlich
prächtig und wir machten uns auf in die nächste Almhütte, "Die
Murmeltiere", zum Mittagessen. Ich kann mich nicht an die Namen für
die französischen Gerichte erinnern, die wir bestellten, aber die
meisten beinhalteten jede Menge Käse, Fleisch und Wurst, und — wenn
überhaupt — nur ein klitzekleines bisschen Brot.
Heute Abend waren einige Pisten zum Nachtfahren erleuchtet, und wir
fuhren immer wieder den Hausberg hinunter. Ich lernte immer besser, zu
steuern, weil das die einzige Möglichkeit war, zu vermeiden, quer
über die ganzen Huckel zu fahren, die sich tagsüber auf der Piste
entwickelt hatten. Diese Huckel schütteln einen nämlich sonst ziemlich
durch! Gerade als Rolland mich gelobt hatte, wie gut ich mich jetzt
schon anstellen würde, konnte ich
nicht mehr bremsen, sondern schoss in rasanter Fahrt an ihm vorbei,
fuchtelte mit den Armen und rief "Ich kann grad nicht anhalten!",
nur um unmittelbar danach im Schnee zu landen. Das GPS zeigte, dass ich
heute über 60 Kilometer gefahren war, mit einer Höchstgeschwindigkeit
von 57 km/h. Und immer noch keine gebrochenen Knochen!
Donnerstag war ein wundervoller Tag, der Himmel war blau und es war
nicht eine Wolke in Sicht. Ich wurde ein bisschen nervös, als meine
Freunde mich wieder mit auf die Pisten nahmen, die ich schon ein paar
Tage zuvor im Nebel gefahren war — jetzt konnte ich sehen, wie steil
sie waren! Dennoch kam ich gut zurecht. Nach dem Mittagessen in einer
Käserei schlug ich die einzige Möglichkeit zur Fahrt einer schwarzen,
d.h. ganz schweren Piste aus und entschied mich statt dessen für eine
gemütliche blaue, die ich während meiner Schneeschuhtour entdeckt
hatte. Das war ein großer Spaß! Ich kam nur ein paar Sekunden nach
meinen Freunden unten an (sie waren die schwarze Piste gefahren), und
es stellte sich heraus, dass ich beinahe 80 km/h schnell gefahren war!
Unglücklicherweise legte ich bei der zweiten Runde einen Teil der
Strecke auf dem Bauch zurück statt auf den Skiern, was mich natürlich
etwas langsamer machte. Als Folge davon konnte ich meinen linken Arm
nicht mehr ganz hoch heben und brauchte abends Hilfe beim
Ausziehen. Aber ich habe fünf Zeugen dafür, die bestätigen
können, dass ich meist, wenn ich hingefallen war, so sehr lachen musste,
dass ich deswegen nicht mehr aufstehen konnte (abgesehen davon, dass
oft meine Hände, Füße und Skier derart durcheinander geraten waren, dass ich
nicht gleich herausfinden konnte, welches Teil ich wie bewegen musste, um mich
wieder aufzurappeln.
Skifahren ist alles in allem eine sehr erfreuliche Erfahrung,
insbesondere, wenn man so phantastische Freunde hat, die auf einen
Aufpassen! "Du hast aber auch gar keine Angst, oder?" fragten sie
hin und wieder, wenn ich mal wieder in einer unkontrollierten
Schussfahrt an ihnen vorbei gerauscht war, war oft damit endete, dass
ich mit dem Gesicht im Schnee lag, wenn sie mich einholten. "Nein,
warum auch? Ich weiß ja, dass Ihr da seid, wenn es wirklich gefährlich
wird!" antwortete ich. Und sie waren wirklich immer da, riefen
"Mehr Gewicht auf den Talski!" um mich ans Bremsen zu erinnern,
warteten auf mich und zeigten mir die flachste Stelle der Piste, wenn
ich zu viel Angst hatte.
Ich hatte nur einen Skipass für fünf Tage gekauft, so dass ich quasi
gezwungen war, am sechsten Tag (Freitag) nochmal eine Schneeschuhtour
zu machen. Das Wetter war, wie vorhergesagt, schlecht, mit jeder Menge
nassem Schnee, der vom Himmel fiel. Dadurch wurden die
Schneeschuhpfade auch nicht besser sichtbar. Ich ging wieder in
dieselbe Richtung wie beim letzten Mal. Man hat nämlich nicht so viele
Möglichkeiten, wenn man am oberen Ende eines tiefen Tals wohnt.
Wieder konnte ich den Weg, der auf der Karte eingezeichnet war, nicht
finden. Also beschloss ich gleich, auf dem Grat über den Gipfel des
Croix de l'Aiguille zu gehen. Auf einem Grat kann man sich wenigstens
nicht verlaufen, es geht ja nur geradeaus. Ich kam bis nach Sur Crete,
weit das Tal entlang,
und ging dann auf einem parallelen Weg wieder zurück.
Freitag war der letzte ganze Urlaubstag und daher die letzte Chance,
unsere Schlitten auszuprobieren. Schlitten ist eigentlich zu viel
gesagt, wir hatten aus Platzgründen nur Plastikuntersetzer, die auch
als "Arschhobel" bezeichnet werden. Also, nachdem wir die Hälfte der
leckeren Lasagne aufgegessen hatten (es war eigentlich mehr Käse mit
Lasagne als Lasagne mit Käse überbacken), gingen wir nochmal
raus. Diese Plastikdinger lassen sich genauso durch
Gewichtsverlagerung steuern wie Skier: belaste die linke Pobacke, und
der Schlitten fährt nach rechts! Faszinierend.
Am nächsten morgen packten wir unser Zeug wieder in die Autos und
machten uns auf den Heimweg. So endete meine erste Outdoor-Woche des
Jahres 2012! Mögen viele weitere folgen!