Von München nach Venedig
Auf dem Goetheweg von München nach Venedig - das hört sich doch romantisch an?! Als Goethe diesen Weg ging, gab's allerdings die Brennerautobahn noch nicht. Also weichen wir ein Stück nach Osten aus und gehen statt dessen den Traumpfad von München nach Venedig.
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Von Hochgries nach Jachenau
Da wir nur eine Woche Zeit haben, lassen wir die langweiligen, flachen Etappen am Anfang weg und fangen gleich bei Bad Tölz an, genauer gesagt in Hochgries, einem kleinen Dorf südlich von Bad Tölz. Laut einem schnellen Blick auf den Fahrplan fahren die Züge dorthin alle 20 Minuten, also können wir einfach los, wenn wir alles gepackt haben. Naja, fast alle 20 Minuten, außer nämlich Samstags morgens zwischen 8 und 9.30 Uhr. Also wird's etwas später. An der Station Kreuzstraße, wo wir umsteigen müssen, gibt's nichts außer einer Straßenkreuzung, vor allem nichts zum Unterstellen - wir müssen 20 Minuten im Regen stehen, während wir auf den verspäteten Anschlußzug warten. Kein guter Anfang. Trotztdem kommen wir pünktlich in Hochgries (680m) an, überqueren die Isar und machen uns auf in die Berge. Hinter Arzbach fängt sozusagen die Wildnis an.
Es regnet immer noch, und wir kommen unter den Regenklamotten ganz schön ins Schwitzen. Es geht nicht steil, aber stetig bergauf. Gerade rechtzeitig zur Mittagszeit hört der Regen auf und wir können Wurst, Käse, Brot (unsere Standardmahlzeit für die nächsten Tage) im Trockenen genießen. Allerdings ist es rundherum so naß und matschig, daß wir und unsere Rucksäcke hinterher aussehen, als hätten wir den Bundeswehr-Wettbewerb im Durch-den-Schlamm-Robben gewonnen.
Jetzt geht es steiler bergauf. Unterwegs treffen wir "Wasi", der einsam im Wald daran arbeitet, die Straße auszubessern. Er beschreibt uns den weiteren Weg zur Tutzinger Hütte und trägt uns Grüße für den Wirt auf. Auch hier mitten im Wald gibt es noch so viele Wanderwege, daß wir nie sicher sind, ob wir gerade den richtigen erwischt haben, besonders als es nach der Überquerung des Längenbergs (1244m) wieder ein ganzes Stück bergab geht. Das alles müssen wir natürlich wieder rauf, und noch ein Stück weiter hoch. Der Weg führt - deutlich ausgeschildert - in einen Talkessel ohne Ausgang, das Tiefental. An dessen Ende geht der Weg dann fast senkrecht in engen Serpentinen die Wand hoch bis zum Paß am Glennbergl (1490m). Auf der anderen Seite geht's dann noch ein Stück wieder runter und da ist dann schon die Tutzinger Hütte.
Zeit für ein zweites Mittagessen, Käsespätzle und Kaiserschmarrn. Das Essen ist hervorragend. Wir bedauern, daß wir hier nicht bleiben können, aber da es keinen Handy-Empfang gibt, haben wir keine Möglichkeit, unsere schon reservierte Übernachtung in Jachenau für heute Abend abzusagen. Der Aufbruch fällt uns schwer, aber es liegen noch 3 Stunden Fußmarsch vor uns, und es ist schon später Nachmittag. Kurz hinter der Hütte sehen wir auf einer Wiese in einiger Entfernung ein paar Steinböcke. Was für ein seltener Anblick! - denken wir. Denn hinter der nächsten Kurve stehen 3 Böcke direkt auf dem Weg und wollen kaum Platz machen, als wir uns vorbeidrängeln.
Ein Steinbock blockiert den Weg.
Jetzt scheint sogar die Sonne. Östlich um die Benediktenwand (den Berg hinter der Tutzinger Hütte) herum führt der Weg, dann über einen Grat abwärts zur Glaswandscharte und dann auf einer bequemen Forststraße weiter bis Jachenau. Der Weg ist nicht anstrengend, aber lang und wird immer länger. Die Dämmerung hat schon eingesetzt, und unsere Wirtin für die Nacht hat sich schon gefragt, ob wir wohl überhaupt noch kommen. Sie hält schon auf der Straße nach uns Ausschau, und das ist auch gut so, denn weil es kein Hinweisschild gibt, hätten wir das Haus sonst kaum erkannt. Sie hat in diesem gemütlichen großen Bauernhof ein gemütliches kleines Zimmerchen für uns vorbereitet. Die Betten sind leider etwas zu kurz, um sich ganz auszustrecken, dafür aber mit superdicken, warmen Federbettdecken ausgestattet.
