Auf dem Eifelsteig von Aachen bis zur Vulkaneifel
April 2022
Zum eingewöhnen
Die Sache fängt ja gut an: ich träume schon in der Straßenbahn vor
mich hin und verpasse meine erste Umsteige-Haltestelle! Zum Glück
führen viele Wege zum Bahnhof, und da ich die Karlsruher Straßenbahn
ja kenne, hatte ich auch extra-viel Zeit eingeplant. So kann ich mir
im Buchladen am Bahnhof immer noch in Ruhe ein Rätselheft
aussuchen. Der ICE nach Köln steht schon am Gleis und mein
reservierter Erste-Klasse-Sitzplatz wartet auf mich (ich hatte
einen Gutschein, da darf ich auch mal dekadent sein). Bis Frankfurt
Flughafen geht alles gut, der Kellner serviert Schokolade mit
Desinfektionstuch, der Zug ist pünktlich, die Arbeiten am
Eulen-Tragenetz können erfolgreich abgeschlossen werden. Doch jetzt
kann der Zug wegen eines Unfalls im Gleis zwischen Frankfurt und Köln
nicht weiterfahren, und nicht nur das: wir werden alle vor die Tür
gesetzt, weil genau unser Zug als Evakuierungszug auf die Strecke
soll, um die im auf freier Strecke feststeckenden Zug sitzenden
Fahrgäste zu evakuieren. Genauso ahnungslos wie das Personal des Zuges
vom gegenüberliegenden Bahnsteig stehen wir nun in der Gegend
herum. Sollte ich vielleicht doch, wenn ich schon am Flughafen bin,
mir ein schönes Last-Minute-Flugziel aussuchen statt in die Eifel zu
fahren? Dann plötzlich eine Durchsage: an Gleis 6, bitte einsteigen,
der Zug fährt ab! Richtung Köln-Deutz statt Köln Hautbahnhof, aber
besser als gar nichts, also schnell rein. Die Zugbegleiter drücken
gleich jedem Reisenden ein Fahrgastrechte-Formular in die Hand – auch
eine Form von Kundenservice. Wir nehmen die scenic route den
Rhein entlang, Koblenz, Loreley, Rhens, auch ganz nett hier. Der Halt
in Bonn-Siegburg fällt aus, dafür ein außerplanmäßiger Halt in
Koblenz. Der Halt in Köln-Deutz ist auch gestrichen, dafür Halt in
Köln Hauptbahnhof – na bitte, geht doch. Mit 2 Stunden
Verspätung. Der anschließende Nahverkehrszug, der mich nach Aachen
bringt, ist ebenfalls verspätet, das spielt aber kaum noch eine
Rolle. Warum sind die Sitze in diesen Vorortzügen immer so unbequem?
Gehen die davon aus, dass alle Fahrgäste während der ganzen Fahrt mit
vorgebeugtem Kopf angestrengt auf ihr Handy starren statt entspannt
zurückgelehnt aus dem Fenster zu schauen? Mit mehr als zwei Stunden
Verspätung und dem Recht auf Erstattung von 50% des Fahrpreises
erreiche ich Aachen Rothe Erde. Ob die bei einem Gutschein das Geld
auch erstatten? Werden wir ja sehen. Mit dem Bus geht's weiter nach
Kornelimünster. "Marktplatz" ist vielleicht etwas übertrieben als
Beschreibung für den Startpunkt des Eifelsteiges – ich sehe nur eine
Bushaltestelle an einer belebten Straße. Aber egal, Hauptsache
Wandern! Los geht's!
Euli im Tragenetz aus Paracord.
Im Hochmoor auf dem Struffel.
Trotz der Verspätung bleibt reichlich Zeit, entspannt vor der
Dunkelheit das Tagesziel in Roetgen zu erreichen. Zunächst mal bin ich
überrascht, an der Inde zu stehen - ein kleiner Back, der bei den
Unwettern 2021 einen ganzen Tagebau geflutet hat! Bei genauem Hinsehen
erkennt man auch hier im Ort und im folgenden Flusstal, weit oberhalb
des Tagebaus, noch Spuren des Hochwassers. Das Wetter ist warm, viel
wärmer als ich erwartet habe! Die Sonne scheint allerdings nicht. Und
erst Recht bei den kleinen aber feinen Anstiegen am Rande des Tals
wird mir warm – ich bin ziemlich aus der Übung, was Wandern mit
großem Gepäck angeht, scheint mir! Bei nächster Gelegenheit steige ich
mal von der langen Wanderhose auf den kurzen Rock um. Euli baumelt in
ihrem Paracord-Sicherheitsnetz an der Seite des Rucksacks und guckt
verschlafen. Knicks, Viehweiden, kleine Wäldchen und der Damm der
Vennbahn bestimmen hier das Landschaftsbild. Kurz vor dem ersten
sehenswerten Punkt des Weges: Umleitung! Der Wanderweg wurde offenbar
durch das Unwetter unpassierbar und ist noch nicht wieder
hergestellt. So verpasse ich den restaurierten historischen
Kalkbrennofen bei Walheim. Kurz danach bei Rott gleich die nächste
Umleitung: hier hat der Vichtbach eine Brücke weggerissen und einen
Teil des Abhanges gleich mit. Vermessungsarbeiten sind im Gange, um
die Brücke wieder aufbauen zu können (was aber, wie ich gelernt habe,
bei Erdrutschen gar nicht so einfach ist). So verpasse ich den zweiten
als sehenswert markierten Punkt: einen Aussichtspunkt über das
Tal. Das nächste Highlight der Tour ist der Struffel, ein flacher
Hügel (der höchste hier in der Gegend, mit etwas über 450m) mit einem
Hochmoor oben drauf, einschließlich Holzbohlenweg und
Vogelscheuche. Dann geht's an der Dreilägertalsperre vorbei und
entlang des Westwalles nach Roetgen. Der letzte Wegabschnitt verläuft
auf dem Vennbahnradweg (dem ehemaligen Bahndamm) bzw. wie sich das für
einen Premium-Wanderweg gehört, auf einem Trampelpfad neben dem
Asphaltweg. Interessante und kaum glaubhafte Tatsache: die Bahntrasse
selbst gehört zu Belgien, das Gebiet rechts und links davon gehört zu
Deutschland.
In Roetgen stellt sich heraus, dass mein Hotel eigentlich eine Therme
einschließlich Saunadorf ist, in der zufällig auch Zimmer vermietet
werden. An der Rezeption stehen außer mir nur Leute im Bademantel. Ich
bin etwas zu erledigt, um das zu würdigen, und mache mir nur schnell
ein Tütenessen auf dem Zimmer. Hat es sich doch schon gelohnt, den
elektrischen Wasserkocher mitzuschleppen. Es hätte auch ein Restaurant
gegeben, aber auf den ersten Blick hatten sie nur sauna-verträgliche
leichte Speisen und Salate, und ich brauche schon ein paar mehr
Kalorien. Das Fensterchen geht zur Hauptstraße, es ist also laut, und die Jalousie schließt nicht richtig, also ist es auch hell. Letzteres kann man mit einem drüber gehängten Handtuch lösen, und ersteres, schnarch, war da was?
Durch Belgien und durch's Hochmoor
Gut, keinen Wecker stellen zu müssen! Irgendwann zur Frühstückszeit
zwischen 7 und 10 werde ich schon aufwachen. Es gibt Buffet mit viel
Auswahl. Es sind viele Frühstücksgäste da, und einige davon sehen aus,
als ob sie nur schnell den Jogginganzug angezogen hätten, um darauf zu
warten, dass die Sauna öffnet. (Viele ist relativ, es gibt ca. 10
Zimmer und davon scheinen ca. 6 belegt). Thermoskanne vorbereiten,
Brötchen vom Buffet schnorren, und los geht's! Als erstes einen
Briefkasten finden, um das Fahrgastrechteformular abzuschicken --
jedes Gramm, das nicht getragen werden muss, zählt! Über lustige
Wurzelpfade geht's über Wiesen und Weiden, und schon bin ich wirklich
in Belgien. Durch einen hohen Wald geht's dann an den Aufstieg ins
Hohe Venn, ein Hochmoor und Naturschutzgebiet. Der Wanderführer sieht
vor, das Moor auf einer schnurgeraden, kilometerlangen Asphaltstraße
zu durchqueren. Na, da nehme ich doch lieber den Umweg über die
Trampelpfade mitten durch's geschützte Gebiet! Und werde mit
spektakulärer Landschaft, einem weiteren Holzbohlenweg und einer Raupe
belohnt. Die Sonne scheint, mit vielen Quellwolken, und es ist noch wärmer als gestern. Das Moor riecht nach Wärme und Moor. Wozu braucht man da eine Therme, und was will man mehr?
