Auf den Jbel Sirwa
Zur Hirtenhütte Tagragra
Mohamed (der Führer) mit Schaf.
Der Generator hat sich irgendwann im Laufe der Nacht abgeschaltet. Frühstück gibt's in Mohameds Haus, wie immer. Achmed verabschiedet sich von uns und macht sich mit dem Esel auf den Rückweg. Mohamed (der zweite Maultiertreiber) bringt ein größeres braunes Tier, das fast genauso aussieht wie das, das wir schon dabei hatten. Er schaut etwas streng, und Esther trauert dem verschmitzen, lustigen Achmed hinterher. In umständlicher Prozedur werden die beiden Tiere beladen. Es sieht aus, als ob sich unser Gepäck vermehrt hätte, und tatsächlich ist das auch so, da wir jetzt Futter für die Maultiere mitnehmen; im Hochgebirge gibt es wohl nicht überall genug zu fressen. Kein Wunder bei der trockenen Landschaft.
Unser Weg führt uns zunächst durch's Dorf, und dann endlich verlassen wir die Straße und es geht auf schmalen Pfaden durch's Hinterland. Steil bergan, haben wir doch etwa 1000 Höhenmeter vor uns heute. Endlich mal gehen wir denselben Weg und dieselbe Geschwindigkeit wie die Maultiere, und wir haben gute Gelegenheit, deren Geländegängigkeit und Trittsicherheit zu bewundern. Während wir bergauf gehen, ändert sich das Wetter, bzw. wir laufen zuerst unterhalb der Wolken, dann mittendrin und schließlich kommen wir oben darüber heraus und können von oben auf die Wolkendecke schauen. Später erfahren wir, daß Mahfoud zuhause sich wegen dieser Wolken Sorgen gemacht hat, weil er dachte, wir wären noch unterhalb, und dann hätten wir wenig Spaß gehabt.
Unsere Karawane, von links nach rechts: Esther, Mohamed (Führer), Mohamed (erster Maultiertreiber), Mohamed (zweiter Maultiertreiber), Maultier, Maultier.
Schließlich lassen wir das letzte bewohnte Dorf mit seinen Terrassen am Flußufer hinter uns, und wir sehen nur noch aus Steinen gemauerte Umzäunungen und kleine Hütten, die von Ziegenhirten genutzt werden. Aber auch hier gibt es immer wieder terrassierte Felder, zum Beispiel mit Safran. Wir sind jetzt auf gut 2500m Höhe. Nach einer kurzen Dattel-Pause am Vormittag kommt uns die Mittagspause am Rastplatz 1 gegen 13 Uhr gerade recht. Idyllisch rasten wir auf saftigem Gras am Ufer eines lustigen Bergbaches, natürlich mit dem kompletten Programm inklusive Bastmatte und Salat-Schnippelei. Esther sucht sich eine blickdichte Stelle und nimmt tatsächlich ein Bad in dem eisigen Bach! Brrr. Mir reicht ein Sonnenbad.
Die Landschaft ist sehr schön hier, mit dem grünen Gras und dem Bach, und oben auf den Hängen ulkige Felsformationen. Man sieht immer noch nichts vom Jbel Sirwa, aber dafür überragt der fast 3000 m hohe Gipfel des Guiliz unseren Weg. Gegen fünf Uhr kommen wir bei der versprochenen Hirtenhütte,
Tagragra, an, die unsere Übernachtung für heute darstellt und von Mahfoud als eins der Highlights der Tour hervorgehoben wurde. Eine Steinmauer umfaßt ein etwa 10 mal 10 Meter großes Gelände, auf dem noch drei kleine Steinhütten stehen. Das Gelände ist, genauso wie die Hütten, voller ... Ziegenköttel. Mist! im wahrsten Sinne des Wortes. Warum wir in einer der stickgen Hütten schlafen sollen statt im Zelt auf dem Gras, bleibt uns komplett rätselhaft, denn es ist wirklich, als würde man auf einem Misthaufen schlafen, und Esther hat sogar ein vermodertes Schafsfell, also ein schon länger totes Schaf, in einer Hütte gesichtet. Riechen tut es auf jeden Fall danach. Hatte Mahfoud nicht noch behauptet, die Hütten wären ganz sauber, keine Spur mehr von Schafen? Schließlich setzen wir uns durch und dürfen das Zelt außerhalb der Mauer im Gras aufbauen. Mohamed rät uns, unser Gepäck erst mal innerhalb der Mauer zu lassen, da es diebische Fremde geben könnte, die sich so eine Gelegenheit nicht entgehen lassen würden. Die beiden Maultiere müssen leider draußen bleiben, da sie nicht durch das niedrige Türchen in der Mauer passen.
