Senja på langs
Juli 2013
Endlich mal wieder ein richtiger Wanderurlaub! Es soll quer über die
Insel Senja in Nord-Norwegen gehen. Sieben Tage durch die Wildnis! Da
braucht's 'ne Menge Tütenfutter.
Anreise
Zuerst mal geht's für mich mit dem Zug zum Flughafen Frankfurt, wo ich
Vince treffe. Gemeinsam verspeisen wir in einem Schicki-Micki-Imbiß
noch ein zweites oder drittes Frühstück, bevor's ins Flugzeug nach Oslo
geht. Der Hartkäse in meinem Handgepäck hat offenbar Ähnlichkeit mit
Plastiksprengstoff, und ich muß meine Tasche an der Kontrolle
auspacken. 21 kg wiegt mein Rucksack, entschieden zuviel! In Oslo
müssen wir unser Gepäck abholen, durch den Zoll tragen und dann wieder
abgeben für den Weiterflug nach Tromsø. Nochmal mit dem Käse durch die
Kontrolle, und dann gibt's Lachs- und Krabbentoast zum
Mittagessen. 110 Kronen für einen Toast - 14 Euro oder so! Aber dafür
ist das Wasser umsonst; Vince und ich leeren fast einen ganzen Krug.
Kurz vor der Landung in Tromsø endlich ein paar Löcher in der
Wolkendecke – nur um darunter eine zweite Schicht erkennen zu können!
Naja, doppelt hält eben besser. Als wir landen, regnet es. Nachdem wir
an der Gepäckausgabe ewig auf meinen Rucksack gewartet haben, spüre
ich ihn beim Sperrgepäck auf – 21 kg sind eben wirklich zviel! Wir
fahren mit dem Bus in die Stadt; es ist gar nicht so einfach, den
Flybussen zu vermeiden und statt dessen den billigeren öffentlichen
Bus zu finden. Vom Stadtzentrum aus (das auf einer Insel liegt) soll
der Campingplatz (auf dem Festland) zu Fuß
erreichbar sein, aber im Kleingedruckten stand nichts von dieser
Hochbrücke mit dem durchsichtigen Drahtgeländer, die über den Fjord
führt! Na, einfach nicht hingucken und
durch, dann geht das schon.
Auf dem Campingplatz erwarten uns Anja und Felix schon, sie sind schon
seit ein paar Stunden hier und haben schon alles mögliche erledigt,
unter anderen, Spaghetti und Schinken für Spaghetti Carbonara zu
kaufen. Mit DEET als Geschmacksverstärker. Mampf. Ich packe noch
das ganze überflüssige Zeug — wozu genau hab ich die Stirnlampe
eingepackt? Hier ist es doch rund um die Uhr hell! — in einen Beutel und gebe es zur
Aufbewahrung an der Rezeption ab. Sorgfältig registriert wird das Zeug
da auf meine Rückkehr warten.
Hurtigbåt
Das Boot nach Harstadt fährt um 7:30 Uhr am Hafen ab, das heißt, wir
müssen den Campingplatz um 6:30 Uhr verlassen und noch vor sechs
aufstehen – na hell ist es ja sowieso. Frühstück fällt aus. Wir
fahren mit dem Bus in die Stadt, damit ich nicht nochmal über die
Brücke latschen muss. Am Hafen gibt es eine unappetitliche öffentliche
Toilette, aber weder einen Bäcker noch ein Café, also muß das
Frühstück noch auf die Fähre warten. Dort gibt's dann Waffeln mit Käse
und Marmelade, Tee und Blick auf die Vesterålen, (die Inseln nördlich der Lofoten), letzteres sogar
kostenlos. Drei einhalb Stunden bis Harstadt, eine gute Gelegenheit,
Schlaf nachzuholen. Wenn nur die Klimaanlage nicht so kühlen würde!