Moorlandschaft im Hohen Venn.
Wieder zurück im normalen Wald mache ich auf einem Baumstamm Mittagspause. Ich muss mich allerdings nochmal umsetzen, denn ich sitze mitten auf einer Ameisenstraße, und das findet Euli nicht lustig. Es gibt Tee und Käsebrot mit Ei. Über die Hälfte der Etappe heute habe ich schon geschafft. Soll das eine Blase werden am rechten Ballen? Vorsichtshalber mache ich mal ein Blasenpflaster drauf.
Buchenhecke bei Mützenich.
Weiter geht's zu des Kaisers Bettstatt, wo der Legende Karl der Große nach bei einem Jagdausflug auf einem Quarzitstein nächtigte, und durch den Ort Mützenich, dessen Name im Zusammenhang mit dieser Übernachtung steht: Karl lehnte eine ihm für die Nacht angebotene Kopfbedeckung ab: "Mütze nich!" Im Ort gibt es viele große, schicke Neubauvillen und einen Konsum-Supermarkt. Dann geht's von der Hochebene des Venn hinunter ins Tal. Auch hier Spuren des Unwetters. Immer weiter runter bis nach Monschau. Hilfe, alles voller Touristen! Eine Schau-Glasmaufaktur, ein Handwerkermarkt und irgendein Museum... und natürlich der sehr gut erhaltene alte Ortskern voller Fachwerkhäuser und mit einer Burg in der Mitte locken die Leute an. In der Burg gibt's sogar eine Jugendherberge! In der Hektik der Reisevorbereitungen bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, nach Jugendherbergen als Übernachtungsmöglichkeit zu gucken, und so ärgere ich mich jetzt ein bisschen darüber, dass ich statt in der Burg in einem stinknormalen Hotel sitze... an dem Hotel gibt es allerdings nichts auszusetzen, das Zimmer ist modern und praktisch und man kann immerhin die Burg vom Fenster aus sehen. Ob es hier einen Supermarkt gibt? Nö. Aber es gibt "Birgits Lädchen", das etwa wie der Shop an einem typischen Campingplatz die lebensnotwendigen Dinge anbietet, und ich kaufe Obst und Brot. Die Burg will natürlich ebenfalls besichtigt werden, zumindest so weit das von außen möglich ist. Man kann sogar in den Burghof, zwischen den alten Gemäuern herumlaufen und auf den kleinen Turm steigen.
Nach dem Duschen im Hotel eine unangenehme Überraschung: der Föhn funktioniert nicht. Ich melde das an der Rezeption, und kaum schaut sich der hilfsbereite Mitarbeiter die Sache an, föhnt der Föhn wie erwartet! Des Rätsels Lösung: wenn man das Licht im Bad nicht anschaltet, bleiben alle anderen elektrischen Leitungen und Apparaturen dort ebenfalls aus. Und ich hatte das Licht nicht angemacht, weil vom Zimmer her genug Licht hereinkam und der Lärm des immer gleich mit eingeschalteten Lüfters mich störte...
Zum Abendessen gibt's Suppe und Brot und im Fernsehen eine Doku über das Alleinsein – ich fühle mich auch schon wie ein buddhistischer Mönch in einer Eremitage in Nepal, entspannt und unberührt von den Wirren eines normalen Lebens.
Einfach dem Flusslauf der Rur folgen
Ich wache sehr früh und gut erholt auf und bin nach einem schnellen
selbst gemachten Frühstück aus Haferflocken und Schokopulver auch früh
unterwegs. Am Marktplatz des Ortes finde ich den richtigen Weg nicht:
welche von den vielen Abzweigungen wäre die richtige gewesen? Egal,
oben bei der Kapelle gegenüber der Burg treffe ich ihn wieder. In der
Morgensonne sieht die Fachwerkstadt auch sehr nett aus. Am Hang
entlang, über Wurzelpfade an Felsen entlang bis zum Perlenbach, der so
heißt, weil es hier früher Muscheln mit Perlen drin gegeben hat. Die
letzte Landesherrin soll noch eine solche Perlenkette getragen
haben. Der Weg folgt dann der Perlenbachtalsperre, und siehe da: am
Ufer ein von einem Biber gefällter Baum! Was ein Biber am Ufer einer
Talsperre macht, weiß ich nicht, es wird aber nicht der einzige
Biberbaum sein, den ich in so einer Lage sehe. Dann geht es steil
bergauf auf die Hochfläche, auf der Höfen liegt. Auch am dritten
Wandertag finde ich steile Aufstiege noch anstrengend. Ich glaube, ich
muss mehr Essen essen und weniger Essen kaufen und herumschleppen. Höfen
ist zum einen Bekannt für seine Wiesen mit wilden Narzissen, von denen
aber nicht viel zu sehen ist, ich bin wohl zu früh im Jahr dran. Zum
anderen ist es für seine Buchenhecken bekannt. Auch gestern schon sind
mir die bis zu acht Meter hohen Hecken aufgefallen, die Gärten und
Weiden umgeben. Die wurden früher als Schutz vor Wind und Regen
angepflanzt, als die Häuser noch nicht so gut isoliert waren wie
heute. So richtig viele von diesen Hecken gibt's hier in Höfen aber
gar nicht, zumindest nicht da, wo ich lang laufe, deswegen gibt's
davon auch kein Foto. Hier soll auch das Nationalparktor stehen, so
dass man direkt hindurch läuft, aber auch das ist nicht da oder ich
hab's jedenfalls nicht als solches erkannt.
Der Kluckbach an der Mündung in die Rur.
Auf der anderen Seite von Höfen geht's wieder runter, in das Tal
der Rur.
Laut Reiseführer muss ich jetzt nur noch dem
Flusslauf folgen, bis nach Einruhr. Hört sich einfach und vor allem
eben an, aber jemand hat sich die Mühe gemacht, den Wanderweg immer
wieder vom Boden des Flusstales bis an den Rand der Hochfläche hinauf
und dann gleich wieder hinunter zu legen. Am Ende des Tages werde ich
900 Höhenmeter erklommen haben! Zeit für eine frühe Mittagspause bei
Perdsley, einem Felsen (Ley = Schiefer) mit Ausblick über das Rurtal
(man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, und die Bäume sind auch
alle noch kahl). Und weiter geht's, auf und ab und auf und ab,
... müsste ich nicht langsam mal da sein? Dedenborn in Sicht, das
letzte Dorf vor Einruhr. Nochmal Zeit und gute Gelegenheit für eine
Pause an einer Bank mit Blick über die Wiesen und Weiden rund um
Dedenborn. Mich überholt eine Dame, die ich gestern im Hohen Venn schon mal gesehen hatte - bisher die einzige Person, die wie ich mehrere Etappen des Eifelsteiges zu gehen scheint. Ansonsten sind ziemlich wenige Wanderer unterwegs und so gut wie keine mit größerem Gepäck.
Zum Wolfshügel hinauf, endlich, mit Blick auf den Rursee
(bzw. den Obersee, der, wie der Name sagt, oberhalb des Rursees
liegt)! Und ein letztes Mal auf steilem Pfad hinunter nach
Einruhr. Mein Hotel Seemöwe liegt tatsächlich direkt am See und mein
Zimmer hat einen Balkon mit Abendsonne und Seeblick. Wundervoll! Etwas
weniger kalter Wind wäre schön, aber man muss ja nicht unbedingt Eis
essen, ein Schnitzel mit Pommes tut es auch. Die phantastische
Tortenauswahl im Restaurant-Café bemerke ich leider zu spät – beides
passt nicht (mehr), und etwas herzhaftes muss auf jeden Fall sein. Das Schnitzel mit dem Salat aus der Plastiktonne kann ich allerdings nicht unbedingt weiterempfehlen.