Über den Wolken. Man beachte unser Zelt außerhalb der Mauern.
Der Himmel ist immer noch klar, mit den Wolken weit unter uns im Tal. Sie scheinen ganz langsam näher zu kommen, lösen sich aber beim Aufsteigen auf. Gegen sechs wird es dunkel und damit auch kalt. In der größten Hütte werden die Bastmatte und die Matratzen ausgebreitet und Kerzen angezündet; hier werden wir essen. Die drei Mohameds beginnen, das Essen vorzubereiten; generell schneiden die Maultiertreiber das Gemüse und der Führer sortiert dann alles in den Topf und überwacht den eigentlichen Kochprozess. Esther hilft beim Gemüse schneiden; natürlich nicht, ohne sich vorher draußen mit Wasser die Hände zu waschen; abgesehen davon, daß wir auf einem Misthaufen sitzen, sind die Menschen hier wirklich sehr reinlich und waschen sich vor dem Essen immer die Hände, und auch das Gemüse und Obst wird gewaschen, bevor es zubereitet oder angeboten wird. Darüberhinaus wird zwar mit den Fingern gegessen, aber nie ein schon angebissenes Stück Brot wieder in den gemeinsam genutzten Topf getaucht, sondern immer ein frisches Brotstück mit den Händen vom Vorrat abgerupft und verwendet.
Vorbereiten des Abendessens in Tagragra.
Sternenhimmel mit Milchstraße.
Langsam gewöhnt man sich an den Schafsgeruch, und es wird richtig gemütlich (wenn auch kalt) in der Hütte. Die Maultiertreiber essen für sich; angeblich bereiten sie für sich Fleisch zu, während wir heute "nur" Gemüse-Tajine bekommen, weil das schneller geht und wir morgen früh rausmüssen für die Gipfelbesteigung. Zwei einhalb Stunden später ist unsere Tajine dann auch fertig... Draußen ist ein ganz phantastischer Sternenhimmel, mit Milchstraße und allem Drum und Dran, und vor allem auch mit der Kälte, die mit einem klarem Himmel einhergeht. Trotzdem sind wir froh, im (kalten) Zelt schlafen zu können statt in der wärmeren, schafsmistigen Hütte.
Jbel Sirwa und zurück
Wir haben unseren Wecker auf 5:50 Uhr gestellt. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, dafür sieht man die Mondsichel und Venus. Innen am Zelt haben sich Eiskristalle gebildet. Da es auf dem Gifpel Schnee haben soll, packen wir die Gamaschen ein; die lange Unterwäsche aus dem Schlafsack ziehen wir gar nicht erst aus. Heute schaffen wir es, Mohamed (den Führer) zu einem Sparfrühstück aus Datteln und Tee zu überreden, ohne Marmelade, Brot und Kaffee. Dafür kommt Mohamed (der erste Maultiertreiber) mit uns zum Gipfel, um uns dort ein zweites Frühstück zuzubereiten. Unmittelbar vor dem Aufbruch wird ein loderndes Feuer aus zwei gestern gesammelten trockenen Sträuchern entzündet, damit wir uns nochmal kurz aufwärmen können.
Felsformationen am Jbel Sirwa
Esther hat sich den Magen verdorben und es geht ihr gar nicht gut, trotzdem hält sie beim Aufstieg tapfer mit. Es sind noch rund 500 Höhenmeter bis zum Gipfel, und ein ganzes Stück Wegstrecke durch wegloses, felsiges Gelände. Der Wind hat merkwürdige, rundliche Felsformationen geschaffen, zwischen denen hindurch wir zu einem Grat aufsteigen, der dann zum Gipfel führt. Ein kräftiger, kalter Nordwind pustet uns ordentlich durch. Kurz unterhalb des Gipfels gibt es eine windgeschützte Ecke, in der Mohamed ein Feuer entzündet, um Tee zu kochen. Da der letzte Teil der Gipfelbesteigung nach einer anstrengenden Kletterpartie aussieht, bleibt Esther hier zurück. Wir lassen auch die Rucksäcke hier zurück. Mohamed steigt voran, und ich krabbele hinterher. Es ist nicht nur steil und ausgestzt, sondern auch ausgesprochen windig und überhaupt eine ungemütliche Kletterei für jemanden, der nicht schwindelfrei ist, aber bevor ich eine Chance habe, Mohamed das mit meinen paar Brocken französisch zu erklären, hat er mich schon am Arm gepackt und einfach über die schwierigste Stelle hinaufgezogen. Schulter fast ausgekugelt, aber gut zu wissen, daß er genug Kraft hat, um mich halten zu können, wenn ich abrutsche...