In Harstadt haben wir vier Stunden Zeit bis zur nächsten Fähre. Nach
zwanzig Minuten haben wir alles gesehen, was es in Harstadt zu sehen
gibt. Kurzes Mittagessen in einem Café, mit Krabbenbrötchen und
Blaubeerdoughnut. Im Wartesaal am Hafen gibt es Polstersofas zum
Ausruhen und Riesen-Legosteine zum Spielen. Die Überfahrt nach
Skrolsvik dauert nur ein einhalb Stunden, das Wetter hat aufgeklart
und das türkisblaue Wasser der Lofoten läßt uns glauben, wir währen in
Thailand. Da man während der Fahrt nicht an Deck darf, merken wir auch
nicht, daß die Außentemperatur nicht ganz thailändisch ist... kalt ist
es aber nicht, ich schätze so 15 Grad.
Skrolsvik besteht aus etwa vier Häusern. Einschließlich des
Hafengebäudes. Uff, ab jetzt müssen wir selber laufen! Zehn kilometer
die Küstenstraße entang, dann einen Abstecher querfeldein landwärts
zum See Blyfordvatnet, wo wir zelten wollen. Die erste Flußüberquerung
über den Finnelva – wo hab
ich gleich die Sandalen? Ach ja, am Campingplatz in Tromsø
gelassen... Endlich kommt der See in Sicht. Finden wir ein ebenes,
trockenes Plätzchen für die Zelte? Es ist hier fast überall sumpfig
und alles ist voller Torfmoos. Der Wind hat aufgefrischt und es wird
kühl; die Sonne scheint zwar noch, aber wir sind im Schatten eines
Bergrückens. Schnell die Zelte aufgebaut, lange Unterwäsche an und ein
Feuer entfacht! Trockenes Holz von toten Birken gibt es genug. Auf dem
Kocher zischt schon das Wasser für das Tütenfutter.
In den Nasjonalpark
Felix weckt uns mit einem dynamischen "Guten morgen!", nachdem er
schon ein Bad im See genommen hat. Obwohl es nachts mehrere Schauer
gegeben hat, ist es trocken und wir können gemütlich draußen
frühstücken. Sogar die Sonne scheint, als wir losgehen, zuerst am See
entlang und dann ein Tal hinunter wieder zurück zur Küste. Natürlich
alles querfeldein, von Wegen keine Spur. Zwischendurch machen wir auf
einer Schaf-Weide-Wiese in der Sonne Mittagspause, äh, zweites
Frühstück. Weiter geht's dann die Küstenstraße entlang bis nach Å, und
von dort dann nach Norden, landeinwärts bis nach Olaheimen, wo dann
endlich der offizielle Wanderweg "Senja på langs" beginnt. 70km quer
durch Senja, deswegen sind wir hier!
Champaign Beach. Foto (c) Anja Bleidorn.
Der Trampelpfad führt durch ein Birkenwäldchen voller Birkenröhrlinge,
die eifrig gesammelt werden. Der Storbunkevatnet empfängt uns mit
einem phanstastischen Sandstrand – Champaign Beach! Mittags-Wohlfühl-Pause! Wir
liegen im Sand und genießen die Sonne. Dann geht's aufs Fjell hinauf,
400 Höhenmeter stehen bevor. Der Wind nimmt zu und Wolken ziehen
auf. Die Landschaft und Natur ist beeindruckend, Multebeeren (leider meist
unreif), Orchideen, Felsen, Seen, Schneefelder, Wasserfälle, und in
der Ferne das türkisblaue Meer. Die Suche nach einem windgeschützten,
ebenen und trockenen Zeltplatz gestaltet sich schwierig, wir sind schließlich
froh, einen Platz zu finden, der wenigstens eines der drei Kriterien
erfüllt (trocken). Wir sind jetzt ziemlich genau an der Grenze des
Ånderdalen Nasjonalparkes.