Die Einrichtung des Zimmers ist schon etwas älter, aber gemütlich. Das Waschbecken könnte etwas größer sein, ich wollte heute eigentlich Socken waschen, aber es würde noch nicht mal eine Socke komplett in das Becken passen, fürchte ich... der Waschtag wird verschoben.
Stausee-Tag
Einkaufen ist nicht, auch wenn es heute feiertagstechnisch möglich
wäre: hier gibt es nur einen Kiosk. Ich frage mich, wo die
Einheimischen einkaufen, wenn es in jedem Dorf nur einen Kiosk oder
einen Tante-Emma-Laden gibt? Zum Glück steht auf meinem
Frühstückstisch, gekennzeichnet mit meiner Zimmernummer, ein Korb mit
zwei Brötchen, extra für mich. Also brauche ich kein schlechtes
Gewissen zu haben, wenn ich die mitnehme. Das Frühstücksbuffet
ansonsten ist reichhaltig und gut. Ich futtere eine extra große
Schüssel Müsli und eine noch größere Portion Rührei. Nur Nutellabrot
geht nicht, muss ja die Brötchen aufsparen... Das ist schon das zweite
Hotel auf dieser Reise, wo es Kännchen für den Tee gibt --
offensichtlich setzt sich die Erkenntnis, dass Teebeutel in Kännchen besser funktionieren als in Minitassen, langsam durch. Gut für mich! Milchkännchen gibt es allerdings nicht, aber dafür kann man die Saftgläser benutzen, darin hab ich inzwischen Übung und komme mir auch gar nicht mehr komisch vor.
Die Staumauer des Urftstausees; das Wasser unten gehört zum Obersee.
Heute Nacht habe ich fast 12 Stunden geschlafen, und das hat mir und
meinen Füßen sehr gut getan. Auf geht's! Zielsicher bergan statt
gemütlich am Ufer des Stausees entlang, das war ja klar. Da die Buchen
noch keine Blätter haben, kann man zwischen ihnen hindurch immer
wieder den Stausee sehen. Kaiserwetter sei für heute vorhergesagt,
meinte der Rezeptionist im Hotel. Der Morgennebel verzieht sich
schnell und die Sonne scheint, aber weht ein kühler Wind (außer immer
da, wo es steil bergan geht). Am späten Vormittag erreiche ich die
Staumauer der Urfttalsperre. Auf der anderen Seite gibt es ein
Restaurant, und nachdem ich den Weg über die ausgesetzte Mauer
gemeistert habe, mit dem Abgrund auf der einen und dem See auf der
anderen Seite, habe ich mir Tee und Apfelkuchen reichlich verdient!
Der Gastraum ist warm und windgeschützt und gemütlich mit Fellen
dekoriert. Hier kann man's aushalten! Irgendwann muss ich dann aber
doch weiter, Richtung Ordensburg Vogelsang, die konnte man in der
Ferne schon sehen. Wie erwartet geht man nicht auf dem Höhenweg außen
herum, sondern in jedes kleine Seitental der Urft hinunter und auf der
anderen Seite wieder hinauf. Oben ist die Landschaft offen, mit toller Fernsicht, und voller Ginster, das Eifelgold, das um diese Jahreszeit noch keine Anstalten macht, zu blühen. Auf einem der nächsten Höhenrücken durchquert man
das ehemalige Dorf Wollseifen, das jetzt eine Wüstung ist. Wüstung ist
das ist das offizielle Wort für eine aufgegebene Siedlung. In diesem
Fall heißt aufgegeben: die Engländer haben nach dem Zweiten Weltkrieg
beschlossen, dass die Häuser gute Übungsziele für den in Vogelsang
eingerichteten Militärstützpunkt abgeben, und sie haben die Einwohner
höflichst gebeten, das Feld zu räumen.
Ein Teil der Sportanlagen der Ordensburg Vogelsang. Im Hintergrund der Urftsee.
Vogelsang ist eine riesige Anlage, ein NS Monumentalbau ohne
Frage. Ich finde erst mal den Weg gar nicht, wie man zur anderen Seite
kommt! Ich will da möglichst schnell durch, weil da verhältnismäßig
viele Touristen herumlaufen. Inzwischen ist es kein Militärstützpunkt
mehr, sondern eine Gedenkstätte, und da es unheimlich viel Platz gibt,
werden viele Gebäude auch anders genutzt, z.B. richtet der DAV dort
eine Hütte ein und das Deutsche Rote Kreuz hat dort ein
Museum. Interessant sind in Gipfelnähe die Panzerstellungen, von denen
aus Richtung Wollseifen geschossen werden konnte.
Auf der anderen Seite geht's wie zu erwarten wieder ins Tal hinunter, und da plätschert so ein netter kleiner Bach in der Sonne, das ist der perfekte Platz für die Mittagspause. Ein Regenwurm macht es sich in meiner faltbaren Müslischale bequem. Um ein Haar wäre er zwischen den Falten verschwunden, ohne dass ich ihn bemerkt hätte, und ich hätte ihn mit eingepackt. Das wäre für uns beide wahrscheinlich unerfreulich geworden.
Der Wanderführer schlägt einen Abstecher nach Morsbach vor, aber da es dort laut Google kein Eiscafé gibt, sehe ich keinen Sinn darin. Statt dessen genieße ich lieber auf der tollen Aussichts-Liegebank die Nachmittagssonne! Endlich geht es zum letzten Mal für heute hinunter nach Gemünd. Kaum im Ort, habe ich schon wieder den Weg aus den Augen verloren, abgelenkt von den immer noch sichtbaren Schäden des Hochwassers 2021. Viele Häuser an der Hauptstraße, mehrere 100 Meter von der Urft entfernt, werden gerade neu verputzt oder sind notdürftig geflickt. Näher am Fluss sieht man entwurzelte Bäume, fehlende oder beschädigte Brückengeländer und freigespülte Rohrleitungen mehrere Meter über dem Bach! Das Kneipp-Becken ist leider auch noch nicht wieder in Betrieb, aber das ist natürlich angesichts der anderen Schäden nebensächlich. Eiscafé hier im Ort? Fehlanzeige - im Moment geschlossen. Und der Supermarkt ist inzwischen auch umgezogen vom Marktplatz am Fluss weiter den Hang hinauf. Aber immerhin gibt es einen! Allerdings ist hungrig einkaufen keine gute Idee, wenn man das Zeug dann selber schleppen muss. Dann auf zum Hotel, natürlich wieder bergan, aber es lohnt sich: Haus Salzberg ist total gemütlich, mit Getränkeauswahl zur Selbstbedienung, mit Büchern und Spielen zum Ausleihen, mit einem Garten mit Liegestühlen in der Sonne und mit einem Koi-Karpfen-Teich. Und mit einem riesigen Waschbecken für mein T-Shirt, das inzwischen schon einen bedenklichen Geruch angenommen hat. Leider hilft die tief stehende Abendsonne nicht viel beim Trocknen.
Jetzt erst mal 'ne heiße Dusche... schade, dass kein Wasser aus dem Hahn kommt. Also wieder anziehen und oben im Restaurant vor allen Gästen die Wirtin fragen. Die lässt mich gar nicht ausreden: Zimmer zwei? Drehen Sie mal am Duschkopf! Tatsächlich, das hilft; wenn der verstellbare Duschkopf zwischen zwei Einstellungen steht, kommt einfach kein Wasser mehr raus. Auf die Idee muss man erst mal kommen. Dafür kommt jetzt reichlich heißes Wasser. Zum Abendessen gibt's Chicken Tikka Masala aus dem Beutel. Und dann Zähne putzen, pullern und ab ins Bett.
Der Zweck der Wanderung?