Unser höchster Punkt heute war an der Benediktenwand auf einer Höhe von 1560m, immer noch weit unterhalb der Baumgrenze. Das GPS behauptet, wir hätten 22 km zurückgelegt.
Ins Risstal
Die Sonne tut sich morgens noch etwas schwer, den Dunst zu vertreiben. Aber nach dem leckeren Frühstück mit Nußkuchen und hartgekochten Eiern strahlt sie uns an. Gut, daß der Aufstieg zum Risssattel (1217m) im Schatten des Waldes vor sich geht. Kühe auf und neben dem Weg sind wir ja schon gewöhnt; zur Abwechselung steht jetzt mal ein Pferd mitten drauf und geht auch nicht zur Seite, als wir vorbeiwollen. Stures Pferdevieh! Wir müssen durchs nasse Gras stapfen. Dann verfolgt es uns sogar noch ein Stück den Berg hinauf.
Wir folgen den Wegweisern nach Vorderriss und verpassen deswegen die beiden Almen, die hier oben zur Mittagspause eingeladen hätten. Es wäre nur ein minimaler Umweg gewesen. Kommt davon, wenn man nicht auf die Karte guckt. Statt dessen setzen wir uns direkt an einen Bach auf eine sonnige Wiese - auch etwas feucht, aber wenigstens nicht so matschig wie gestern. Als wir endlich den Risssattel erreichen, haben wir eine schöne Aussicht auf das Isartal und das Risstal. Beide sind breite Kiesfelder, sehen ein bißchen aus wie Mondlandschaften. Im Risstal fließt noch nicht mal mehr Wasser. Wie's hier wohl zur Schneeschmelze aussieht? Zu unseren Füßen, 400m tiefer, liegt Vorderriss. Ein schmaler Pfad geht in steilen Serpentinen hinunter.
Das Risstal - hier fließt im Sommer kein Wasser.
In Vorderriss beginnt eine Mautstraße, die dem Isartal aufwärts folgt. Auch ins Risstal führt eine Straße, und obwohl man da gar nicht weiterkommt (Sackgasse), herrscht reger Betrieb. An der Kreuzung in Vorderriss steht der Gasthof Post (so einen gibt's hier in jedem Ort), und dort essen wir Eis und trinken Kaffee. Anschließend geht's dem leeren Bachbett und leider auch der Touri-Straße folgend das Risstal hinauf. Zum Glück führt der Weg die meiste Zeit nicht direkt an der Straße entlang, aber der Lärm begleitet uns trotzdem.
Nach einigen Kilometern erreichen wir den Rissbachstausee, oberhalb dessen der Rissbach sogar Wasser führt - es wird ab hier als Trinkwasser abgeleitet. Hier zweigt der Wanderweg von der Straße ab auf einen Forstweg. Zunächst müssen wir aber den Bach mal ausnutzen, und das machen wir, indem wir auf ein paar gemütlichen großen Steinen am Ufer ein Nachmittagsschläfchen halten.
Weiter oben am Rissbach - nettes Plätzchen für eine Pause.
Der Straßenlärm wird durch das Rauschen des Wassers völlig übertönt. Erst als die Sonne hinter dem Bergrücken verschwindet, wachen wir auf, weil es kühl wird. Es ist aber erst fünf Uhr, also kein Grund zur Panik! In aller Ruhe erreichen wir Hinterriss, wo wir ein Zimmer im Gasthof Post (wer hätte das gedacht) reserviert haben. Zum Abendessen bieten sie frische gebratene Forelle an, oder wem das zu viele Gräten hat, der wählt Kasnudeln, eine lokale Spezialität. Und im Schankraum gibt's sogar W-LAN! Da habe ich jedenfalls genug Ruhe, um zu duschen und ein paar Klamotten zu waschen, bevor ein feindlicher Überfall den Weltranglisten-Vierten davon überzeugt, daß der Urlaubsmodus des Browser-Spiels auch Vorteile hat.