Endlich ist der Gipfel zu sehen!
Auf dem Gipfel — Gipfelpanorama mit Blick auf den Toubkal.
Der Gipfel des Sirwa besteht aus zwei einzelnen Höckern wie bei einem Kamel, natürlich ist der hintere der höhere — zu früh gefreut. Die Aussicht ist einmalig, phantastisch. Strahlend blauer Himmel. Im Nordosten sieht man den Toubkal, den höchsten Berg Marokkos, und im Südosten, da, wo keine Berge mehr sind, ist die Sahara. Nachdem wir hinreichend viele Fotos von uns und der Aussicht gemacht haben, klettern wir wieder runter, bevor wir oben festfrieren. Mohamed (der erste Maultiertreiber) hat sich in der Zwischenzeit rührend um Esther gekümmert und hat auch für uns Tee und Nüsse vorbereitet. Mohamed, der Führer, serviert Madeleines und den Frischkäse dazu. Nach einer gemütlichen Pause am Feuer, das hier aus trockenem, totem Holz gemacht wurde, geht's an den Rückweg nach Tagragra. Die Sonne brennt, aber wegen des Windes sind wir doch froh um die lange Unterwäsche.
Emik emik – langsam, langsam an den steilen Stellen! Tief unter uns sieht man Esther und Mohamed als kleine blaue Punkte auf uns warten.
Mohamed, der zweite Maultiertreiber, hat an der Hütte inzwischen unser Zelt abgebaut, und nun machen wir uns an die übliche Zubereitung des Mittagessens, das in der Sonne vor den Hütten (aber immer noch auf dem Mist) eingenommen wird. Esther macht einen Erholungs-Mittagsschlaf.
Ach, wenn es doch nur 30° wärmer wäre! Welch Badevergnügen!
Der weitere Weg führt uns nach Osten über den Rand des riesigen Talkessels, in dem die Hirtenhütte liegt, und dann eine weitere, lange Schlucht hinunter. Zunächst ist alles kahl und karg, doch im Tal fließt ein Bach mit schönen Badepools, und direkt daran wächst das schönste grüne Gras, das wir seit zwei Tagen gesehen haben. Dreißig Grad wärmer, und man könnte hier ganz phantastisch baden und seine Haare in einem der kleinen Wasserfälle waschen. Leider weht ein eiskalter Wind das Tal herunter, und nachdem während unserer kurzen Ruhepause am
Rastplatz 2 die Sonne hinter der Felswand verschwindet, wird es sofort ziemlich kalt und wir machen, daß wir weiterkommen. Es geht von einer Talseite auf die andere, dann erreichen wir schließlich wieder terrassiertes Gelände und bald danach sieht man die Häuser von
Tizgui, die sich an den Berghang schmiegen. Auch hier gibt es die typischen rosafarbenen Schulhäuser, eins für Mädchen, eins für Jungen. Unser Zeltplatz liegt wieder mitten im Dort aber zum Glück gibt es hier Stromleitungen und keinen Generator. Mit dem Klo ist es wieder so eine Sache: à la nature. Warum lassen die die Touristen mitten ins Dorf sch...? Komisch. Besonders, da direkt neben unserem Zeltplatz auch die Wasserleitung liegt (ein Schlauch, aus dem halt am Ende Wasser plätschert).
Endlich kommt das Küchenzelt zum Einsatz. Im Hintergrund Mohameds und unser Zelt.
Heute wird endlich mal das Küchenzelt aufgebaut, ein großes, viereckiges Zelt mit einem Holzpfeiler in der Mitte und vier kleinen Pfählen an den Ecken. Die unteren Kanten werden mit Steinen beschwert, damit unten kein Wind hereinzieht. Drinnen wird wieder die Bastmatte usw. ausgebreitet und der Kocher aufgestellt. Hier werden dann wohl die Maultiertreiber schlafen, während Mohamed (der Führer) ja sein eigenes Zelt hat. Die beiden Treiber schauen nicht sehr glücklich, denn der Wind zieht trotz Steinen kräftig ins Zelt und es ist verdammt kalt; sie haben keine warmen Schlafsäcke, nur ein paar dickere Kaftane zum Drüberziehen und ein paar Wolldecken. Aber wie wir sehen werden, werden sie dennoch heute Nacht warm schlafen.