Frühstück gibt's erst ab acht, also kann ich mich um 6:30 Uhr nochmal
in Ruhe umdrehen. Der Frühstücksraum ist voll mit einer Wandergruppe
und ein paar Pärchen. Es gibt ein riesiges Osternest für jeden und ein
sehr reichhaltiges Buffet, und Papiertüten, damit man sich für
unterwegs einpacken kann, was man mag. Die Hotels werden jeden Tag
besser, muss ich sagen! Schade, dass ich gestern so viel eingekauft
habe, der Rucksack ist heute definitiv schwerer als gestern. Deswegen
ist es gut, dass es heute nur eine kurze Etappe ist, bis zum Kloster
Steinfeld. Mit der dicken Druckstelle am Zeh trotzdem eine
Herausforderung. Zurück in den Ort runter und gleich wieder rauf,
einen Hangweg durch lichten Buchenwald das Olef-Tal entlang bis nach
Olef. Auch hier Spuren der Zerstörung: Brücke gesperrt,
Umleitung. Hinter Olef geht's in den dunklen Fichtenwald, an einem
Tümpel voller lustiger Molche vorbei, und dann dem Pingenlehrpfad
folgen. Pingen sind Kleinstbergwerke, die aus einem Schacht von
ca. 20m Teufe und ein paar davon abgehenden Gängen bestehen. Hier
wurde früher, teilweise schon in römischer Zeit, Eisenerz
gewonnen. Heute sieht man davon nur noch die Einsturztrichter der
Schächte.
Kurz vor Golbach lädt eine wunderschöne Bank in der Sonne
und mit Aussicht zur Rast ein, aber ein dringendes Bedürfnis, der
Mangel an passendem Gebüsch und die hohe Frequenz der Spaziergänger
sorgen dafür, dass ich bis zum Ort weitergehe. Dort kann ich in dem
kleinen Café/Imbiss Golbacher Oase die Örtlichkeiten benutzen. Da es
das einzige Café weit und breit ist, hat die Belegschaft es offenbar
nicht nötig, gastfreundlich und einladend zu sein, aber der
Apfelkuchen ist trotzdem lecker. Weiter geht's an einem lustigen Bach
entlang, davon gibt's in der Eifel sehr viele. Vom nächsten Höhenzug
aus sieht man schon das Kloster in der Ferne liegen. Vorher geht's
in Steinfelderheistert noch an einem Bauernhof mit Alpakas
vorbei. Die Viecher haben so langes Fell, dass sie kaum noch daraus
hervor gucken können!
Alpaka in Steinfelderheistert.
Es wird hier überall Frühling, im nächsten Abschnitt des Weges sehe
ich überall Veilchen und Buschwindröschen blühen, gelbe und weiße, und
der Aronstab schlägt auch schon aus. Unglücklicherweise fällt das wohl
auch anderen Leuten auf, denn das Kloster einschließlich des Gartens
der Stille ist voll von Menschen. Und es sind komische Vögel
dabei. Einer fragt mich, woher und wohin? Und warum? Ich genieße die
Natur. Aber Ihre Wanderung muss doch einen Zweck haben! Tun Sie
Buße, oder sind Sie auf Männersuche? Danke für das Angebot, aber:
nein! Der gute Herr ist über 70, seine Frau steht verständnisvoll lächelnd daneben.
Klosterschänke und Klostercafé sind ebenfalls voller Touristen, und egal, ob sie nun Buße tun oder einfach so hier sind, es ist mir zu viel Hektik.
Frühling bei Steinfeld: die Veilchen blühen.
Ein Blick auf die Karte zeigt mir: mein nächstes Quartier liegt nicht nur etwas außerhalb, es ist über sechs Kilometer weiter im nächsten Ort, Marmagen! Und noch nicht mal direkt am Eifelsteig gelegen. Wer hat da bloß die Planung gemacht? Meine Füße streiken. Ein glücklicher Zufall schickt mit einen Bus, der genau jetzt abfährt und genau mach Marmagen fährt. Besser hätte es nicht kommen können. Und es kommt doch besser: der On-Board-Computer ist kaputt und ich muss noch nicht mal den Fahrpreis bezahlen. Und noch besser: in Marmagen gibt es eine kleine, gemütliche Konditorei, die von Einheimischen reichlich frequentiert und deshalb wahrscheinlich sehr gut ist. Auf dem Hof ist noch ein Platz in der Sonne frei, mit Blick auf das dekorative Mühlrad. Die Mandarinen-Käsesahnetorte ist hervorragend!
Von hier aus ist es nur noch ein Katzensprung bis zum Haus am Hahnenberg, das oben auf einem Hügel am äußersten Rand des Wohngebietes liegt. Jedes zweite Haus in der Straße hat eine eigene Pferdeweide. Das riesige Zimmer hat sogar einen Wasserkocher! Der Hausherr bietet mir an, mich noch in den Garten in die Sonne zu setzen. Ich will mich nur ganz kurz vorher auf dem Bett etwas ausruhen... eine Stunde später wache ich wieder auf. Macht nichts, ich habe eh schon zu viel Sonne abgekriegt heute. Ein gemütlicher Abend mit Krabbensuppe und ganz vielen Ostereiern schließt den Tag ab.
Der Weg des Hochwassers
Es war nachts so ruhig, ich habe einfach gar nichts von draußen gehört. Und man konnte den Sternenhimmel sehen.
Von einer Benachrichtigung von booking.com geweckt zu werden ist nicht
das beste, was einem im Urlaub passieren kann, aber mein Wecker hätte
sowieso gleich geklingelt. Wecker im Urlaub? Da ich der einzige Gast bin, hab
ich mit dem Hausherrn eine feste Uhrzeit für's Frühstück vereinbart, acht Uhr. Vorher ist sogar noch genug Zeit, alles aufbruchfertig zusammenzupacken. Das Thermometer zeigt 8°C (ja, das neue Thermometer kann genauer als in Zehn-Grad-Schritten messen!), die Sonne scheint, und das Frühstück ist eine Wucht, für eine Person, der Wahnsinn. Der Hausherr schaut mehrmals, ob ich auch wirklich alles und genug von allem habe, und am Ende trägt er mir den Schokoladenosterhasen hinterher den ich beinahe absichtlich habe stehen lassen. Er gibt mir auch Tipps für den weiteren Weg, ich bin ja nicht direkt am Eifelsteig, und er erklärt mir den schönsten und praktischsten Weg, wieder auf den rechten Weg zu kommen. Rundum satt, zufrieden und guter Dinge mache ich mich also auf. Das Gästehaus Haus am Hahnenberg war wirklich die mit Abstand beste Übernachtung bisher, und zu einem unschlagbaren Preis noch dazu!
Der Wege-Tipp ist super, über Felder geht's flott dahin, und nach ein paar Kilometern hat sich mein gedrückter Fuß irgendwie mit dem Schuh arrangiert und tut fast gar nicht mehr weg. Die Hundebesitzer heute sind wirklich überwiegend sehr gut erzogen; jemand bot mir an, den weit vorauslaufenden Hund zurückzurufen und anzuleinen, falls ich das wünsche, der Hund täte aber nichts. Und tatsächlich würdigt er mich keines Blickes.
Der Eifelsteig, die alte Römerstraße und ich treffen praktisch am
selben Ort aufeinander. Der Herr vom Hahnenberg hatte sich noch
irritiert geäußert, dass die Römer hier ihre Straße den Hang hinauf
geführt hätten statt im Tal entlang – wenn man sieht, was der
Starkregen des letzten Jahres mit dem Weg angerichtet hat, wundert man
sich darüber nicht mehr. Wanderwege haben natürlich ganz unterste
Priorität bei den Instandsetzungsarbeiten, und dies hier ist die erste
Stelle, wo ich sehe, dass tatsächlich fernab jeden Flusses der Weg
großenteils weggespült wurde. Kurz danach trifft der Weg auf ein
größeres Tal und ich kann ein Wiedersehen mit der Urft feiern, weit
flussaufwärts der Talsperre. Entsprechend dem Tipp meines Gastgebers
bleibe ich unten im Tal, statt der Römerstraße zu folgen, die in bester Eifelsteig-Manier erst den Hang hinauf und ein Stück später wieder hinunter führt (heute wird
es wohl nicht regnen). Nächstes Highlight ist die Grüne Pütz, Überreste der römischen Wasserleitung, die das über 100km entfernte Köln mit Wasser versorgte.