Heute sind wir 18,4 km gelaufen.
Über den kleinen Ahornboden zum Karwendelhaus
Nach einem gemütlichen Aufstehen würdigen wir das Frühstücksbuffet, es gibt sogar Müsli. Kurz vor 10 brechen wir bei strahlendem Sonnenschein auf. Heute wird es eine kurze Etappe, weil wir "nur" 4 Stunden zum Karlwendelhaus müssen. Es geht zunächst weiter das Risstal hinaus, dann biegt der Weg rechts in das Johannestal ab. Den Bach hören wir immer neben uns rauschen. Der Weg führt auf einer Forststraße durch den Wald und dann über einen Steig steiler den Berg hinauf. Der kleine Ahornboden ist ein ebenes Stück im Tal, auf dem einige Ahornbäume stehen und es sehr üppig grün ist. Es gibt auch eine große Wiese mit Kühen und ein Denkmal für Herrmann von Barth, der ein berühmter Bergsteiger aus der Gegend war. Auf der Wiese befindet sich auch ein Brunnen, der wohl in erster Linie die Kühe mit Wasser versorgt, aber auch von den zahlreichen Wanderern und Mountain-Bikern nicht verschmäht wird. Wir befinden uns jetzt auf 1400m und müssen noch knapp 400m höher. Aber erst mal eine lange Pause in der strahlenden Sonne.
Der kleine Ahornboden - perfekt für eine Rast.
Die restlichen Höhenmeter geht's wie bisher, nicht allzu steil, auf einem Fußweg bzw. Steig weiter. Der kühle Wald ist hier durch niedriges Kieferngestrüpp ersetzt. Leider gibt es praktisch keinen Schatten mehr, und ein kühler Luftzug bleibt auch nur eine Wunschvorstellung. Schließlich finden wir doch noch ein schattiges Plätzchen unter dem einzigen größeren Gebüsch weit und breit, machen nochmal eine kurze Rast und essen die letzten beiden Äpfel aus unserem Reiseproviant. Nun müssen wir die schwersten Nahrungsmittel aus unserem Vorrat endlich nicht mehr im Rucksack tragen! Kurz darauf erreichen wir den Hochalmsattel auf 1803m, und dahinter liegt das Karwendelhaus auf 1771m. Der mühsame Aufstieg wird mit einer wunderschönen Aussicht nach allen Richtungen belohnt: Die Falkenhütte im Osten, die Birkkarspitze im Süden, das Karwendeltal und die östliche Karwendelspitze im Westen und Norden. In der Hütte beschlagnahmen wir erst mal unsere Matratzenlagerplätze: im 3. Stock, direkt unter'm Dach, am Ende des Ganges und direkt am Fenster. Es sieht super-gemütlich aus! Alles ist mit Holz verkleidet, und einzelne Schlafbereiche sind durch Zwischenwände abgetrennt. Bleibt nur zu hoffen, daß keine Scharcher in der Nähe liegen...
Ausblick vom Hochalmsattel Richtung Falkenhütte (hinten rechts auf dem grünen Huckel).
Wir holen uns eine Portion Kaiserschmarrn und machen dann in der Sonne auf der Terasse ein Nickerchen. Von der Sonne haben wir beide jetzt shcon reichlich genug, aber draußen gibt es keine Schattenplätze. Also noch eine Extra-Schicht Sonnencreme, es wird schon passen. Die Zeit bis zum Abendessen wird lang und länger, und als es dann soweit ist, stellt sich raus, daß die Auswahl nicht gerade einfallsreich und appetitanregend ist. Wir teilen uns schließlich einmal Spaghetti mit Salat.
Als die Sonne dann schließlich hinter den Bergen verschwindet, wird es rasch kühl, und wir setzen uns in die Gaststube, um noch einen Tee zu trinken. Eine Gruppe Sachsen setzt sich dazu, und wir verbringen einen gemütlichen Abend mit Kartenspielen. ("Schnauzer", auch ein lustiges Kartenspiel für sechs Personen).
Die Birkkarspitze
Kurz vor dem Schlauchkarjoch.