Heute gibt's Frikadellen mit Kartoffelbrei und
Pilzen, wobei die Pilze uns einen Strich durch die Rechnung machen,
indem sie vom Zustand "roh" direkt in den Zustand "verkohlt"
übergehen. Wegen des Windes ist es so kalt, daß keiner Lust hat, lange
genug draußen neben dem Kocher auszuharren, um noch Teewasser zu
kochen. In der Nacht regnet es wieder gelegentlich.
Wasser von oben und von unten
Morgens regnet es immer noch. Erst gegen neun Uhr stecken wir die Nase
aus den Zelten.Felix bietet heldenhaft an, Wasser für den Tee zu
kochen, und wir versammeln uns alle gemeinsam zum Frühstück in Vince's
Zelt. Das heiße Wasser ist zwar braun, schmeckt aber partout nicht
nach Tee, also schütten wir kurzerhand Haferflocken, Kakao und
Milchpulver rein und definieren das als Müsli. Wir beeilen uns, alles
in die Rucksäcke zu packen, bevor es durchweicht ist. Der Regen will
nicht nachlassen, und der Wind wird noch stärker. Man muß aufpassen, daß
man nicht vom Winde verweht wird, während man von einem Felsen auf den
nächsten hupft. Und schwupps, da liege ich auch schon wie ein Käfer
mit strampelnden Beinen auf dem Rücken, bin an den Steinen an einem
Flußlauf gestolpert und habe mir den Knöchel verdreht. Nachdem ein
Beweisfoto gemacht wurde, helfen die anderen mir wieder auf die Füße,
und weiter geht's. Wir hoffen auf Wetterbesserung hinter einem Grat,
die tritt aber nicht ein. Der Poncho fliegt
mir im um die Ohren und ich muß ihn wegpacken, bevor er sich
selbständig macht. Mist, die Regenjacke ist doch nicht mehr richtig
dicht.
Die Gegend wird immer sumpfiger und eine Flußüberquerung folgt auf die
nächste. Einen größeren Bach müssen wir mehrfach überqueren — wer
hat hier eigentlich den Wegverlauf geplant? Die versprochene Campsite
mit Hütte am Ufer des Åndervatnet sehen wir zwar, können sie aber
nicht erreichen, weil da ein tiefer, reißender Bach dazwischen
ist. Wahrscheinlich ist das ein Schönwetter-Rastplatz, der nur bei
normalem Wasserstand zugänglich ist.
Auf dem weiteren Weg durch's Moor kriegen wir alle nasse Füße, als wir
auf der Flucht vor zwei Hunden immer wieder über allzu tiefe
Wasserläufe und Moorlöcher müssen. Es muß schnell ein trockener Platz
zum Zelten her! Obwohl wir gefühlt gerade erst losgelaufen sind, ist
es schon fast Zeit für's Abendessen, und wir haben den ganzen Tag
über nichts gegessen. Statt dessen treffen wir auf einen noch größeren,
breiteren Fluß, auf dessen anderer Seite hilfreich der Hinweis "Vat!"
an einen Felsen gemalt ist. Felix zieht heldenhaft Schuhe und Hose aus
und watet, während wir anderen am Ufer warten. Aber es ist
offensichtlich: selbst ohne Gepäck hat er Mühe, in der starken
Strömung auf den Beinen zu bleiben. Wir beschließen hier und jetzt die
Zelte aufzubauen (zum Glück gibt es genau hier zwei trockene Flecken
im Sumpf) und krabbeln schnellstens aus den nassen Klamotten und in
die (teilweise auch nassen) Schlafsäcke. Nur Vince versucht
beharrlich, ein Feuer zu entfachen, aber Birkenrinde hin oder her,
wenn alles Holz völlig durchweicht ist, klappt das halt nicht. Statt
dessen kocht er dann Wasser für das Abendessen, das wir nach Zelten
getrennt verzehren, kein anderer hat Lust, nochmal herauszukommen. Es
gibt immer wieder Schauer. Dennoch haben wir Glück im Unglück, denn
das Wetter ist nicht wirklich kalt, es sind gut über zehn Grad – man
stelle sich das mal im Schneeregen vor!
