Im Andringitra-Nationalpark
Heute heißt es – welch Überraschung – mal wieder früh aufstehen und
alles einpacken, denn heute geht's weiter Richtung
Andringitra-Gebirge. Schon vor sieben Uhr sind wir beim
Frühstück. Frank trinkt diesmal Tee, der Kaffee hier ist auf die Dauer
zu bitter. Mir bleibt die Malaria-Tablette beinahe im Hals stecken,
aber zum Glück haben sie reichlich Citronella-Tee zum nachspülen. Dazu
gibt's Baguette und Passionsfruchtmarmelade und -Saft. Patrick putzt
schon wieder das Auto, obwohl wir seit gestern nur 40 Minuten
unterwegs waren. Er ist trotzdem nicht zufrieden mit der
Sauberkeit. Wir fahren zurück zur N7 und dann südlich Richtung
Fianarantsoa. Ohne Pause geht's dann gleich weiter nach
Ambalavao. Wir verschlafen den größten Teil der Fahrt, war
wohl doch etwas früh heute morgen. Kurz vor Ambalavao hält Patrick
plötzlich am Straßenrand an – was ist jetzt los? Natürlich ein
Chamäleon am Straßenrand! In Ambalavao halten wir an einer
Hotelanlage mit Restaurant. Auf dem Gelände gibt es außerdem eine
Papiermanufaktur: aus der Rinde eines speziellen Baumes wird
Papier hergestellt. Hier sieht man, so erklärt Patrick, den arabischen
Einfluß. Die Rinde wird zuerst vier Stunden in Wasser gekocht, dann
wird der entstandene Matsch mit einem Holzhammer
weichgeklopft. Anschließend werden genau abgewogene kleine Bälle von
etwa 15 cm Durchmesser geformt. Jeder Ballen wird dann auf einem im
Wasser liegenden Sieb aus Baumwollgewebe von etwa 80x140cm Größe
ausgebreitet und dann läßt man das Wasser ablaufen. Das noch feuchte
Papier wird mit Hilfe einer Schablone in verschieden große Stücke
aufgeteilt, indem der Papierbrei zwischen den Stücken entfernt wird,
d.h. das Papier wird nicht mehr geschnitten, wenn es fertig ist,
sondern von Anfang an in der richigen Größe hergestellt. Zur
Dekoration werden frische Blütenblätter auf den feuchten Brei gelegt,
sie bleiben automatisch daran kleben. Zum Schluß werden die
Baumwollsiebe mit dem Papier zum Trocknen in die Sonne gestellt.
Anschließend treffen wir uns mit Adrien (siehe AdrienTreks), unserem Führer für den
Andringitra-Nationalpark. Nach einiger Diskussion beschließen wir: Wir
werden eine zwei-einhalbtägige Trekkingtour machen. Am Nachmittag
werden wir dafür mit Adrien auf dem lokalen Markt einkaufen
gehen. Aber erst mal testen wir das Bett – nachdem Frank sich
beschwert hat, daß die Matratzen immer so durchgelegen sind, hat
Patrick extra nachgefragt, daß wir heute ein besonders gutes Bett
bekommen, ich finde es etwas hart, aber jedenfalls ist es nicht
durchgelegen. Dann gibt's im Restaurant was zu essen, typisch
französisch Crepes mit Käse und Cordon-bleu. Den frühen Nachmittag
verbringen wir vor unserem Zimmer, und natürlich treffen wir da
wieder auf ein Chamäleon, das in dem Baum herumturnt. In den Büschen
vor dem Zimmer tummelt sich ein orangefarbener Vogel.
Das Wetter ist
heute nicht so prickelnd, es bewölkt sich und es scheint ein
Gewittersturm im Anzug; die Hotelangestellten schließen überall die
Fensterläden. Trotzdem ist es unangenehm warm.
Wir fahren mit Patrick und Adrien in die Stadt, und während Patrick
auf das Auto aufpaßt, kaufen wir ein: Tomatensoße, Reis, Spaghetti,
Öl, Zwiebeln, Salz, Schokolade, Kekse und Marmelade und ein lebendiges
Huhn! Das Huhn kostet 5300 Ariary, das sind etwa 2 Euro. Es gibt ein
Mißverständnis beim Übersetzen, so daß wir zuerst 55.000 statt 5500
verstehen und wir finden es natürlich viel zu teuer, handeln die Frau
runter auf 53000, und dann sind es plötzlich nur noch 5300. Nachdem
wir das ganze "tote" Fleisch auf dem Markt gesehen haben, mit all den
Fliegen daran, sind wir froh, daß unser Proviant noch frisch und
lebendig ist. Das Huhn wird in einer Plasiktüte transportiert wie
alles andere auch, und es wird die Nacht in einer Ecke von Patricks
Zimmer verbringen.
Wanderwege im Andringitra-Nationalpark
Am Abend essen wir nochmal in dem Restaurant, Pommes mit Senf (es gibt
kein Ketchup). Für morgen bestellen wir Sandwiches zum Mitnehmen. Wir
packen unser Zeugs um, die kleinen Rucksäche mit allem, was wir die
nächsten zwei Tage brauchen werden, die großen werden bei Patrick und
dem Auto bleiben. Da wir zwei Träger haben werden, die Zelte und
Proviant transportieren, müssen wir selber nur ein paar Klamotten,
Wasser und unsere Schlafsäcke tragen. Heute geht's früh ins Bett, denn
morgen soll es schon um sechs Uhr losgehen.