Die abendliche Kochprozedur beginnt, beleuchtet durch eine Kerze, die vom Wind, der nicht zuletzt auch durch die offene Tür munter ins Zelt weht, immer wieder beinahe ausgepustet wird. Gerade als die Suppe fertig ist, fällt das Zelt das erste Mal beinahe zusammen. Die beiden Treiber krabbeln raus und bringen mehr schwere Steine zur Befestigung der Plane. Die Tajine köchelt drinnen weiter vor sich hin, und Esther und ich halten unsere Suppenschüsseln umklammert. Auf Löffel verzichten wir heute, man kann Harira auch aus der Schüssel trinken...
Schließlich denke ich, ich sollte wohl mal gucken, was unserZelt bei dem Wind macht (genauer gesagt, Vincents Zelt, der uns das dankenswerterweise ausgeliehen hat). Ich gehe raus, nur um Mohamed (den Führer) bei dem Versuch vorzufinden, sein halb davongeflogenes Zelt festzuhalten. Ein schneller Blick, und ich bin überzeugt, daß unser Zelt noch fest steht. Dann helfe ich Mohamed mit seinem. Sand und Staub fliegen durch die Luft; auch in unserem Zelt liegt schon eine dünne Sandschicht. Aber sonst steht es prima. Ich bringe den Rucksack hinein; das zusätzliche Gewicht wird es garantiert am Wegfliegen hindern. Mohamed findet jedoch, wir sollten es abbauen und statt dessen in einem Haus im Dorf übernachten. Noch bevor wir das in die Tat umsetzen können, bricht das Küchenzelt komplett zusammen, mit Esther, Mohamed (dem zweiten Maultiertreiber) und dem munter brennenden Kocher mit der Tajine noch darin. Esthers erster Gedanke ist natürlich, das Gas abzudrehen, was aber Mohamed nicht mitkriegt und sie deswegen in Berbersprache anschreit, endlich den Kocher auszumachen... Also, Mohameds (Führer) Vorschlag mit dem Haus im Dorf klingt gar nicht mehr so unvernünftig, nur sein Krisenmanagement läßt zu wünschen übrig. Statt erst mal das umherflatternde Kochzelt zu bergen oder wenigstens sein eigenes Zelt fertig einzupacken, besteht er darauf, daß unsere Sachen zuerst in Sicherheit gebracht werden müssen und alles andere dafür stehen und liegen gelassen wird. Als wir dann im Haus sind — Esther und ich mit unseren Rucksäcken und er mit dem Tajine-Topf — macht er sich zunächst daran, das Essen weiterzukochen, statt den Maultiertreibern mit dem Rest zu helfen. Und er erkundigt sich besorgt, ob Esther nicht ihre staubigen Schuhe waschen wolle? Die beiden Treiber suchen im Dunkeln die herumfliegenden Sachen zusammen und schimpfen dabei lautstark auf den Führer — also jedenfalls reden sie laut und aufgebracht, und es fällt immer wieder der Name Mohamed. Fast ohne Verluste ist aber schließlich alles in Sicherheit gebracht.
Küche im Hotel in Tizgui.
Es gibt im Dorf tatsächlich etwas, das Mohamed als "Hotel" bezeichnet, ein leerstehendes Haus mit einer fertig eingerichteten Küche, einer europäischen Toilette, einem Plumpsklo und ein paar leeren, mit Teppich ausgelegten Räumen, den Hotelzimmern. In der Küche gibt es fließend Wasser. Esther macht sich daran, daß sandige Geschirr abzuspülen. Die Maultiertreiber machen sich schnell einen Tee und ziehen sich dann zum schlafen zurück. Wir haben nicht soviel Glück und müssen noch bis halb 10 Uhr in der eisigen Küche ausharren, bis die Tajine fertig ist, obwohl Esther das Gemüse extra klein geschnitten hat, damit es schneller gar wird. Der Besitzer des Hotels taucht zwischendurch auf; er hat Geschäftsbeziehungen nach Mali, malische Zuckerhüte in der Küche und bietet Tee nach Mali-Art an. Er ißt mit uns. Esthers Magen geht es zum Glück inzwischen wieder besser.
Wir schlafen in einem der leeren Zimmer. Zunächst siehr es so aus, als würde Mohamed, der Führer, auch dort schlafen (Esther: "Ich hoffe, der stellt sich dann nicht so an, wenn wir uns hier umziehen"), aber er findet dann doch noch ein anderes Zimmer für sich. Es stellt sich raus, daß bei der europäischen Toilette der Spülkasten nicht angeschlossen ist, und da wir nicht sicher sind, ob der Abfluß dann angeschlossen ist, nehmen wir doch besser das Plumpsklo.
Weiter geht's durch die Schlucht von TisLit!