Ausweichroute
Hier sind wir durchgewatet! Foto (c) Anja Bleidorn.
Am nächsten Morgen regnet es immer noch. Der Fluß hat eher mehr als
weniger Wasser. Same procedure as yesterday: Felix kocht Wasser und
wir essen bei uns im Zelt. Vince stopft sich richtig voll, falls es
tagsüber wieder zuviel regnet, um eine Essenspause zu machen. Felix
findet raus, daß der Fluß ein Stück weiter abwärts breiter wird und
weniger Strömung hat und man gut durchwaten kann. Also rein in die
nassen Klamotten und los! Zehn Minuten flußabwärts machen wir uns nackig und
waten durch den Fluß, das Wasser reicht bis zum Bauch, es ist kühl,
aber nicht kalt, der Untergrund ist sandig und es gibt praktisch keine
Strömung... endlich mal eine züftige norwegische Flußüberquerung!
Am anderen Ufer treffen wir direkt wieder auf den Weg, der hier auch
als Trampelpfad deutlich erkennbar ist. Wir beschließen, nicht weiter
in den Park hineinzugehen, sondern statt dessen lieber nach Osten an
die Küste auszuweichen, wo es laut Karte einen offiziellen
Campingplatz geben soll, auf dem wir hoffentlich unsere Sachen und uns
selber trocknen können. Der Weg steht natürlich auch hier unter
Wasser, aber es ist kein Vergleich mit gestern! Stellenweise liegen
hier auch Holzbohlen, die beim überqueren der schlammigsten Stellen
helfen – Kindergarten! Hier haben sie also die Fotos von den den trockenen, sauberen,
glücklich lächelnden Wanderern gemacht, die am Anfang des Weges auf der
Infotafel zu sehen waren. Den ganzen Tag über regnet es, aber meist
ist es nur leichter Nieselregen. Es gibt immer wieder Feuerstellen,
und als wir sogar auf eine Bank treffen, machen wir
Mittagspause.
Alles voller nasser Klamotten!
Bald darauf erreichen wir den Campingplatz. Eine Hütte
mit Dusche und WC, bitte! 890 Kronen ist uns dieser Luxus wert. In kürze
sind kreuz und quer Wäscheleinen gespannt und überall hängen feuchte
Kleidungs- und Ausrüstungsstücke im Weg. Die moderne Hightech-Unterwäsche
wird von einer klassischen Dystopie beschwert. Die elektrische Heizung und
der Holzofen heizen um die Wette.
Vincent kriegt schonmal vorab eine Portion Nudeln mit Spinat, bevor
wir abends eine riesige Portion Spaghetti mit Tomatensauce
kochen. Miraculix ist ganz schön kompliziert, aber Anja und ich
kriegen viele Komplimente für das fachgerechte Zusammenschütten der
Komponenten.
Auf der Suche nach der Bushaltestelle für morgen früh machen wir noch
einen Spaziergang in der Abendsonne (ja, tatsächlich, jetzt ist wieder
schönes Wetter!).
Zum Snowboarden sollte man übrigens eine Kompressionsunterhose
anziehen, damit man am Hintern keinen Muskelkater vom Hinfallen
bekommt.