Die Urft bei schönem Wetter.
Die Urft hat ganze Arbeit geleistet und fast
entlang der kompletten Strecke, die ich sie heute begleite, immer
wieder den Bahndamm über- oder unterspült, so dass die Schienen schief
und krumm liegen oder ganz in der Luft hängen. In nächsten Ort,
Nettersheim, sind auch noch Flutschäden zu sehen; die
Touristeninformation musste umziehen und das hochgelobte Holzmuseum
konnte noch nicht wieder eröffnet werden. Die eigentlich sehr einladend gelegene Taverne bei den historischen Kalköfen hinter
dem Ort ist leider auch noch geschlossen. Die Urft plätschert an diesem
sonnigen Tag munter und unschuldig nebenher.
Ein lustiger Stuhl am Rande eines Spielplatzes muss statt der Taverne
für die Mittagspause herhalten, und das ist auch besser, denn der
Osterhase will ja gegessen werden. Ich beobachte eine Familie, die an
mir vorbei spaziert. Die etwa siebenjährige Tochter wird gefragt, was
das denn für weiße Blümchen am Wegrand seien, und die anwesenden
Erwachsenen sind alle hocherfreut, als die Kleine die Buschwindröschen
als Märzenbecher identifiziert: was für ein kluges Kind sie doch sei!
Ich traue mich nicht, ihnen den schönen Tag zu verderben.
Weiter geht's immer das Urfttal entlang, an den Resten eines römischen Kastells vorbei; die römische Villa rustica und die Tempelanlage liegen etwas abseits und werden deshalb von mir rechts liegen gelassen. Schließlich biege ich in das Haubachtal ab, das nochmal wieder mit einer anderen, etwas moorigen Landschaft aufwartet. Hier steht auch ein technisches Highlight aus dem frühen 20. Jahrhundert: eine Lambach-Pumpe, ein wartungsarmes Wunderwerk zur Wasserversorgung ab- und hochgelegener Ortschaften. Nach einem abschließenden Wegstück durch einen eher langweiligen Wald erreiche ich den Ortsrand von Blankenheim mit der vielbeworbenen Tiergarten-Wasserleitung; 1468/69 hat der Graf von Manderscheid fließendes Wasser auf seiner frisch geerbten Burg haben wollen und deswegen eine für die damalige Zeit sehr komplizierte Wasserleitung mit einer Druckwasserleitung und einem Tunnel bauen lassen. Dort, wo die Wasserfassung ist (wo das Quellwasser gesammelt wird), hat sich eine Familie für den Nachmittag eingerichtet, und während Papa und Kinder im Teich nach Ukeleien fischen und Mama auf einer Bank döst, meint der Hund, sein Rudel gegen Eindringlinge verteidigen zu müssen. Ein laut bellendes Vieh von der Größe eines kleinen Schäferhundes kommt wie aus dem nichts auf mich zugerast. Ich stolpere vor Schreck erst mal rücklings ins Gras, was jetzt nicht unbedingt die beste Verteidigungsstrategie ist, aber vielleicht überzeugt genau das den Hund, dass ich harmlos bin, denn als er mich erreicht hat, rührt er mich tatsächlich überhaupt nicht an. Die Frau entschuldigt sich wortreich (nachdem sie den Hund zurückgerufen und überzeugt hat, Platz zu machen).
Blankenheim ist eine schöne Fachwerkstadt. Die Burg wurde inzwischen zu einem Schloß umgebaut und wird als Jugendherberge genutzt – und ich habe wieder nur ein blödes Hotel gebucht, Mist! Blankenheim ist der Ort der Ahrquelle. Es gab sicher bessere Zeitpunkte als genau jetzt, um so deutlich darauf hinzuweisen. So ist denn an der Quelle, die aus dem Keller eines Fachwerkhauses im Stadtzentrum sprudelt, eine nagelneue Bronzetafel angebracht, worauf Mitgefühl und Beileid mit den Opfern der Flutkatastrophe zum Ausdruck gebracht wird. Gleichzeitig wird gemahnt, bedachter mit der Natur umzugehen, um solche Katastrophen zukünftig zu vermeiden.
Trotz Osternest keine gute Laune: Euli.
Mein Hotel liegt etwas außerhalb, das ist gut, denn die Stadt ist
voller Touristen. Es sieht schon von außen etwas heruntergekommen aus,
und das wird drinnen nicht besser, aber es ist sauber, die Dusche
ist heiß und das Waschbecken groß genug zum Wäschewaschen. Dafür gibt es keinen Föhn, das Gitter im Waschbeckenabfluss fehlt, am Schrank fehlt ein Türknopf und die Duschkabine hat keine Tür mehr (dafür aber einen übergroßen Vorhang, der effektiv eine Überschwemmung im Bad verhindert). Mit Hilfe des ganz wunderbaren
Saugnapfes aus dem Basislager, der sogar kopfüber genug Haftkraft
entwickelt, kann ich meine Wäsche am Badezimmerfenster in die Abendsonne hängen. Ausgehen ist jetzt nicht mehr, denn ich hab alle meine vorhandenen Socken auf einmal gewaschen und watschele den Rest des Abends mit Handschuhen an den Füßen durchs Zimmer. Umso besser: langsam schaffe ich es, das ganze Zeug aufzuessen, dass ich die letzten drei Tage mit mir herum geschleppt habe. Fast alle Ostereier und -hasen, das erste Stück Käse und die Brötchen aus Einruhr sind vertilgt. Laut Wanderführer kann man auf der morgigen Etappe weder einkehren noch einkaufen, es besteht Hoffnung, dass dann auch die Waffeln und die Müsliriegel weniger werden.
Endlich 30 Kilometer
Das Frühstück ist etwa lieblos noch mit Plastikfolie abgedeckt, und Müsli gibt's gar nicht. Also Brötchen mit Marmelade. Dafür, dass dieses Hotel fast genauso viel kostet wie das gestern... Der einzige andere Gast trägt zum Frühstück Jeans und ein Hemd mit kleinen Fahrrädern drauf. Später beim Auschecken treffe ich ihn in Radhosen und Trikot wieder. Kann man auch umständlich machen mit dem An- und umziehen.
Der Weg bis Ripsdorf zieht sich ganz schön hin, durch renaturierte Bachtäler im Wald und über Wiesen. Auch hier Spuren des Hochwassers. Schön ist es trotzdem, einsam und ruhig. Ripsdorf ist dann wieder ein Hotspot für Wanderer und entsprechend belebt, man möchte sagen, überlaufen. Also lieber schnell weiter und außerhalb des Dorfes auf einer Bank mit Fernblick Mittagspause machen. Rotmilane kreisen über den Wiesen. Plötzlich ein Schnauben hinter mir im Gebüsch! Direkt hinter der Bank, nur durch ein paar Äste und einen Elektrozaun getrennt, ist eine Weide, und sämtliche Bewohner, aber wirklich alle, sind gekommen, um zu gucken, wer da jetzt Pause macht...
Zuschauer bei der Mittagspause.
Weiter geht's nach Alendorf. Rund um Alendorf ist das drittgrößte zusammenhängende Wacholderheide-Gebiet Deutschlands. Zusammenhängend ist so ein bisschen relativ, weil da ziemlich viele normale Wiesen und Weiden, Straßen, Wald und Häuser dazwischen sind. Und groß ist auch relativ – eigentlich sind es nur 2 Hügel. Trotzdem eine nette Abwechslung in der Landschaft. Bald darauf erreiche ich das Etappenziel Morbach! Das lange vorher auf zahlreichen Schildern angekündigte Café hat nur am Wochenende geöffnet. Damit gewinnt Mirbach den Preis für den Ort mit am wenigsten nix: kein Café, kein Laden, kein Kiosk, noch nicht mal eine Bushaltestelle gibt es hier. Dafür jede Menge Aushänge für Taxiservice und Shuttleservice der umliegenden Hotels und Gasthöfe. Und eine Bank in der Sonne für die Nachmittagspause. Und zum Glück immerhin Handyempfang, so dass ich mich bei einem der Taxiunternehmen vergewissern kann, dass sie mich heute Abend an einem Ort meiner Wahl abholen und zu meinem Gasthof in Hillesheim fahren können (wenn ich nochmal Empfang habe und nochmal anrufen kann). Also kann ich ganz unbesorgt einfach weiterlaufen. Dies ist wohl mit der beste, schönste Tag der ganzen Reise, weil ich endlich mal ohne Vorgaben laufen kann, genau so lange, wie ich will.