Heute wird ein anstrengender Tag. Der Führer stellt uns 1500m hoch und 1500m runter in Aussicht. Wir haben den Wecker auf 6:30 Uhr gestellt. Allerdings sind wir nicht die einzigen, die so früh raus wollen, so daß wir schon vor dem Wecker-Klingeln durch die allgemeine Aufbruchstimmung im Lager aus dem Schlaf gerissen werden (sofern man diesen "dem-schnarchen-zuhören"-Dämmerzustand als Schlafen bezeichnen kann). Rasch ist alles gepackt und noch vor dem Frühstück zum Abmarsch bereit gestellt. Zu Frühstück gibt's drei Spiegeleier mit Brot und Müsli. Dann geht's los: hinter der Hütte steil bergan durch die Lawinenschutzbauten der Hütte. Schon hier ist der Weg mit Drahtseil gesichert. Kurz danach geht's wieder fast eben, auf dem Boden des Schlauchkars lang (wie der Führer so schön bemerkt: es heißt nicht deshalb Schlauchkar, weil es einen so schlaucht).
Blick vom Schlauchkarjoch auf die Birkkarspitze.
Am Ende des Kars geht's einen steilen, langen, rutschigen Trampelpfad über das Schotterfeld hoch bis zum Schlauchkarsattel (2600m). Hier hilft nur Augen zu und so schnell wie möglich hoch, oder jedenfalls schneller hoch als man nach jedem Schritt wieder runterrutscht. Als ich den Sattel erreicht habe, hab ich meinen Bedarf nach Kletterpartien für heute jedenfalls gestillt, aber Frank läßt es sich natürlich nicht entgehen, noch die letzten 100 Höhenmeter zur Birkkarspitze (2749m) hinauf zu gehen und berichtet hinterher von der phantastischen Aussicht von dort oben. Die Aussicht vom Sattel ist auch nicht schlecht: Durch ein Loch in der Felswand kann man nach beiden Seiten gucken, ohne sich bewegen zu müssen.
Der Abstieg ins westliche Birkkar sieht zunächst auch sehr steil aus. Der Boden des Kars liegt etwa 400m senkrecht unter uns. Aber es stellt sich raus, daß der Pfad gut mit Stahlseilen gesichert ist und es gar kein Problem ist, runterzukommen. Das Abrutschen wirkt ja auch diesmal in Marschrichtung. Am Boden des Kars befindet sich noch ein altes Schneefeld, in dessen Mitte ein großer flacher Felsen in der Sonne zur Mittagspause einlädt. Von hier aus fließt der Birkkarbach der Isar entgegen (die südlich von hier entspringt und dann in einem Bogen fließt, so daß sie im Norden bei Vorderriss wieder vorbeokommt). Den Bach entlang geht's weiter talwärts. Allerdings fließt der Bach in einer engen Klamm, und wir müssen an deren oberem Rand gehen. Das erfrischende Plätschern hören wir daher nur aus der Ferne. Die Sonne brutzelt erbarmungslos und es regt sich kaum ein Lüftchen. Wegen Sonnenbrandgefahr trotzdem etwas langärmeliges zu tragen ist keine Freude.
Das Tal des Birkkarbaches.
Rückblick zur Ödkarspitze. Rechts sind wir runtergekommen.
Stunden später erreichen wir schließlich die Talsohle mit dem Lafatscherbach, einem der Quellflüsse der Isar. Meine Idee, direkt hineinzuspringen, wird durch die ganzen anderen Touristen vereitelt. Dafür kommen wir nach wenigen Metern talaufwärts an der Kastenalm vorbei, wo wir uns erst mal einen halben Liter kalte Apfelsaftschorle hinter die Binde kippen. Zwei andere Wanderer, die wir am Schlauchkarsattel getroffen hatten, sind hier auch eingekehrt, sind aber schon wieder am aufbrechen.
Nun geht's "nur" noch 500m wieder hoch, am Lafatscherbach entlang bis zum Halleranger, wo wir für die Übernachtung die Auswahl zwischen einer Alm und einer DAV-Hütte haben. Gleich zu Beginn gibt es einen langen, steilen Anstieg, aber auch der hilfesuchende Blick in den Wanderführer erspart uns das nicht: "Flott bergan" steht da, wir sind wohl richtig. Naja, es lohnt sich, oben machen wir an einer schönen sonnigen Stelle am Bach nochmal eine Pause; für einen Staudamm reicht es nicht, aber eine kleine Flußumleitung ist schon drin. Nachdem wir die Alm "Lafatscher Niederleger" (1577m) passiert haben, sehen wir voraus schon ein Haus am Halleranger. Wir entscheiden uns, nach links zur Alm zu gehen (1768m). Sie haben noch 2er-Zimmer und eine warme Dusche. Das Abendessen können wir draußen auf der Terasse in der Sonne verpseisen (Gamsen- und Schweinebraten). Dabei können wir in der Felswand oberhalb der DAV-Hütte einen Kletterer beobachten. In der anderen Richtung präsentiert die Abendsonne einen spektakulären Sonnenuntergang. Besser als Fernsehen.