Busfahrerei
Wir haben es innerhalb von zwei Stunden geschafft, unser überall in
der Hütte verteiltes Zeug zusammenzupacken, zu frühstücken und die
Hütte zu putzen. Es gibt nur einen klitzekleinen Regenschauer, gerade
als wir morgens die Hütte verlassen und an der Straße auf den Bus
warten (explizite Haltestellen scheint es hier nicht zu geben). Der
Bus kommt pünktlich und gerade recht zum zweiten Frühstück in Finnsnes
an. Dort versuchen wir als erstes, einen Schuster zu finden, der Anjas
Schuhsohlen wieder ankleben kann, aber wir müssen uns dann doch mit
einer Tube Klebstoff aus dem Baumarkt begnügen. Deren Inhalt sieht wie
Rotz aus – die Schuhe sind erkältet! Hoffentlich hilft und hält es
trotzdem. Im Café Domus verbringen wir die Zeit bis zur Abfahrt des
nächsten Busses und stopfen uns mehr oder weniger mit den Segnungen
der Zivilisation (frischer O-Saft, Kjötkaker, Eis) voll. Der Busfahrer
spricht fließend deutsch und erzählt uns erst mal seine
Lebensgeschichte, bevor er uns dann punktgenau dort absetzt, wo wir
hin wollten: nämlich wo der Wanderweg die Straße kreuzt. Durch unsere
Flucht gestern und die Busfahrerei heute sind wir nun genau dort, wo
wir sowieso jetzt gewesen wären, wenn wir gestern weitergelaufen wären
-- nur trocken eben.
Natürlich fängt es jetzt wieder an zu regnen, aber im Vergleich zu
gestern sind es nur leichte Schauer. Auch die Flußüberquerungen heute
sind ein Kinderspiel, man muß noch nicht mal die Hose ausziehen, und
mit etwas Suchen nach einer passenden Stelle kommt man sogar ganz und
gar trockenen Fußes hinüber. Der Weg führt ansonsten ziemlich
geradeaus das Tal des Heggelva-Sor hinauf (des süglichen
Hegge-Flusses), bis auf den Sattel. Kurz unterhalb machen wir noch
eine schnelle Pause, wie üblich mit Brot, Käse, Wurst. Das Tal
präsentiert sich mit steilen Wänden, Schneefeldern und
Wasserfällen. Aber ohne Rentiere. Am Wegrand treffen wir bisweilen auf
kreisrunde, oben flache Steinhaufen. Leider stellt sich heraus, daß es
sich nicht um Drioden-Teleportier-Okätze handelt, sondern ganz banal
um die Fundamente ehemaliger Telegraphenmasten. Auf der anderen Seite
des Sattels geht es im Nord-Heggdalen (nördlichen Hegge-Tal) wieder
hinunter.
Die Schutzhütte im Heggdalen.
Am Abend erreichen wir eine Schutzhütte, die mit vier
Bettchen, Tisch und Stühlen und einem Ofen sehr gemütlich eingerichtet
ist. Leider reicht die Hitze des Ofens nicht aus, um Wasser zum Kochen
zu bringen, so müssen wir zur Unterstützung noch den Kocher
auspacken. Nachdem alle satt und zufrieden sind, wird der
ursprüngliche Plan, die Zelte aufzubauen, zugunsten der (gar nicht
mehr so muffig aussehenden) Matratzen aufgegeben. Es wird eine ruhige,
gemütliche Nacht.
Auf's Fjell
Ach, so gut habe ich schon lange nicht mehr geschlafen, auch wenn das
Bett erst etwas zu kurz schien! Das gestern frisch gesägte und
gehackte Holz ist immer noch feucht, aber die Klamotten, die über dem
Ofen hingen, sind trocken. Warm genug ist es zum Glück auch ohne Ofen,
und auf dem Kocher brodelt schon das Wasser für den Tee. Der Tee wird
übrigens auch zur Verwendung in den Haferflocken herangezogen. Das sollte
jeder mal probieren: eine halbe Tasse etwas zu dünn geratenen
schwarzen Tee, einen Löffel Milchpulver, einen Löffel wasserlöslichen
Kakao, auffüllen mit blütenzarten Kölln-Flocken und ein paar Rosinen
oben drüber... jammi!