Nach einem langen Stück durch Wald (mit sehr viel sehr neuem und sehr stabilen Drahtzaun, um die benachbarten Felder vor Wildschweinen zu schützen) erreiche ich eine offene Bergkuppe mit einem tollen Fernblick. Man kann ein paar kegegelförmige Berge in der Ferne sehen. Endlich: die Vulkaneifel! Weiter geht's, an Steinbrüchen vorbei - Kalk! Ich lerne heute, dass es zwischen dem Hohen Venn in der nördlichen Eifel und der Vulkaneifel im Süden auch noch die Kalkeifel gibt, und da muss ich erst durch. Dann der berühmteste Wasserfall der Eifel, der Dreimühlenfall. Der ist künstlich entstanden durch die Bahndammbaubedingte Verlegung einiger Bäche, ist aber trotzdem "ganz nett". Dann das Ausflugslokal Nohner Mühle. Hierher habe ich das Taxi bestellt. Und ich habe doppelt gut gewählt mit diesem Ort und der Abholzeit: erstens hab ich habe die 30 Kilometer voll gemacht heute. Und zweitens ist gerade noch Zeit, ein Eis zu essen, das erste auf dieser ganzen Tour, und wenn es auch nur ein Eis am Stiel ist: nach 30km ist es jedenfalls wohlverdient. Und das nochmal doppelt: weil es trotz "bitte klingeln" Schild nicht klingelt, wenn man am Pestfenster, äh, Eisfenster klingelt, musste ich mich zwischen die anderen Touristen mischen und drinnen fragen – fast zu viele soziale Kontakte auf einmal.
Ich frage den Fahrer nach einer Restaurantempfehlung, und die Antwort ist eindeutig: heute ist überall Ruhetag, nur die Pizzeria hat offen. Nachdem ich mein Gepäck in den obersten Stock vom Gasthof Klopp geschleppt habe und das Fenster des Zimmers aufgerissen habe — es riecht ganz furchtbar nach Klostein, und das liegt daran, dass im Klo ein furchtbar intensiv riechender Klostein hängt — geht's die Treppe wieder runter und über die Straße. Die Pizzeria hat zum Glück auch alle möglichen anderen italienischen Gerichte, unter anderem Filetsteak in Gorgonzola-Sauce mit Brokkoli. Also kriege ich auch das erhoffte wohlverdiente Steak heute Abend noch. Wirklich ein erfolgreicher Tag. Am Tisch gegenüber ein Pärchen Motorradfahrer – sie kommt zu mir herüber und fragt, ob ich alleine wäre und vielleicht Lust hätte, mich zu ihnen zu setzen? Danke für das Angebot, aber nein, danke, ich bin allein hier, weil ich gern allein bin. Ein weiteres doppelt positives Erlebnis: es war gar nicht schwer für mich, nein zu sagen, und es ist toll, von Fremden so ein nettes Angebot zu bekommen. Zum Nachtisch gönne ich mir noch eine Macedonie con gelato – Obstsalat mit Eis (musste ich erst in der Wikipedia nachgucken, und die Kellnerin wusste auch nicht, was es ist). Was für ein phantastischer Tag heute.
Ein anstrengender fauler Tag
Mein Zimmer liegt zur Hauptstraße, und anders als in den letzten Orten heißt das hier offenbar: je später desto lauter. Na egal, müde genug war ich ja am Abend. Als ich das Fenster morgens wegen des Straßenlärms zu machen will, weil ich mich eigentlich nochmal umdrehen statt früh aufstehen wollte, klemmt es allerdings. Also Kissen über den Kopf.
Es hat sich jedenfalls gelohnt, hier das Frühstück noch mit dazu zu buchen, auch wenn das heißt, dass ich meine Haferflocken noch ein paar tage durch die Gegend schleppen muss. Es gibt eine reichliche Auswahl in familiärer Atmosphäre. Die Wirtin steht in der offenen Küche und sorgt für Nachschub; heißes Wasser und frischer Obstsalat sind die Renner. Gegen neun Uhr kommt ein älterer Herr herein und setzt sich an einen Tisch – offenbar der Ehegatte der Wirtin. Sie, selber nicht mehr die Jüngste und alles andere als gut zu Fuß, läuft hin und her und deckt den Tisch, bringt Geschirr und Essen und richtet seine Medikamente, während er einfach nur da sitzt und wartet. Sobald alles angerichtet ist, setzt sie sich zu ihm und sie beginnen zu frühstücken. Das Schauspiel wird sich Morgen früh genauso wiederholen.
Heute habe ich einen entspannten Tag vor mir, da ich gestern ja schon über die Hälfte der heutigen Etappe mit erledigt habe. Als Wichtigstes steht dabei auf dem Programm: Sonnencreme kaufen! Es gibt hier im Ort einen total tollen, riesigen Spielzeugladen (der von meinen Gastgebern betrieben wird), einen Outdoor-Laden, mehrere Buchläden und Geschäfte für tolle Geschenke und Dekoration, aber keine Drogerie. Also in die Apotheke. Für den günstigen Preis von 8 Euro kaufe ich eine Mini-Packung Sonnencreme (Werbeslogan: federleicht und daher perfekt für den Tagesausflug!), so dass selbst die Apothekerin sagt, man sollte die nur für's Gesicht nehmen, sonst würde es auf die Dauer zu teuer.
Nun gut geschützt setze ich mich an die alte Stadtmauer, die noch sehr gut erhalten ist, in die Sonne und bastele mir aus dem Eulen-Tragenetz und einem Packbeutel einen Tagesrucksack. Paracord sei Dank keine große Sache. Dann noch Tee kochen, Brot und Käse einpacken und ein Taxi zur Nohner Mühle bestellen, fertig. Euli darf heute zu Hause bleiben, schließlich kann ich sie nicht gut mit Sonnencreme einreiben, und meine Sonnenbrille passt ihr auch nicht. Die Taxifahrerin ist vergleichsweise gesprächig. Das ist nach acht Tagen allein unterwegs tatsächlich eine nette Abwechselung. Sie weist mich darauf hin, wo der Eifelsteig die Straße kreuzt und wo man leicht eine Abzweigung übersehen könnte ("vor allem, wenn man zu mehreren unterwegs ist und sich verquatscht!"). Und sie zeigt die Flutschäden: "Hier, dieser Pferdehof stand komplett unter Wasser. Und das Haus dort, das ist unbewohnbar und soll abgerissen werden. " (Das Haus sieht von außen tippitoppi aus.)
Von der Nohner Mühle aus (nein, nicht noch ein Eis) geht's über kleine
Trampelpfade nach Niederehe, das ein Kloster, einen netten kleinen
Park und ein Gasthaus Schröder hat. Später lese ich eine
Verkaufsanzeige für eben jenen Gasthof: 325k wird verlangt, ein
Schnäppchen für ein 2000m² Grundstück und ein Gasthaus, das mindestens
10 Zimmer hat! Weiter geht's nach Kerpen, sie Sonne knallt runter,
hätte nicht gedacht, dass so ein paar Kilometer mit leichtem Gepäck so
anstrengend sein können! Erst mal am Weg Mittagspause machen. Trotzt
der Sonne gibt es einen kalten Wind, und ich hab heute nix zum
drüberziehen dabei. Die Burg Kerpen ist in Privatbesitz und wird
gerade renoviert – oder sagt man bei sowas: restauriert? Etwas weiter
eine unfreiwillige Pause: ein Mann in einem staubigen Geländewagen
hält neben mir an, öffnet das Fenster und fragt, ob es mir was
ausmachen würde, kurz da unten bei den Bäumen in Deckung zu gehen? Im
Steinbruch in der Nähe wolle man sprengen... Kaum habe ich es mir im
Gras gemütlich gemacht und mir einen Tee eingeschenkt, hört man es zwei Mal vernehmlich krachen und ich kann die Erschütterungen im Boden spüren. Dann ist der Spuk vorbei, der SUV-Fahrer kehrt zurück, um mir mit einem "Daumen hoch" zu zeigen, dass ich weitergehen darf. Leider führt der Weg hinten um den Steinbruch herum, so dass ich keine Staubwolke und keine frisch heruntergefallenen Steine zu sehen kriege.