Da das Zimmer zwar ein 2er-Zimmer ist, aber durch ein Lüftungsloch direkt mit dem Nebenzimmer verbunden ist, ist die Nachtruhe nicht ganz so ungestört wie erhofft, aber dennoch gut.
Heute haben wir nue 14km Strecke geschafft, bei den vielen Höhenmetern kein Wunder.
Sonnenuntergang an der Halleranger-Alm.
Hinüber ins Inntal
Heute stehen wir gemütlich auf und geniessen das Frühstück in der Gaststube (Rührei mit Speck und Müsli). Nachdem wir alles zusammengepackt und unsere Wasservorräte aufgefüllt haben, geht's los: 400m bergauf bis zum Lafatscher Joch auf 2081m. Der Weg führt uns direkt an der DAV-Hütte vorbei. Weiter oben mal wieder eine Gedenktafel für einen Verunglückten - derer gibt's hier in der Gegend recht viele. Auf dem Joch machen wir erst mal Schokoladenpause. Das Wetter ist heute nicht so schön wie bisher, es ist wolkig, feucht und kühl. Es hat auch in der Nacht geregnet. Allerdings schaut zwischen den Wolken schon wieder gelegentlich die Sonne raus. Hier am Joch sind die Wolken sowohl über uns als auch unter uns im Inntal, und gelegentlich ziehen sie direkt um uns herum bergauf. Wir sehen nochmal eine Herde Steinböcke, die aber nicht so zutraulich sind wie an der Tutzinger Hütte. Sie flüchten mitten auf ein Geröllfeld, wo sie scheinbar immer noch etwas zu fressen finden.
Das Inntal liegt noch in den Wolken. Blick vom Lafatscher Joch.
Nun geht's auf der anderen Seite des Sattels ins Isstal runter, zuerst auf der nördlichen Talseite, und dann in einem Bogen auf der südlichen Seite weiter. Am Ende wird der Pfad sehr naß und rutschig und an einer Stelle scheint er vor einiger Zeit durch einen Erdrutsch teilweise verschüttet gewesen zu sein. Hirschbad-Steig, sagt ein Schild - für ein Fussbad reicht es auf alle Fälle. Nicht zuletzt durch das nasse Gras sind unsere Schuhe durchweicht.
Passend zur Mitagszeit erreichen wir, wie im Führer angekündigt, das Gasthaus St. Magdalena (1287m). Hier essen wir Kasspatzen und Kasknödel und fühlen uns aufgrund der großen Portion hinterher selber wie Knödel. Zwei Pärchen, die ebenfalls von München nach Venedig gehen, treffen wir hier wieder, und auch noch eine Frau, die mit ihrem Hund allein unterwegs ist, und da sie sich hier in der Gegend offenbar gut auskennt, wird sie von allen anderen (uns eingeschlossen) mit Fragen nach Tips für den weiteren Weg gelöchert.
Zunächst gehen wir auf dem sog. Fluchtsteig weiter talwärts. Danach, weiter unten im Tal, wo offenbar auch die Anzahl an normalen Spaziergängern deutlich zunummt, gibt es so viele mögliche Wege, daß wir wirklich Schwierigkeiten haben, davon den richtigen zu erwischen. Eine ungeschickt gewählte Abkürzung führt dazu, daß wir querfeldein durch ein Waldstück laufen müssen (weil ausgerechnet hier ein auf der Karte eingezeichneter Weg offenbar nicht existiert). Als wir in St. Martin sind und den Hinweis "Fritzens - 1 1/4 Stunde" sehen, macht sich eine gewisse Enttäuschung breit, dachten wir doch, daß wir schon längst da sein müßten. Aber immerhin sind wir jetzt auf dem richtigen Weg. Es geht nochmal 300 Höhenmeter runter, auf einer Asphaltstraße (unsere Knie bedanken sich), bevor wir endlich Fritzens erreichen, und dahinter auf der anderen Seite des Inns liegt dann endlich Wattens (564m), unser Tagesziel.