Aufbruch! Es regnet kaum, nur gelegentlich gibt es ein paar
Tropfen. Der Weg ist jedoch genauso naß und sumpfig wie die Tage
zuvor. Nach etwa zwei Stunden erreichen wir den Lysvatnet. Zeit für
eine Pause am Seeufer, auch wenn es hier nicht gerade wie Champaign
Beach aussieht. Weiter geht's zum Wasserkraftwerk und parallel zum
Fallrohr desselben bzw. zum trockengelegten Helvetesfoss den Berg
hinan und das Tal des Lappegamvatnet entlang. Der Weg geht immer mehr
oder weniger am Fluß- bzw. Seeufer entlang durch Sumpf und
Gestrüpp. Am Helvetesvatnet gibt es wieder ein paar Häuser und auch
Fahrspuren. Ein Platz mit Tisch und Bank bietet sich für eine Rast
an. Der nächste See ist durch eine Staumauer begrenzt, an der
wir das Tal überqueren und dann Richtung Breidtinden in ein Seitental
hinaufsteigen. Dort, oh Schreck, die Kamera ist weg! Der
Klettverschluß, mit dem ich Vincents Apparat an meinem Bauchgurt
befestigt hatte, hat sich unbemerkt gelöst. Eine schnelle Suche
bleibt erfolglos. Vince sieht es locker: er
wollte sich eh eine neue kaufen. Schade nur um die Bilder! Zum Glück
haben ja Anja und Felix auch noch Kameras dabei.
Blick auf die Breidtinden.
Weiter geht's, mit Blick auf die in Wolken gehüllte Breidtinden.
Das Tagesziel, nach fast 20 km heute, liegt zwischen den beiden
Salingsvatnan, zwei kleinen Seen
unterhalb der Breidtinden. Von hier aus sieht es nicht so aus, als ob
man den Berg problemlos besteigen könnte! Schroff und abweisend ragt
er in die Wolken. Ein eisiger Wind vertreibt uns vom Kochplatz zum
Essen in unsere Zelte, und das, obwohl auf den Berghängen weiter weg
sogar noch die Sonne scheint! Noch etwas Schokolade zum Nachtisch, und
vielleicht ein Verdauungsspaziergang – gute Nacht!
Breidtinden oder nicht Breidtinden?
Von rechts: Vince, Anja, Felix, Ute.
Kaum zu glauben, die Sonne scheint schon im viertel vor sieben auf's
Zelt – schnell raus, bevor sie wieder weg ist! Der Wind ist
allerdings trotzdem kühl. Heute müssen wir so weit kommen, daß wir
morgen auf keinen Fall die Fähre von Lysnes nach Tromsø
verpassen. Außerdem soll natürlich die Breidtinden in Augenschein
genommen werden, ob eine Besteigung von der anderen Seite her
vielleicht eher möglich ist. Guter Dinge und im Trockenen geht es
weiter bergan zum Sattel unterhalb der Breidtinden, deren Gipfel immer
noch umwölkt ist. Ansonsten ist es aber sonnig! Vom Sattel aus hat man
eine prima Aussicht, nur was man leider nicht sieht, ist ein Weg auf
den Gipfel. Also legen wir uns hier auf den Felsen erst mal ausgiebig
in die Sonne wie eine Schar nasser Robben.
Zurück und dann über's Fjell wäre zwar der schönere Weg, aber
sicherheitshalber nehmen wir die kürzere, schnelle Strecke hinunter
zur Küstenstraße. Bevor wir die erreichen, vergeht aber noch viel
Zeit, zuerst damit, daß wir doch noch auf einen markierten Weg zum
Gipfel treffen (den wir aber rechts liegen lassen), dann mit der Ernte der Moltebeeren, die hier endlich mal reif
und zahlreich sind, und zuletzt mit einem Voll- (Felix) bzw. Fußbad (Rest) am
Svartholvatnet (das ist derselbe See, an dem wir gestern die Staumauer
überquert haben, er macht einen langen Bogen um den Berg herum).
