Wandern in den Pyrenäen, Teil 1 des GR10
1.-3. November 2018
Durch die Weinberge bei Banyuls-sur-Mer. Drittes Foto (c) Felix.
Endlich mal wieder eine richtige Wanderung! Mit Kochgeschirr und
Zelt! Physi, Vincent, Gerhard und ich haben drei Tage GR10 geplant, von Banyuls-sur-Mer bis Arles-sur-Tech. Ausnahmsweise kommen wir mal ohne Probleme bis nach Montpellier, wo Felix uns abends am Bahnhof abholt. Nach einer sehr kurzen Nacht geht es um halb 7 aus dem Haus, noch vor Sonnenaufgang im Laufschritt zur Straßenbahn. Die fährt natürlich nicht wie erwartet, wir müssen eine halbe Stunde auf die nächste warten. Macht aber nichts, da wir dank Internet sehen können, dass auch unser Zug nach Banyuls verspätet sein wird. So haben wir wenigstens Zeit für ein ausgiebiges Frühstück im Bahnhof, mit Zitronentorte und frisch gepresstem O-Saft. Allerdings wären zwei Stunden Verspätung dafür nicht nötig gewesen, und es wäre auch irgendwie nett gewesen, wenn wir von Anfang an gewusst hätten, dass es zwei Stunden werden, und das nicht in Häppchen von zehn Minuten angezeigt bekommen.
Schließlich fährt der Zug doch, sehr schön an der Küste entlang, auf der einen Seite das Meer, auf der anderen die Etangs voller Flamingos. Die werden allerdings nicht von allen gewürdigt, das Schlafbedürfnis ist stärker.
Kurz vor der Ankunft in Banyuls, nach etwa zwei Stunden Fahrt, gibt’s noch schnell Mittagessen. Dann müssen wir natürlich erst mal ans Meer, damit wir auch wirklich bei km 0 anfangen, und damit Felix im Dorf noch eine Flasche Wasser kaufen kann. Dann geht’s los! Bei Sonnenschein hinauf durch die Weinberge. An einem Aussichts- oder Wachturm vorbei. Ein Weinbauer schenkt jedem von uns eine Tüte Süßigkeiten, das ist hier wohl so Brauch am 1. November. Mehrfach müssen wir anhalten, um nach und nach Klamotten auszuziehen. Der Weg ist ein schöner Trampelpfad. Im Gegensatz zum Schwarzwald hat sich hier niemand die Mühe gemacht, für die Anstiege Serpentinen anzulegen — es geht einfach direkt senkrecht die Hänge hinauf. Gut, dass ich Stöcke dabei habe und dadurch die mangelnde Kraft der Beine mit den Armen ergänzen kann! Felix’ und Vincents Tempo ist beachtlich — bin ich wirklich so untrainiert? Und das alles nur wegen der Verspätung der Bahn und der Aussicht, die letzten fünf km heute Abend im Dunkeln laufen zu müssen.
Gipfelfoto am Pic de Sailfort. Von links: Felix, Vincent, Gerhard, Ute.
Endlich ist der Höhepunkt des Tages erreicht: der Pic de Sailfort. Zeit für ein schnelles Foto und etwas Studentenfutter, dann geht es weiter. Einen Berg weiter landet gerade ein Rettungshubschrauber — es ist aber wohl eine Übung. Zwischen Ginsterbüschen und Kühen geht es weiter. Zum Glück (oder Pech, je nachdem, wen man fragt) führt der Weg nicht direkt über den Gipfel des Pic des Quatre Termes, sondern knapp daran vorbei. Die Sonne sinkt immer tiefer, und unser
Tagesziel, die Biwakschachtel am Col de Tanyareda, unterhalb des Gipfels des Puig Neulos, ist immer noch sehr weit weg — den Gipfel erkennt man wegen seiner Funktürme gut.
