In Taliwine und um Taliwine und um Taliwine herum
Mit dem Bus durch den Hohen Atlas
Es soll bis zu 100.000 Euro pro Kilometer kosten, um Bergstraßen zu bauen. Diese hier war wahrscheinlich etwas günstiger.
Schon vor dem Frühstück renne ich aus dem Haus, um Geld zu holen, denn in Taliwine soll es keinen Geldautomaten geben. Mit einem riesigen Geldbündel in der Tasche kehre ich zurück. Frühstück gibt's wie gestern direkt vor unserer Zimmertür im Innenhof. Um kurz nach neun brechen wir auf, jeder mit zwei Rucksäcken bepackt, zu Fuß zum Busbahnhof. Ein freundlicher Herr, den Esther schon von gestern kennt, zeigt uns den Weg zum richtigen Bussteig, wo der Bus schon steht. Drinnen ist es stickig, also warten wir lieber draußen auf die Abfahrt. Fast pükltich geht es los! Wir haben 65 Dirham pro Person für uns, plus 25 Dirham für's Gepäck bezahlt. Der Bus hält sehr häufig, zunächst steigen fast überall Leute zu. Die Berge sind schon am Horizont zu sehen und kommen schnell näher. Bald windet sich die Straße die steilen Hänge hinauf. Nach etwas mehr als drei Stunden wird in Ijoukak Mittagspause gemacht. Mit unseren leicht durchgeschüttelten Mägen beschränken wir uns dabei auf The à la menthe und Cola. Und schon geht's weiter. Der Bus ist jetzt mehr als voll besetzt, aber noch nicht wirklich überfüllt. Nach ein paar weiteren Stunden erreichen wir den höchsten Punkt der Fahrt, Tizi-n-Test auf 2200m, mit Aussicht auf das Tiefland auf der anderen Seite des Hohen Atlas. Es dauert noch etwa 2 Stunden, bis wir dann Aoulouz auf der Talsohle erreichen. Dort müssen wir überraschend in einen Minibus umsteigen, der weiter nach Taliwine fährt. Der ist nun wirklich voll, und darin werden zusätzlich zu den eingebauten Sitzbenken kleine Schemel aufgestellt, damit noch mehr Leute sitzen können. Während der Fahrt wird es nach und nach leerer. Am Ortseingang von Taliwine steigen wir aus und nehmen unsere Rucksäcke in Empfang, die unter einem Gepäcknetz auf dem Dach mitgefahren sind. Kleiner Verlust: meine GPS-Tasche ist wohl noch in dem ersten Bus; wir hatten sie mit dem Klettband an den Vordersitz geheftet, um guten Empfang zu haben, und dann beim raschen Umsteigen vergessen. Aber Hauptsache, das GPS ist da!
Wir durchqueren Taliwine entlang der Hauptstraße bis zur Auberge Le Safran – hier heißt scheinbar alles Safran), wo wir ein gemütliches Doppelzimmer kriegen, diesmal mit Fenster und phantastischem Ausblick über die Stadt und auf den Sternenhimmel, aber ohne heißes Wasser in der Dusche. Man kann halt nicht alles haben.
Abendessen muß man vorbestellen, wird dann aber erst um 20 Uhr serviert. Das große Zelt vor dem Haus ist schon voll besetzt, als wir zum Essen herunterkommen; wir werden in den Salon im ersten Stock komplimentiert. Das ist ein mit Kissen und plüschigen Bänken gemütlich eingerichtetes Zimmer, das nur leider etwas außerhalb des Blickfeldes der Kellner liegt — erst auf Nachfragen bekommen wir das Essen, nachdem wir uns eine Dreiviertelstunde lang mit dem leckeren Safran-Tee beschäftigt haben... Als Vorspeise haben wir marokkanischen Salat mit Arganien-Öl und Safran-Vinaigrette bestellt, kleingeschnipselte Tomaten und Gurken. Bloß keine Angst vor ungekochten Gemüse! Es beißt nicht! Als Hauptgericht gibt's Safran-Reis und Gemüse-Tajine, natürlich auch mit Safran. Und danach noch einen Safran-Tee. Später am Abend setzt sich Mahfoud, Besitzer des Hotels und Organisator von Trekkingtouren, zu uns, und wir unterhalten uns bis nach Mitternacht hervorragend mit ihm, zum Beispiel darüber, daß die Schweiz nicht am Meer liegt. Nebenbei verspricht er, uns eine schöne Sieben-Tage-Trekking-Tour zu organisieren.