Der Weg runter zur Küstenstraße ist steil und felsig, eine
Kletterpartie! Auf der Straße müssen wir erst mal durch einen engen
Tunnel ohne Fußweg. Ein Auto hält an, der Fahrer gibt uns eine
Warnweste: "I don't want to see you dead!" Hätte er uns ja auch kurz
mit durch den Tunnel nehmen können... aber besser als gar nichts. Wir
marschieren strammen Schrittes und ohne Zwischenfälle hindurch. Am
nächsten, längeren Tunnel soll es einen Fußweg außen herum geben, der
ist nur wieder sehr felsig und unwegsam, oder anders ausgedrückt, es
ist eben kein Weg vorhanden. Ich habe mir beim Herumlümmeln in der
Sonne den Rücken verdreht (bin halt doch keine Robbe) und kann nun das
linke Bein nicht mehr heben, super. Während Felix den nichtvorhandenen
Weg auskundschaftet, mache ich also Rückengymnastik auf einem
Granitfelsen und futtere Schmerztabletten. Hilft auf die Schnelle nix,
also heißt es für mich und Vince, der mich begleitet, zurück zum
Tunneleingang und trampen, während Anja und Felix drumherumklettern
und Felix dabei noch den größten Teil meines Gepäcks mitschleppt. Wir
treffen uns auf der anderen Tunnelseite an einer Raststätte
wieder. Inzwischen haben auch die Tabletten geholfen und ich kann auf
ebener Strecke wieder normal laufen. Und ebene Strecke haben wir jetzt
genug: bis zum Fähranleger geht's immer geradeaus die Straße
lang. Nach ein paar Kilometern finden wir an einem See einen netten,
trockenen Zeltplatz inmitten eines Sumpfes und einer Horde
Mücken. Ein Feuer will nicht so recht brennen, das Holz ist zu naß,
aber Qualm gibt's reichlich, was aber eher uns vom Feuer vertreibt als
die Mücken. Was soll's, Autan hilft.
Zurück in die Zivilisation
Das letzte Frühstück in freier Wildbahn, wenn auch in Hör- und
Sichtweite der Landstraße! Natürlich nieselt es wieder, schon am Abend
waren dunkle Wolken aufgezogen. Jetzt bleibt uns nichts, als die
letzten 12 km die Straße lang zu tapern bis nach Lysnes. Nir ein
kurzer Halt an einem Müllcontainer, wir haben inzwischen reichlich
viele leere Futtertüten angesammelt. Mehr als zwei Stunden zu früh
sind wir in Ytre Lysnes am Anleger. Erst mal in den Tante-Emma-Laden,
es gibt frische Äpfel, O-Saft, Obst-Bisquitrolle, Lakritz unf frischen, heißen
Kaffee. Unter dem Vordach des Ladens sitzen wir im Trockenen, ziehen
alles an, was wir haben, und harren der Dinge, die da
kommen werden... haufenweise Norweger, die ihre Autos mit laufenden Motoren
direkt vor unserer Nase bzw. dem Laden abstellen und dann reingehen
und eine Viertelstunde mit der Inhaberin schwatzen. Wie lange noch,
bis die Fähre kommt? Immer noch zwei Stunden. Als fast alles
aufgegessen ist, kommen immer mehr Leute zum Anleger, die vermutlich
jemanden von der Fähre abholen wollen. Auch zwei Busse kommen, und
siehe da, in dem einen sitzt "unser" Busfahrer, der einzige in
Nord-Norwegen, der fließend deutsch und russisch spricht.
Endlich
kommt auch das Hurtigbåt. Die Überfahrt ist etwas kurz für einen
ordentlichen Mittagsschlaf. Etwas verloren fühlen wir uns zwischen den
ganzen Touristen, die mit den Kreuzfahrtschiffen hier angekommen
sind. Lachs selber braten oder essen gehen? Aber nicht zu teuer, bitte
(ha-ha, in Norwegen). Wir werden sehr gut bedient und das Essen ist,
einschließlich Vor- und Nachspeise, auch gut, auch wenn es noch früh
am Tage ist und wir ja gerade erst reichlich zu Mittag gegessen haben.