Wasserdicht bis 30m, aber nicht bis 30° im Schatten.
Die Touristen-Information hat touristen-freundliche Öffnungszeiten von 9 bis 12 Uhr, aber immerhin steht draußen davor ein Ständer mit Prospekten, so daß wir uns selber eine Übernachtungsmöglichkeit raussuchen können: Den Wattenserhof, der schon in der richtigen Richtung für morgen ein Stückchen das Tal hinauf liegt. Kaum sind wir dort, lösen sich alle unsere guten Vorsätze, nochmal einkaufen zu gehen und Obst zu kaufen, in Wohlgefallen auf. Gut, daß wir auf dem Weg wenigstens noch ein Brot gekauft haben. Zunächst waschen wir unser Wäsche und hängen sie - unter den mißtrauschin Blicken unseres fetten, Pfeife-rauchenden Zimmernachbarn, der in der Unterhose auf dem Balkon sitzt -draußen zum trocknen auf. Auch dessen Anblick schafft es jedoch nicht, uns den Appetti zu verderben (obwohl es nah dran war). Zum Gasthof gehört ein italienisches Restaurant, und dahin gehen wir zum Essen (muß die Treppe eigentlich so steil sein, und warum haben sie keine Zimmer im Erdgeschoß frei?). Zwischendurch hat es einen leichten Schauer gegeben, aber jetzt ist es wieder trocken, so daß wir draußen sitzen können, was in Anbetracht der Tatsache, daß in Ösi-Land drinnen noch geraucht werden darf, ganz praktisch ist. Es gibt Pizza Hawaii und Wiener Schnitzel.
Kaum sind wir danach wieder auf dem Zimmer, als ein heftiger Gewitterguß einsetzt - mit soviel Wind, daß die Wäsche auf dem überdachten Balkon trotzdem nasser wird, als sie vorher war. Immerhin ist unser fetter Nachbar jetzt nicht mehr draußen, als wir hektisch alles einsammeln und reinholen.
Heute haben wir 18km geschafft, es fühlt sich aber nach mehr an.
Lizum
Mit Wecker stehen wir heute wieder um halb sieben auf, sind um sieben beim Frühstück und viertel vor acht unterwegs. Das erste Wegstück ist ein Kreuzweg, der wie alle Kreuzwege, die ich kenne, die Eigenschaft hat, ganz unverschämt steil zu sein, so daß wir trotz des kühlen Wetters reichlich ins schwitzen kommen. Auf steilen Pfaden geht's dann weiter, nicht direkt an der Straße, sondern hinter den Häusern entlang, durch nasses Gras, aufwärts. Es ist kühl und bewölkt und gelegentlich nieselt es ein bißchen, aber kein Grund, eine Jacke oder gar die Regenklamotten auszupacken. Recht schnell erreichen wir den Gasthof Säge auf 1000m, wo eine alte Dame uns Kaffee und heiße Schokolade serviert. Weiter geht's das Tal hinauf, über einige Almwiesen und über haufenweise kleine Bäche, die quer zu unserem Weg in den Lizumbach fließen. Jeder Bach hat sein eigenens Namensschild.
Nicht mehr weit bis zum Ziel.
Nach einiger Zeit erreichen wir das Gasthaus Hanneburger (1351m), das aber noch geschlossen aussieht, und kurz danach den Eingang zum Truppenübungsplatz Lizum-Walchen. Ab hier also nur noch Rindviecher in Uniform. Zunächst stehen wir selber aber wie der Ochs vorm Berg vor der großen Hinweistafel, deren blinkende Lämpchen uns darauf hinweisen, daß hier irgendwo geschossen wird. Ob wir allerdings bis zur Lizumer hütte kommen, geht daraus nicht hervor. Der Wachsoldat erklärt aber, der Weg wäre okay.