Taliwine
Beim Krokusse pulen. Foto (c) Esther Arnold.
Am nächsten Morgen stellt sich heraus, daß es doch warmes Wasser in der Dusche gibt; wahrscheinlich war gestern bloß der Tank leer.
Wir sind nicht gerade die ersten beim Frühstück, aber dafür haben wir jetzt freie Platzwahl im Beduinenzelt. The à la menthe, Fladenbrot und Marmelade, was braucht man mehr? Zwei ältere Männer und ein kleiner Junge kommen herein; sie bringen eine geflochtene Tasche mit, die voller Krokusblüten ist. Sie beginnen, aus den Blüten die roten Fäden der Stempel herauszuzupfen, den Safran. Es sind Mahfouds Vater und Onkel und ein Cousin. Wir dürfen etwas mithelfen und jede Menge Fotos machen. Der Onkel zeigt uns auch das schon abgeerntete Feld hinter dem Haus. Oaseneleben Live! Ein Gramm dieses kostbaren Gewürzes kostet sogar hier umgerechnet 3 Euro.
Wir machen uns auf, das Dorf, oder romantischer, die Oase Taliwine zu erkunden. Zuerst mal zur Kasbah, der alten Burg oder Verteidigungsanlage. Weiter die Straße entlang nach Osten, dann über den Fluß, der aufgrund des vielen Regens in den letzten Tagen sogar Wasser führt. Ein paar junge Damen erkundigen sich nach unserem Wohlbefinden und laden uns zum Tee in ihr Haus ein. Sie wohnen in einem Anbau der Kasbah. Wir lehnen erst mal ab. Feigenkakteen und andere interessante Pflanzen. Arganienbäume? Eukalyptus? Wilder Fenchel? Man kann kaum erkennen, wo bepflanztes Ackerland ist und wo ungenutzte Brache, weil die Abstände zwischen dem gepflanzten Grünzeug so groß sind. Im Schatten eines alten Gemäuers, das früher mal das Gerichtsgebäude war, machen wir Pause, mit Blick über Fluß und Stadt. Der Muezzin ruft zum Gebet — man hat sich schon daran gewöhnt, und es ist ganz nützlich, um die Uhrzeit abzuschätzen. Weiter gehen wir durch den alten Dorfkern. Hier ist immer Montags Souk (Markt), haben wir leider gerade verpaßt. Jetzt ist die Straße wie ausgestorben; alle Läden und Türen sind verschlossen, nur der Wind bewegt ein paar (leider allgegenwärtige) Plastikfolien durch die Straßen.
Aufenthaltsraum der Auberge Le Safran
Am Flußufer machen wir nochmal Pause. Der Boden ist überall recht feucht; schade, daß man sich nicht einfach irgendwo in den Sand legen kann! Daher gehen wir dann doch zum Hotel zurück, um im üppig plüschig eingerichteten Aufenthaltsraum direkt neben unserem Zimmer das Nickerchen nachzuholen. Allerdings werden wir dort durch ein paar hartnäckige Fliegen gestört.
Am Nachmittag machen wir uns nochmal auf ins Dorf, um ein paar Vorräte für die Trekkingtour zu beschaffen: Mandeln, Erdnüsse, Kekse und Schokolade. 250g frisch gebackene Kekse und zwei Schokocroissants für 11 Dirham! Zurück im Hotel noch einen Tee auf der Terasse im Garten. Die Sonne ist schon untergegangen. Bald ist es Zeit für's Abendessen: Lammfrikadellen und noch eine Gemüse-Tajine. Diesmal mit Obstsalat und Joghurt zum Nachtisch; alles stilvoll im Zelt genossen.