Wir stehen genau oben auf der Brücke, als
das Schiff der Hurtigrouten unten durch fährt. Ob wir auf dem
Campingplatz noch zwei trockene Plätze finden oder doch lieber eine
Hütte buchen wollen? Nur die Harten komm'n in 'n Garten! Aber nicht
ohne vorher heiß zu duschen. Diesen Abend verbringen wir Regen- und
Kältegeschützt mit Asterix und Obelix im Aufenthaltsraum des
Campingplatzes.
Die Nacht wird unruhig. Gegen zwei Uhr Überschwemmungsalarm: Anjas und
Felix' Zelt steht in einer riesigen Pfütze! Die war gestern noch nicht
da. Schnell ihr Zeug bei uns unterstellen und umziehen. Felix' Kamera
hat ein Vollbad genommen, entsprechend seine Laune... Gut, daß Anja
noch eine Kamera dabei hat! Vincent baut erst mal eine Drainage,
damit unser Zelt von der Pfütze verschont bleibe. Die restliche Nacht
fühlt sich feucht und kalt an.
Aufbruchstimmung
Auch am Morgen regnet es noch. Macht nix, jetzt ist ja eh schon alles naß
und die anderen werden heute Abend zuhause sein und alles trocknen
können. Das Benzin muß alle werden, kann ja nicht mit ins Flugzeug,
also gibt's heute reichlich Tee und Bacon and Eggs zum
Frühstück. Vince muß bald darauf los, mit dem Bus zum Flughafen --
gute Heimreise!
Anja, Felix und ich besichtigen noch das Polarmuseum und informieren
uns über die Geschichte der Pelztierjagd und der Polarforschung
in Norwegen. Anschließend noch ein Kaffee in einem kleinen Laden, dazu
Waffeln mit Käse zum Abschied, dann steigen auch Anja und Felix in den
Bus. Mir bleibt nur, ein bezahlbares Zimmer für die Nacht zu suchen
(irgendwie wollte ich nicht noch eine Nacht zelten). Die Touri-Info
ist sehr hilfreich. Im Fisherman's Home bin ich der einzige Gast und
bekomme daher nicht nur ein Zimmer, sondern quasi das ganze Haus.
Jetzt scheint übrigens die Sonne am strahlend blauen Himmel. Aber ich
habe ein Kombiticket für das Robbenfängerschiff Polstjerna, und das
hat eine schöne Ausstellung über wasserdichte Klamotten aus Rentier-
und Robbenfell — da könnten sich meine Schuhe mal ein Beispiel
nehmen! Dann noch ins Polaria, die live seals und einen
schönen Panoramafilm über Svalbard ansehen. Falls wir da vielleicht als
nächstes hinwollen... in dem Film scheint jedenfalls ständig die
Sonne. Zeit, zum Abendessen "nach Hause" zu gehen. Tütenessen verliert
auf einem Sofa in einem warmen, sonnigen Wohnzimmer doch viel von
seinem Reiz...
Zurück nach Hause
Ausschlafen, in der Sonne auf dem Balkon frühstücken und dann in Ruhe
zusammenpacken und gemütlich zum Bus, das ist mein Vormittag. Ohne
Käse im Handgepäck komme ich trotzdem nicht einfach so durch die
Kontrolle, diesmal sind es wohl meine Käsefüße. Der Beamte packt meine
Stiefel mit bloßen Händen und stellt sie auf's Laufband... selber
Schuld! Obwohl der Geruch schon wieder nachgelassen hat, seitdem sie
getrocknet sind. Noch einen Vorrat an Lakritz (das die Süddeutschen,
zumindest die Badenser, Schwaben und Pfälzer, tatsächlich
verschmähen!) und ein Buch zur Unterhaltung kaufen, dann geht schon
der Flieger nach Oslo. Der Anschlußflug hat Verspätung, und dann
fährt mir am Flughafen-Bahnhof auch noch der Zug vor der Nase weg,
aber irgendwann komme ich dann doch endlich zuhause an. Lieber heute
nicht mehr auspacken, wegen der Geruchsbelästigung...
Soweit nicht anders angegeben, sind die Fotos Copyright 2013 by Felix Brümmer.