Plötzlich ein Grunzen — im Halbdunkel rennt eine Rotte
Wildschweine davon, zwei große und ein kleines.
Die Landschaft ist abwechslungsreich, die Weinberge haben mit kargem Bergbewuchs gewechselt und jetzt geht es durch einen Buchenwald. Zeit, die Stirnlampen herauszuholen — hätte man sie bloß gleich ins Deckelfach gepackt, dann bräuchte man jetzt keine Stirnlampe, um sie zu finden! Im Dunkeln erkennt man die rot-weißen Wegmarkierungen, die überall reichlich vorhanden sind, nicht mehr so gut. Die roten Gummi-Erdbeeren aus der Süßigkeiten-Tüte des Weinbauern wirken Wunder als Power-Ups für die letzten Kilometer.
Die letzten Kilometer gehen wir im Halbdunkel durch einen urigen Buchenwald. Erstes Foto (c) Vincent.
Schließlich kommen wir an der Hütte an. Drinnen brennt ein Feuer, eine Gruppe Jugendlicher sitzt mit einer Flasche Rum und einem Kartenspiel am Tisch. Es wäre zwar noch genug Platz für uns, aber wir bevorzugen es, draußen unsere Zelte aufzubauen. Ein flaches Plätzchen findet sich ein Stück unterhalb. Die Quelle mit frischem Wasser ist angeblich 150 m die Straße lang (ja, richtig, hier gibt es eine Straße, über die man bis vor die Haustür der Hütte fahren kann, was wahrscheinlich die Anwesenheit der Kids erklärt). In der Realität ist sie nicht da, jedenfalls nicht im Dunkeln. Dafür aber ein großes schwarzes Etwas, das wohl eine Kuh ist und ebenso irritiert über meine Anwesenheit wie ich über ihre. Und eine kleine Spinne, deren Körper das Licht der Taschenlampe grünlich reflektiert. Naja, für’s Abendessen reicht das Wasser noch, es gibt Outdoor-Tüten-Essen bzw. bei Felix Couscous mit frischer Zwiebel. Der Sternenhimmel ist sehr schön, und der Blick über die Ebene bis zum Meer auch — auch wenn die Städte im Tal ruhig etwas weniger hell erleuchtet sein könnten! Nur die Zelte könnten etwas größer sein, zumindest das von Gerhard — die Rucksäcke müssen draußen bleiben. Das macht sich gleich nachts ein Tier zu Nutze, das den Inhalt unserer Mülltüte gleich mal über die ganze Wiese verteilt...
In der Nähe zelten noch mehr Leute, die wohl ebenfalls keine Lust auf die verrauchte Hütte hatten. Laut GPS ist die Quelle 500 m weit weg — so weit möchte heute niemand mehr laufen.
Aufbruch von der Pla de Tanyareda. Foto (c) Felix.
Am nächsten Morgen gehen Felix und ich noch vor dem Frühstück Wasser holen, da das ohne Wasser wohl eher karg ausgefallen wäre. So schwelgen wir in zwei Sorten Tee, Müsli mit Schokopulver und Nutella-Brot. Die Nutella ist allerdings auch noch nicht ganz wach und nur mit großer Mühe zu bewegen, aus dem Schlafsack, äh, aus der Tube zu kommen.
Der Plan mit dem Frühstück in der Sonne geht nicht ganz auf, denn kaum ist die Sonne über den Hügel gestiegen, verschwindet sie hinter einer Wolke. Und so machen wir uns bei grauem Wetter an den 500 m Aufstieg zum Puig Neulos. Oben pfeift uns der Wind um die Ohren und keiner hat Lust auf eine Gipfelrast. Außerdem haben wir keine Zeit, denn der Plan für heute sieht 1400 Höhenmeter und fast 30 km vor. Erst mal geht’s wieder runter, bis zu einer Gite am Coll de l'Ullat, und dann über einen Höhenweg durch den Wald in einem großen Bogen bis nach Le Perthus. Zwischendurch machen wir auf einer Lichtung Mittagspause, noch weit genug weg von Lärm und Abgasen der monströsen Autobahnbrücke.