Eine Gruppe aus fünf französischen Künstlern ist heute eingetroffen; sie gehen morgen auf Trekking- und Zeichentour und lassen ihr Ausrüstung von fünf Maultieren tragen. Nachdem Mahfoud mit ihnen über ihre Tour gesprochen hat, kommt er wieder zu uns; diesmal nimmt er uns mit in eins der Turmzimmerchen auf der Dachterasse des Hotels. Wieder unterhalten wir uns stundenlang, und langsam nimmt unsere eigene Tour Formen an. Für morgen beschreibt er uns allerdings erst mal eine Tageswanderung.
Rund um Taliwine
Also, erst mal eine Tagestour. Auf dem Grat des Berges, der dem Hotel gegenüber liegt, können wir bei genauem Hinsehen ein paar Häuser, also ein Dorf, erkennen. Das ist unser Ziel, und je nachdem, wie weit wir an der Kante dann entanglaufen, sollen wir drei bis fünf Stunden unterwegs sein, meinte Mahfoud. Zuerst geht's wieder zur Kasbah und dann dahinter auf schmalen Pfaden den Berg hinauf. Viele kleine Blümchen wachsen zwischen den Felsen, und etwas entfernt sind zwei Hirten mit einer großen Ziegen- und Schafherde unterwegs. Oben angekommen, stellt sich heraus, daß der Grat tatsächlich der Rand einer Hochebene ist, auf der außer dem Dorf auch noch jede Menge Felder und auch eine Straße sind. Es gibt sogar einen richtigen Wald mit Bäumen und Palmen. Einige Bauern arbeiten auf den Feldern. Die zwei Frauen, die uns auf dem Weg durch einen Olivenhain ins Dorf begegnen, sind augesprochen freundlich und entzückt, daß Esther sie auf arabisch grüßen kann. Ich übe noch.
Mit Blick über das Tal und Taliwine machen wir Mittagsrast: Granatapfel, Bananen, Mandeln und Kekse. Das Wetter ist wie gestern, leichte Wolken, die uns davor bewahren, komplett gegrillt zu werden. Der Abstig geht leicht; wir müssen dann noch ein Stück an der Straße entlang, über die Brücke, und schon sind wir wieder in der Auberge Safran.
Dann erst mal Sachen packen: ein gemeinsamer großer Rucksack für uns beide (damit das Maultier nicht so schwer zu tragen hat), mit Klamotten und Schlafsäcken, und ein Tagesrucksack für jeden. Den Rest lassen wir (in dem anderen großen Rucksack) hier. Noch schnell die Postkarten einwerden – der Händler, der neben dem Briefkasten Nüsse verkauft, versichert uns, daß der Kasten regelmäßig geleert werde.
Das Abendessen ist wie immer lecker, Tajine mit Rindergehacktem und Lamm-Frikadellen mit gemüse. Heute erkllären wir Mahfoud gleich, daß wir früh ins Bett müssen, und er scheint ganz froh zu sein, daß auch er so rechtzeitig ins Bett kommt. Hatte er doch einen hektischen Tag hinter sich: außer die Künstler auf den Weg zu bringen, mußte er unsere Tour nochmal komplett umstellen, da ein Fluß zur Zeit wegen Hochwassers an der geplanten Stelle nicht überquert werden kann. Daher werden wir den Rundweg andersherum gehen und erst am Ende zu dieser Stelle kommen. Ich frage mich nur, was der Plan für den Fall ist, daß man dann immer noch nicht drüber kommt? Sitzen wir dann dort fest? Inshallah – wenn Gott will, wird's gut gehen.
In letzter Sekunde nennt Mahfoud den Preis, der doch etwas höher ist als erwartet, also werden wir morgen früh nochmal ins Dorf flitzen, um Geld zu holen. Zum Glück gibt es hier doch Geldautomaten, auch wenn sie nicht jedem Geld geben.
In der Nacht zieht ein Sturm auf und klappert mit den offenen Fenstern, aber sonst haben wir eine ruhige Nacht.
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