Schneeschuhwandern im Allgäu
Februar 2012
Bodensee im Morgengrauen.
Das kälteste Wochenende des Jahres steht ins Haus, mit Temperaturen unter -20°C. Was macht man dagegen? Klar — man bewegt sich möglichst viel, um warm zu werden! Und damit "möglichst viel" auch wirklich viel ist, stehen wir schon um viertel vor sechs (das ist 5:45 Uhr!) auf. Eier haben wir schon gestern vorgekocht, also heute nur noch schnell ein paar belegte Brote machen, Tee für die Thermoskanne kochen, Schokolade einpacken, fertig! Auf geht's zum Bahnhof und dann erst mal fast 'ne Stunde mit der Bummelbahn am Bodensee entlang. Wovon ich allerdings nichts mitkriege, weil ich die Fahrt bis Lindau verschlafe. Zum Glück müssen wir dort nicht lange auf den Anschlußzug warten, denn es ist doch recht frisch draußen.
Das ist dann der Alex, der von Lindau bis München fährt. Der Alex ist ein Zug von einer Art, die wir schon auf den Großen Fahrten vor 20 Jahren zu würdigen wußten: mit 6er-Abteilen und gemütlichen Sitzen, die man vorziehen und so in Beinahe-Liegesitze umwandeln kann.
Blick von Thalkirchdorf nach Süden. Da wollen wir rauf!
Während in Friedrichshafen nur eine dünne Schneedecke lag, liegt hier jetzt immer mehr Schnee, und als wir in Oberstaufen aussteigen, sieht's schon so aus, als ob wir unsere Schneeschuhe tatsächlich brauchen könnten. Von hier aus wollen wir mit dem Taxi nach Thalkirchdorf fahren, aber es ist weit und breit keins in Sicht. Immerhin steht in der Telefonzelle am Bahnhof die Telefonnummer des lokalen Taxiunternehmens. "'N paar Minuten wird's dauern." Na gut, statten wir solange der örtlichen Bäckerei einen Besuch ab. Eine Käsebrezel und einen Nougattaler später, und wir stehen wieder draußen. Der Taxifahrer erkennt gleich, daß wir in Thalkirchen zum Lift wollen (was wir nach einem Blick auf die Karte auch bestätigen), und nach kurzer Fahrt sind wir da. Besseres Wetter hätten wir uns nicht aussuchen können: Absolut klarer Himmel, keine Wolken (Sonne allerdings noch hinterm Berg).
Erste Sonnenstrahlen auf den verschneiten Bäumen.
Nachdem wir festgestellt haben, daß es in Thalkirchdorf (wo es eigentlich praktisch gar nichts gibt) sogar mehrere Skilifte gibt und wir nicht an dem erwarteten Lift gelandet sind,
orientieren wir uns schnell neu und stapfen dann am Rand der Piste den Berg hoch. Ski- und Snowboardfahrer sind auch schon munter. Erste Zwischenstation ist das "Schwändle". Von hier aus können wir auf einem normalen Waldweg weiter. Allerdings müssen wir nach 5 Minuten nochmal zurück, weil ich schlauerweise bei einer kurzen Pause unsere Wanderkarte auf einen Wegweiser
gehängt und dann dort vergessen habe ("muß dran denken, sie wieder einzupacken"). Na, gut, daß es so früh aufgefallen ist. Der verschneite Waldweg ist aber schön genug, um da auch zweimal langzulaufen.
Auf einer Hochebene/Lichtung mit ein paar Almhütten verläuft unser Weg das erste Mal auf dieser Tour so, wie ein Schneeschuhweg sein sollte: where no man has gone before. Jetzt zieht auch Vince die Schneeschuhe an, die er von einem Kollegen geliehen hat. Es gibt, wie ich heute anschaulich lerne, offenbar zwei Sorten Schneeschuhe: solche, die für Bergsteigen bzw. Steigungen geeignet sind (weil sie ganz viele Zacken und Kanten haben, die seitliches Wegrutschen verhindern), und solche, die es nicht sind (und die dafür besser für richtig tiefen Schnee sind). Das merken wir, kurz nachdem wir die Lichtung verlassen haben und in den dunklen Bergwald aufsteigen müssen. Der bisher eher flache Weg geht jetzt in Serpentinen steil bergan. Vincent muß die Schneeschuhe wieder ausziehen, weil er damit wie auf einem Schlitten den Hang runterrutschen würde. Zum Glück sind hier wieder Fußspuren früherer Wanderer, denn ohne die hätten wir zwischen den Bäumen den Weg wohl kaum gefunden (oder nicht geglaubt, daß das der Weg ist, was da hochgeht).
Das ist wohl so ziemlich der einzige Aufstieg in den letzten 20 Jahren Bergwandern, bei dem ich nicht ins Schwitzen gekommen bin: wir befinden uns auf der Nordseite des Berges, die Sonne kommt hier nicht her, und die Lufttemperatur dürfte etwa bei -20°C liegen. Meine Handschuhe sind an den Fingern total kalt, also versuche ich, nur Daumen und Zeigefinger reinzustecken und damit irgendwie die Wanderstöcke zu greifen — ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Endlich wird der Hang etwas flacher und wir können die ersten Sonnenstrahlen über den Grat blinzeln sehen.