Römische Ruinen bei Le Perthus. Korkeichen am Wegrand (Foto (c) Felix).
In Le Perthus noch eine kurze Denkpause: wollen wir wirklich in dem Tempo noch 2 Tage weiter? Können wir? Ja, wird schon gehen. Auf dem riesigen Touristen-Parkplatz in der Nähe der Festung Bellegarde im Bastionärsystem aus dem 17. Jahrhundert ist weder die Toilette geöffnet noch gibt es Trinkwasser — das Hinweisschild ist wohl schon älter. Und wieder geht’s bergauf, zu den Ruinen eines römischen Militärpostens, und von da aus durch lichten Wald weiter. Erstaunlich, wie sich hier die Landschaften und Pflanzen abwechseln: Weinberge, Wald mit Esskastanienbäumen, Buchenwald, Mischwald, Ginstergestrüpp, Korkeichen. Die Herbstfarben sind prächtig, und der starke Wind hat die Wolken vertrieben, so dass wir nun blauen Himmel haben. Dafür ist es eben auch windig, oder eher stürmisch.
Noch 300 m Aufstieg bis zur Übernachtung in einem alten Kloster, oder lieber 200 m Abstieg bis ins Dorf Las Illas, das auf dem Dorfplatz einen sicher windgeschützten Biwakplatz hat? Wir entscheiden uns für letzteres und kommen gerade mit Einbruch der Dunkelheit an. Satz mit x, war wohl nix: alles, was wir nicht festhalten, wird sofort davon geweht, Kocher-Windschutz oder Regenhose, Wasserflasche, ... mehrfach muss Felix Dingen bis auf die Straße hinterherrennen. Das Essen kühlt in den Tüten bzw. Töpfen schneller aus, als wir löffeln können, aber das macht nichts, wir haben ja noch Mousse au Chocolat, das muss man sowieso kalt essen. Und zum Aufwärmen trinken wir einfach Pfefferminztee mit Zitronen-Magnesiumtabletten. Zum Zelte-Aufbauen brauchen wir auch alle Hände. Dafür gibt es eine recht saubere beleuchtete Toilette, einen Brunnen mit Trinkwasser und sogar eine (Außen-)Dusche — bei dem Wind würde einen der Wasserstrahl nur wahrscheinlich gar nicht treffen; Lust, das zu testen hat keiner. Nachts hören wir die Böen heran brausen, kurz bevor sie dann unser Zelt treffen und die Plane bis auf unsere Nase herunter drücken.
Dennoch schlafen Drei von Vieren ganz gut.
Aufbruch vom Dorfplatz von Las Illas. Foto (c) Felix.
Morgens hat der Wind nachgelassen und die Sonne scheint. Die “Frühstücksprozedur” wird beschleunigt, weil die Nutella die Nacht im Schlafsack verbracht hat und man nun auf die Tube drücken kann. Jetzt müssen wir erst mal die 200 m wieder hoch, die wir gestern abgestiegen sind (auf der gegenüberliegenden Talseite), und dann noch die 300 m hoch, die wir gestern nicht mehr aufgestiegen sind. Das geht auf einem bequemen Fahrweg. Dann müssen wir nur noch weitere 450 Höhenmeter hoch und ein Stück den Bergrücken entlang bis zum Gipfel des Rock de France bzw. Roc de Frausa, dem der Höhepunkt der gesamten Tour. Der Weg ist jetzt schmal, voller Laub und mit Wurzeln und Steinen übersät.
Gipfelfoto vom Rock de France. Hinten von links: Felix, Canigou-Massiv, Gerhard; vorne: Ute, Vincent. Und noch jemand macht in der Sonne Rast.