Erst mal machen wir aber in der Sonne, die gerade herauschaut, gemütlich Mittagspause - mitten im Lager Walchen (1410m). Dann geht's auf dem Zirbenweg, der parallel zur Straße, aber auf der anderen (östlichen) Talseite verläuft, bergan. Zwei einhalb stunden sollen es von hier aus noch zur Lizumer Hütte sein. Nach einiger Zeit fallen ein paar mehr Regentropfen vom Himmel, eine gute Gelegenheit, in einem Hochsitz nochmal eine Schokoladenpause einzulegen. Nach fünf Minuten hört der Regen wieder auf. Wir sehen bald schon die ersten Häuser der Kaserne Lizum, auf deren anderer Seite die Hütte liegt. Noch ein kleines Stück, dann quer durch das Dorf, das außer der Kaserne auch eine Käserei (geschlossen) und mehrere Bauernhöfe enthält. Schon ist die Hütte erreicht (2019m). Außer zwei Leuten, die dort zu Mittag gegessen haben, sind wir die einzigen Gäste. Die Hütte ist modern eingerichtet und neu ausgebaut, es gibt sogar eine Boulderwand. In unserem Zimmer gibt's ein Waschbecken und sogar einen Mülleimer (nicht das übliche "Bitte nehmen Sie ihren Müll selber wieder mit runter"). Vom Fenster aus hat man Ausblick das Tal hinauf, wo gerade eine Gruppe Soldaten Sprengstoff-Versuche macht. Bei jeder Explosion wackelt bei uns die Heizung.
Die Zeit bis zum Abendessen vertreiben wir uns mit Schlafen und Lesen; die Hütte hat sogar eine kleine Bibliothek, in der es einige Krimis von Agatha Christie gibt, außerdem ein interessantes Werk, in dem erklärt wird, wie ein Heeresbergführer seinen Rekruten am Besten das Klettern vermitteln kann.
Im Laufe des Nachmittags trifft auch ein Pärchen ein, das wir schon aus Hinterriss kennen, und zwei junge Studenten, die bisher mit Biwaksack und Kocher unterwegs waren und sich sehr über die Duschen freuen. Die beiden sind Sportstudenten und haben für das, was wir in fünf Tagen geschafft haben, nur drei Tage gebraucht, und dann auch noch mit mehr Gepäck.
Zum Abendessen gönne ich mir eine Kasknödel-Suppe und einen Kaiserschmarrn als Nachtisch, was allerdings dermaßen viel zuviel ist, daß ich mich schon bei dem Gedanken daran immer noch satt fühle. Frank hat es mit dem Kasknödel mit Sauerkraut da besser getroffen.
Wieder abwärts
Der Freitag fängt gar nicht gut an. Es war zwar das ruhigste und komfortabelste Hüttenzimmer, was wir bisher hatten, aber dank Migraene hatte ich nicht viel davon. Außerdem zeigt ein Blick aus dem Fenster Regen, Regenwolken und Nebel. Keine guten Voraussetzungen, ein Wegstück in Angriff zu nehmen, daß wegen nasses Grases und steiler Hänge als rutschig beschrieben wird. Wenn wir heute nicht weitergehen, können wir morgen Abend aber die Dominikushütte mit der Bushaltestelle für die Rückfahrt nicht erreichen. Bei dem Wetter wäre es auch fraglich, ob wir morgen die nächste Etappe schaffen würden: hochalpin, ausgesetzt, und Orientierung bei Nebel oder Schnee (ja, es könnte morgen sogar schneien) schwierig, steht im Führer.
Aber wir haben Glück im Unglück, denn ausgerechnet hetue fährt der Hüttenwirt - einmal alle drei Wochen - runter nach Wattens zum Einkaufen, und er bietet an, uns mitzunehmen. Auch die beiden Sportstudenten nehmen das Angebot an. So geht's etwas schneller als zu Fuß! Ob die Schaukelei in dem Allrad-Jeep angenehmer ist als ein Fußmarsch, sei dahingestellt.
Am Bahnhof haben wir eine halbe Stunde Zeit, uns mit dem Fahrkartenautomaten zu verständigen, und fahren dann mit dem Bummelzug und einem Bayernticket in 1 1/2 Stunden nach Rosenheim. Dort trennen wir uns von den Studenten, die weiter nach Reutlingen müssen. Noch einmal Umsteigen an der Kreuzstraße, diesmal ohne Regen, und so sind wir wieder zuhause.
Die Tour war zwar zwei Tage kürzer als geplant, aber trotzdem ein voller Erfolg! Nächstes Jahr machen wir weiter.
Alle Fotos (c) 2009 Frank Spychalski.