Aussicht vom Grat zwischen Denneberg und Klammen.
Oben werden wir mit strahlendem Sonnenschein und einer phantastischen Aussicht nach fast allen Richtungen belohnt. Wir sehen sogar einen Steinbock oder sowas ähnliches, der ähnlich irritiert darüber zu sein scheint wie wir, daß hier noch andere Lebensformen herumlaufen. Erst mal machen wir Pause in der Sonne. Die wärmt so sehr, daß der Schnee auf unseren schwarzen Schuhsohlen auftaut, was wir über unsere Zehen in den Schuhen leider nicht sagen können.
Auf Schneeschuhtouren braucht man selten soviel Essen wie auf einer normalen Wanderung. Der Grund dafür ist einfach: man setzt sich ja kaum einfach so in den Schnee für eine gemütliche Pause. Und wer mag schon sein Brot im Stehen essen?
Nach etwas Rangieren schaffen wir es schließlich, daß jeder auf einer warmen Unterlage sitzt und noch eine warme Jacke zum drüberziehen hat. Mit einem Käsebrot in der einen und einer Tasse lauwarmen Tee in der anderen Hand können wir der restlichen Strecke wohlgemut entgegenblicken. Noch nie habe ich erlebt, daß der Tee in der Thermoskanne schon am Mittag so weit abgekühlt war, daß man ihn trinken konnte, ohne sich die Zunge zu verbrennen. Und noch nie haben wir erlebt, daß das Wasser in der Plastikflasche gefroren war! Brrr. Im Laufe des Nachmittags friert auch die Aldi-Birnen-Schorle ein. Brrr-brrr. Und man sollte keine Käsebrote mitnehmen, denn in der Kälte schmeckt der Käse nur kalt, aber nicht nach Käse. So ein Käse!
Gerade als wir aufbrechen, kommen zwei Skitourengeher herangstapft und nutzen ebenfalls das schöne Plätzchen auf dem Grat für eine Pause. Genau wie wir wollen sie auf den Klammen und dann von dort abfahren. Jetzt können die geliehenen Schneeschuhe doch noch zeigen, wozu sie gut sind, denn jetzt geht's erst mal 'ne ganze Weile in tiefem Schnee auf dem Grat entlang. Und gut sind sie, denn während ich schnaufe, weil Vorangehen und Spuren ganz schön anstrengend ist, merkt Vince keinen Unterschied, da die große Grundfläche ihn einfach nicht so tief einsinken läßt.
Der Grat ist stellenweise ganz schön schmal, beinahe zu schmal für die breiten Schneeschuhe! Wir lassen den Tourengehern die Ehre, voranzugehen und zu testen, wo hier überhängende Wächten sind.
Der Klammen ist ein langgezogener Bergrücken, der gerade eben über die Baumgrenze hinausragt. Oben drauf gibt es Schneeverwehungen noch und nöcher und jede Menge interessante Eisformationen. Der Weg führt weiter durch lichten Tannenwald, und jede Lichtung, jede Baumgruppe sieht aus wie in einem Märchenwald mit den dicken Schneehauben. Hier auf der Höhe kommen wir flott voran und erreichen bald den Gipfel des Himmelsecks. Bis hierher ist offenbar ein Schneeschuhgeher aus der anderen Richtung gekommen und hat dann wieder umgedreht, so daß wir jetzt seinen Spuren folgen können. Eigentlich wollten wir bis nach Immenstadt, aber schon nach dem steilen Aufstieg konnten wir absehen, daß das doch nicht so eine gute Idee wäre. Schneeschuhgehen ist eben doch langsamer als Wandern. Aber auch faszinierender!
Ein letzter Blick auf den Grünten (?) in der Abendsonne.
Bei der Bergstation des Skiliftes von Ratholz machen wir uns wieder auf den Weg ins Tal. Ganz oben gibt's nur Schlepplifte, aber auf halber Höhe können wir in den Sessellift steigen und ersparen uns damit einen Teil des langweiligen Abstiegs über die Piste. Praktischerweise gibt's direkt am Fuß des Liftes die Kneipe "Zum Rodelwirt", wo wir erst mal heiße Schokolade und Gulaschsuppe bestellen, während wir überlegen, wie wir hier jetzt wieder wegkommen. Der Wirt weiß den Busfahrplan auswendig (ist aber auch nicht so schwer), und bald sind wir doch noch auf dem Weg nach Immenstadt, um von dort aus mit dem Zug wieder zurück nach Hause zufahren. Im Bus taucht übrigens der Nougattaler von heute morgen wieder auf. Wenn man was schockgefriert, kann man es hinterher schon durch leichte Erschütterungen pulverisieren (siehe Terminator). Das funktioniert offenbar auch mit Nougattalern.
Die Zeit reicht leider nicht mehr für einen entspannten Saunabesuch in der Therme Meersburg, aber das Restaurant Montfort in Kippenhausen bietet mit Fisch in Kokos-Currysauce und Lamm mit Kräuterrücken eine durchaus akzeptable Alternative.
Und wo geht's nächstes Wochenende hin?