Mein Tee ist längst alle und einen Sonnenstich hab ich glaub ich auch schon. Hillesheim kommt einfach nicht näher. Bei Berndorf mache ich noch eine Pause und mache eine Zeichnung der historischen Wehrkirche – dann habe ich den Zeichenblock wenigstens nicht ganz umsonst mitgeschleppt. Kurz vor Hillesheim dann noch die seismische Messstation der Uni Köln – ob das Sinn macht, so dicht am Steinbruch? Dann bin ich endlich wieder zu Hause. Was sagt der Track – 14 Kilometer nur? Und dafür habe ich über fünf Stunden gebraucht!
Jetzt muss ich mich nur noch aufraffen, nochmal raus zu gehen, um was zu essen – oder mit Haferflocken und Schokopulver vorlieb nehmen. Naja, nebenan ist ja dieser tolle Italiener, und Gerhard erwartet ein Foto von der Pizza, also los. Sparversion von gestern: nur eine Pizza Quattro formaggi, die ist zwar nicht sehr fotogen, aber trotzdem sehr lecker. Und dann ab ins Bett!
Höhlen und Blüten
Jeden Morgen mehr oder weniger das gleiche Spiel: aufstehen (heute mit
Wecker wegen festgelegter Frühstückszeit um acht – und beinahe
verschlafen), frühstücken genau wie gestern mit leckerem Obstsalat,
Müsli und Tee im großen Kännchen. Das Teewasser wird mit einem
Wasserkocher erhitzt (bis es beinahe kocht) und dann in eine
Thermoskanne umgefüllt und in der Form den Gästen zur Verfügung
gestellt. Dann alles Zeug zusammensuchen und in den Rucksack
stopfen. Euli darf ja jetzt immer im Rucksackinneren mitreisen,
außerdem ist ihr Tragenetz ja umgebaut worden und steht gar nicht mehr
zur Verfügung. Wasserbeutel auffüllen nicht vergessen, und natürlich
Tee kochen! Dann nix wie los. Es geht erst nochmal quer durch den Ort,
an der Stadtbefestigung vorbei und dann einen langen, mit viel Liebe
angelegten Barfußpfad entlang – für mich in Stiefeln auf dem Asphalt
neben dran. Das Bachtal hoch bis nach Bolsdorf (auch hier Flutschäden)
und über Wiesen nach Dohm wieder runter, einmal quer durch den Ort
(statt die Abkürzung an der Landstraße). Ich passiere die Wegweiser
mit Entfernungsangaben bis Gerolstein: entlang des Eifelsteigs für
Wander 16 km, der Radweg: 8km, mit dem Auto die Landstraße: 4km. Warum
komme ich mir ein bisschen veralbert vor? und dann im Wald gegenüber
steil bergan. Dies ist wohl schon ein Berg vulkanischen Ursprungs, er
sieht aber aus wie jeder andere auch. Über Wiesen wieder hinunter
nach Roth, und jetzt wird es endlich spannend. Erst mal hat sich wohl
der Wegverlauf des Eifelsteiges gegenüber dem Führer geändert, so dass
ich mal wieder ein Stück ohne Wegweiser und mit dem Führer vor der
Nase laufe. Egal: eine Bank in sonniger Lage am Waldrand lädt zu einer Rast ein. Dann ein Hinweisschild: Eis- und Mühlsteinhöhle voraus!
Und noch besser: auf der Infotafel zur Mühlsteinhöhle steht, dass man
sie auf eigene Faust besichtigen darf, Taschenlampe bitte selber
mitbringen! Das hört sich doch vielversprechend an und so habe ich die
Stirnlampe wenigstens doch nicht ganz umsonst mit
herumgeschleppt. Vorbei an der Eishöhle, die durch ein Gitter
versperrt ist - aber die kalte Luft, die herausströmt, merkt man auch
so. Wo geht's denn jetzt in die Mühlsteinhöhle? Ein Waldarbeiter weist
den Weg. Am Eingang der Höhle sitzt eine ältere Dame, die gleich
anbietet, auf meinen Rucksack aufzupassen. Ihre Tochter sei gerade
drinnen - die kommt mir dann auch entgegen, enttäuscht, weil ihre
Handy-Lampe doch nicht wirklich ausreicht, um in der völligen
Dunkelheit zurechtzukommen. Der Weg führt immerhin 40m in den Berg
hinein. Hier wurden schon im 13. Jahrhundert Mühlsteine
geschlagen. Das vulkanische Gestein eignet sich für Mühlsteine
besonders gut, weil es so porös ist: beim Mahlen öffnen sich ständig
neue Poren und der Stein bleibt scharf, statt sich
glattzuschleifen. An den Wänden und Decken sieht man dann auch Reste
von Mühlsteinen und noch unfertig freigeklopfte Rohlinge. Definitiv
eines der Highlights des Eifelsteiges bis hierher!
In der Mühlsteinhöhle sind noch halbfertig herausgeschlagene Mühlstein-Rohlinge zu sehen.
Oben auf dem Rother Kopf befindet sich ein Aussichtspunkt mit
Erklärungen, was man in der Ferne alles so sieht, und gemütlichen
Bänken. Aber ich hab ja gerade eben erst Pause gemacht! Also nur kurz
die Aussicht genießen und weiter, durch blühenden Schlehdorn, über
kleine Trampelpfade hangabwärts. Nur noch 8km bis Gerolstein, ein
Katzensprung! Es ist aber wohl eine Katze, die ganz schön weit
springt. Erst mal kommt noch der kleine Stausee, da ist dann mal Zeit
für eine Mittagspause! Dann geht's bergauf, durch einen skurrilen
Bungalow-Park, und dann über die Gifpel der Gerolstein umgebenden
Dolomitfelsen Auberg, Munteley und Hustley vorbei. Zwischendurch noch
die Papenkaule – das wäre das einzige Maar gewesen, das ich auf der
Tour bisher hätte sehen können, aber da nirgendwo stand, dass es ein
Maar ist, hab ich es nicht als solches erkannt (man sieht's auf dem
Luftbild, aber ich stand ja nun mal auf der Erde). Ein starker
Elektrozaun, ein Wolfsschutzzaun, soll verhindern, dass sich Wölfe und
Nutztiere begegnen, es ist allerdings unklar, welche Seite vom Zaun
welche ist und es sieht auf den ersten Blick eher danach aus, als
solle der Zaun verhindern, dass trottelige Touristen zu nah an die
Felskante gehen und hinunter nach Gerolstein fallen... Auch die
Buchenlochhöhle will besichtigt werden, ist aber im Vergleich zur
Mühlsteinhöhle heute morgen unspektakulär. Ein anderer Wanderer freut
sich sehr über meine Gesellschaft, er habe Platzangst und sei froh, in
der engen Höhle nicht allein zu sein. Es stellt sich heraus, dass wir
im selben Hotel übernachten, er macht von dort aus Tagestouren. Die
Verabredung zum Abendessen scheitert allerdings daran, dass er zu
meiner üblichen Essenszeit einen Platz in der Sauna reserviert hat.
Die Schlehen blühen überall.
Endlich im Ort, auf der Eselsbrücke überquere ich den Kyll (sprich:
Kill), denn längsten und wasserreichsten Fluss der Eifel. Hab ich
vorher nie gehört. Hier sprudelt CO2 direkt aus dem Boden ins
Flusswasser, und am Ufer sind zwei Zapfstellen für Gerolsteiner
Mineralwasser. Hier werde ich von einem anderen Wanderer eingeholt,
den ich heute schon mehrfach getroffen habe. Wir gehen gemeinsam
Richtung Stadtzentrum und sind uns einig: ein Café mit einem Platz an
der Sonne wäre jetzt gut! Gesucht, gefunden: das Eiscafé La
Piazza. Hier esse ich meinen ersten richtigen Eisbecher auf der ganzen
Tour, wohlverdient. Der ältere Herr ist Rentner und nutzt jede
Gelegenheit zum Wandern. Wir sind nicht nur was Cafés betrifft, auf
einer Wellenlänge: schnatternde Weiber auf einer Wanderung sind
nervig; die Natur kann man allein viel besser erleben und genießen;
der Westweg ist eine Autobahn; Gepäcktransfer ist so eine neue Masche,
man kommt doch auch so zurecht. Schön, dass es solche Menschen gibt!