Kurz unterhalb des Gipfels wechseln wir vom GR10 auf eine Fahrstraße, die auf der spanischen Seite des Berges direkt bis zum Gipfel führt (der GR10 führt nämlich nicht direkt über den Gipfel). 10% Steigung über 2 km, geht gerade noch so. Auf dem Gipfel wieder die obligatorischen Funkmasten. Eine kleine Kletterpartie (die Felix wahrscheinlich gar nicht als solche bezeichnen würde) bringt uns auf den Rock de France (der allerdings laut %NOP%OpenStreetMap gar nicht der höchste Punkt dieser drei eng beieinander liegenden Gipfel ist), von wo aus wir einen phantastischen Blick in alle Richtungen haben, bis zum Mittelmeer im Osten und bis zum bereits schneebedeckten Canigou-Massiv im Westen. Auch hier ist es viel zu windig, um sich lange aufzuhalten; gut, dass wir kurz vor dem Gipfel in der Sonne am Coll del Puig de la Neu eine kurze Pause gemacht haben. Über felsiges Gelände geht es auf der anderen Seite des Gipfels den Grat entlang, und dann hinunter, bis wir wieder auf den GR10 treffen, und dann immer weiter hinunter, durch Ginster und Buchenwald. An einer sonnigen, idyllischen Stelle an einem Bach im Wald machen wir eine verspätete Mittagspause, gleich mit Ansage: bitte maximal 30 Minuten, sonst verpassen wir unseren Bus! Da die Sonne kurz darauf hinter einer Wolke verschwindet und es schlagartig kühl wird, haben wir kein Problem damit. Ach ja, nach Arles-sur-Tech zu kommen haben wir aufgeggeben, wir peilen "nur" noch Amelie-les Bains als Tagesziel an.
Abstieg durch ein iyllisches Wäldchen mit Bach (und eiskaltem Fallwind).
Ab der Mühle Serrador wird der Weg zu einem Fahrweg, der sich in Serpentinen eine Schlucht entlang schlängelt. Immer wieder überqueren wir kleine Bäche. Schließlich müssen wir uns entscheiden: weiter die Straße entlang, oder lieber die Abkürzung über den Fußweg? Noch 90 Minuten bis zur Abfahrt des letzten Busses! Stratzen wir lieber die Straße lang, da sind wir schneller. Eine schöne Straße eigentlich, hoffentlich haben wir genug Fotos, damit wir uns die Landschaft später nochmal in Ruhe angucken können. Kurz vor Amelie-les-Bains nehmen wir dann doch noch den schmalen Fußpfad, der uns wiederum in steilen Serpentinen ziemlich direkt ins Dorf bringt, während die Straße eine große Schleife gemacht hätte. Im Dorf etwas Verwirrung: wie kommen wir auf dem schönsten direktesten Weg zur Gare Routiere? Es bleibt sogar noch Zeit, ein Zitronentörtchen und Lustigwasser zu kaufen, bevor der Bus kommt. Rucksäcke unten in den Kofferraum, uns selber oben rein, und dann eine Stunde für 1 Euro pro Person durch die Gegend schaukeln bis nach Perpignan, von wo aus wir dann mit der diesmal pünktlichen Regionalbahn zurück nach Montpellier fahren. Anja holt uns an der Straßenbahnhaltestelle ab, so dass wir uns die letzten 20 Minuten laufen ersparen. Reicht auch so: 75 km und 3500 Höhenmeter in 3 Tagen, mit vollem Gepäck. Wenn auch nicht ganz so viel und so schnell wie Felix es gern gehabt (und locker gekonnt) hätte: ich finde das eine respektable Leistung, und gleichzeitig eine hervorragende Motivation, mehr zu trainieren! Wir haben uns den faulen Strand-Tag einschließlich Bad im 18 Grad warmen, äh, kalten Mittelmeer, und das reichhaltige Raclette-Essen am nächsten Tag wirklich verdient. Vielen Dank, und bis zum nächsten Mal!