Während er zum Busbahnhof geht, um den Heimweg anzutreten, muss ich
noch ein kleines Stück bergauf zu meinem Hotel. Da kann ich gleich
noch der Burgruine Gerhardstein, nach der Gerolstein seinen Namen hat,
einen Besuch abstatten. Der vordere Burgteil ist bewohnt; die Anwohner
hängen quasi im Burggarten ihre Wäsche auf. Der hintere Teil besteht
nur noch aus Grundmauern und Ruinen. Das Hotel Löwenstein heißt wohl
nach der Burg, die als Zweitnamen Löwenburg hat. Es ist ein modernes
Konferenzhotel; mein Zimmer ist riesig und plüschig, sogar die Schuhe
haben es heute Nacht bequem. Allerdings liegt direkt vor dem Fenster
die Lüftung der Saunaanlage... merkwürdig, sowas passiert mir oft mit
Einzelzimmern: nach hinten raus, über dem Küchenabzug oder sonstwie
ungünstig gelegen. Na egal. Zum Abendessen geht's ins hoteleigene
Restaurant, das heute wohl gerade neu eröffnet: es gibt eine Karte mit
Willkommensangeboten, je drei Vorspeisen, Hauptgerichte und Nachtische
zur Auswahl, alle sehr exquisit beschrieben (was zum Teufel sind
"Fingerlinge"? Angeblich kleine Kartoffeln). Tja, muss ich wohl Wiener
Schnitzel essen. Gruß aus der Küche vorweg: Papadams mit
Rote-Beete-Meerrettich-Mousse zum dippen. Gut, dass es das gab, denn
sonst wäre ich bis zur Ankunft des Schnitzels wohl verhungert. Die Portion ist dann reichlich und das Fleisch wirklich lecker und zart. Vollgestopft bis obenhin passe ich gerade noch so in die Badewanne – muss ich doch ausnutzen, dass es hier mal nicht nur 'ne Dusche gibt!
Einmal Neroth und zurück
Das Frühstück ist ein typisches Konferenzhotelfrühstück; unpersönlich und etwas lieblos. Die Milch zum Beispiel ist erstens im Tetrapack und zweitens fast leer. Der Kaffeevollautomat funktioniert nicht richtig und bekundet das durch ein durchdringendes Schnarren und Schlürfen, bis endlich jemand kommt, um Milch nachzufüllen und das Wasser anzudrehen. Aber es enthält Kalorien wie jedes andere Frühstück auch, und es gibt verschiedene Müsli-Sorten zur Auswahl.
Hab wohl gestern eine Sehne im rechten Unterschenkel überlastet; das
sieht nicht so aus, als ob ich heute die 25km bis Daun rechtzeitig bis
zur Abfahrt des letzten Busses Richtung Karlsruhe schaffen würde! Es
gibt aber jede Menge Alternativen, die einfachste wäre, einfach hier
in Gerolstein in den Bus zu steigen. Aber das kommt natürlich nicht in
Frage; Gerhard bescheinigt mir ja, Biss zu haben, und so ist es
Als ich erst mal mit gepacktem Rucksack draußen stehe, scheint es mir
realistisch, 10km bis Neroth zu gehen, und unterwegs finde ich es
sogar eine gute Idee, auch noch den Dietzenley zu besteigen, die
höchste Erhebung im Gerolsteiner Land, wo oben drauf sogar noch ein
Aussichtsturm ist. Von dem aus sieht man allerdings außer Wäldern und
Hügeln ringsum auch nicht mehr als von jedem anderen Aussichtspunkt
bisher. Beim Abstieg sehe ich dann allerdings einen kleinen Hirsch
(oder ein großes Reh) auf dem Weg, und das ist ja auch mal
was. Außerdem noch ein paar Tümpel am Wegesrand, wieder voller
Molche. Die Viecher sind einfach lustig und es macht Spaß, ihnen
zuzuschauen und dabei immer mehr zu entdecken. Ups, vor lauter
Schwärmen mal wieder einen Wegweiser verpasst, heute bin ich nicht in
der Stimmung, mehr Umwege zu gehen als nötig, aber zum Glück sind in
diesem wunderschönen naturnahen Waldstück überall
Vollernter-Wegspuren, so dass eine Abkürzung zum rechten Weg nie weit
ist. Neroth zeichnet sich durch ein Mausefallen-Museum aus, doch der
nächste Bus fährt schon in 30 Minuten, so dass leider keine Zeit dafür
bleibt; auch nicht, um das im Wanderführer gelobte Café Mausefalle zu
besuchen. Wer weiß, wann der nächste Bus kommt! Immerhin gibt es hier
einen, im Gegensatz zu Hillesheim. Der Bus ist quasi ein Großraumtaxi,
und außer der Fahrerin und mir ist niemand drin. Bis Daun ist es etwa
20 Minuten, und die Fahrerin und ich unterhalten uns gut über das
tolle Wetter und die tolle Landschaft, und dass ich alle Maare
verpasse, wenn ich heute aufhöre. Geht leider nicht anders, ich muss
ja zurück nach Karlsruhe! "Wie wollen Sie das denn von hier aus
schaffen?", fragt die Fahrerin. Na das klingt ja vielversprechend!
Ach, über Wittlich, da das könnte klappen. Gut zu wissen!
Im verwunschenen Märchenwald bei Neroth.
In Daun habe ich über eine Stunde Aufenthalt, aber der der
empfehlenswerte Imbiss am Busbahnhof hat wegen Schulferien
geschlossen. Also muss ich Richtung Innenstadt, um etwas zu Essen zu
finden. Die "Landküche" ist unbedingt empfehlenswert! Der Flammkuchen
ist eins-A, und die Bedienung super-aufmerksam, professionell und
freundlich. Auf meine Frage, ob es den Flammkuchen auch ohne Spargel
gibt, antwortet sie gleich "Ja selbstverständlich!" und bietet an,
statt dessen Tomaten drauf zu machen – ich bin so positiv überrascht,
dass ich ganz vergesse, dass ich Tomaten ja auch nicht so gern
mag. Auch die Weinkarte sieht vielversprechend aus: während die
Essenskarte nur zwei Seiten hat, ist erstere ein dickes Heft mit
Inhaltsverzeichnis.
Der nächste Bus bringt mich nach Wittlich, einem Ort, von dem ich noch
nie gehört habe. Aber offenbar gibt es von hier einen durchgehenden
Zug nach Mannheim - wenn man in den richtigen Zugteil einsteigt und
nicht in den viel moderneren komfortableren Doppelstock-Wagen, der
statt dessen nach Luxembourg fährt. So muss in ich Trier nochmal den
Zugteil wechseln. Drei Stunden und einen beinahe verlorenen
Kugelschreiber später komme ich dann in Mannheim an. Der Kuli war
zwischen Tisch und Mülleimer gerutscht und konnte nur befreit werden,
indem der ganze Mülleimer ausgebaut wurde – danke an meinen
Gegenüber-Mitfahrer für diesen Tipp! Erstaunlicherweise erreiche ich
sogar den Anschlusszug nach Karlsruhe noch, nur die Straßenbahn in
Durlach verpasse ich, aber die kommt ja regelmäßig. Uff, endlich
wieder zu Hause! Schön war's, wann geht's wieder los?
Fazit:
Etappe 1: 15km
Etappe 2: 20km
Etappe 3: 25km
Etappe 4: 24km
Etappe 5: 18km
Etappe 6: 24km
Etappe 7: 31km
Etappe 8: 15km
Etappe 9: 23km
Etappe 10: 10km
Gesamt: 10 Tage, 205km.