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker 10 vor 6, man muß ja sparsam
mit der Zeit umgehen. Patrick ist auch schon wach und nimmt die großen
Rucksäcke in Empfang, die bis obenhin vollgestopften Daypacks kommen
zusammen mit dem Proviant und dem anderen Krempel in den Landrover
Defender, der uns zum Anfang des Trails bringen wird. Das Huhn guckt
etwas unglücklich, es sitzt immer noch in der Plastiktüte. Außer
Adrien sind noch Lul, ein junges Mädchen, die wie Adrien Führer werden
will, und ein junger Mann, der irgenwie zum Auto gehört, und natürlich
der Fahrer mit von der Partie. Heute kommen wir in den Genuß eines
richtig typischen Frühstücks, in einer kleinen Hütte in der Stadt
schaffen wir es sogar selber, uns eine Tasse Kaffee, einen Becher
Reistee und fünf Mofogasi (für 800 Ariary, 50 Cent) zu
bestellen. Während wir das essen, besorgt Adrien noch ein paar
Baguettes zum Mitnehmen, er kann sich irgendwie nicht vorstellen (und
wahrscheinlich hat er sogar Recht), daß wir Touristen mehrere Tage
ohne westliches Essen auskommen können.
Die Straße ist jetzt mal wirklich schlecht, besteht überwiegend aus
riesigen Löchern und halb weggespülten Fahrspuren. Den Fahrer bringt
das nicht aus der Ruhe und die meiste Zeit benutzt er den
Allradantrieb noch nicht mal. Drei Stunden Fahrt stehen uns bevor. Die
ganze Zeit kommen uns Fußgänger entgegen, sie nehmen teilweise Wege
von bis zu 8 Stunden auf sich, um nach Ambalavao zum Markt zu
kommen. Hin und wieder kommen wir durch kleine Dörfer, zum Beispiel
Tsaramandroso und Sendrisoa. Die Landschaft
ist hügelig und wird zunehmend bergig. In der Ferne sieht man die
Gipfel des Andringitra-Gebirges, dem wir uns zunehmend nähern. Am
Eingang des Andringitra-Nationalparkes befindet sich eine kleine Ausstellung zur
kultur und Natur der Region, und wir müssen uns in eine Liste
eintragen, in der alle Parkbesucher erfaßt werden. Hier nehmen wir
Elisabeth mit, eine ältere Frau, die beim Nationalparkbüro angestellt
ist und uns als weitere Führerin begleiten wird. Der Plan ist wohl,
daß im Falle eines Problems einer der beiden Führer bei uns bleibt,
während der andere Hilfe holen geht. Satellitentelefone gibt's
jedenfalls keine. Nach weiteren 30 Minuten Fahrt erreichen wir den
Startplatz unserer Wanderung, einen
"Parkplatz", auf dem Raoul und Fahd, unsere beiden Träger, auf uns
warten. Das Auto wird entladen und fährt dann zurück in die Stadt
(zwischendurch reparieren sie noch mal kurz den Stoßdämpfer).
Elizabeth trägt ihre Jacke auf dem Kopf
Adrien, Lul, Elisabeth und wir machen uns sofort auf den Weg, während
Raoul und Fahd das Gepäck aus dem Auto tragbar verpacken und dann
nachkommen. Der Weg ist teils mit Steinen ausgelegt (Stufen) und teils
ein Trampelpfad. Bisweilen überqueren wir kleine Wasserläufe, die
künstlich angelegt wurden zur Bewässerung der Reisfelder. Es geht
recht steil bergan. Die Sonne scheint und es ist wirklich warm. Mora
mora – recht langsam, bitte! Zunächst geht es noch durch einen Wald
aus niedrigen Bäumen. Schließlich erreichen wir einen
Aussichtspunkt, von dem aus
wir einen schönen Blick auf zwei Wasserfälle haben. Hier machen wir
eine längere Pause. Elisabeth erklärt uns die Legende der Wasserfälle:
es gab einmal einen König und seine Königin, und die beiden konnten
keine Kinder bekommen. Sie fragten die Schamanen um Rat, und die
empfahlen ein Bad in dem Wasser der Wasserfälle. Die Frau badete in
dem linken, der Mann in dem rechten. Es funktionierte, danach bekamen
sie acht Kinder. Zum Dank schlachteten sie ein Zebu, und der könig
erklärte die Wasserfälle für heilig und verfügte, daß keine Schweine
in ihre Nähe kommen dürfen. Das ist auch heute noch Fahdy, ein
Tabu. Elisabeth ist sehr besorgt, daß wir ihr Englisch nicht verstehen
könnten, denn sie lernt erst seit kurzer Zeit, indem sie vor dem
Schlafengehen in einem Lexikon liest. Dafür spricht sie erstaunlich
gut.
Jetzt geht der Weg über eine Ebene mit niedrigen Büschen. Auf dem
Weg beobachten wir an mehreren Stellen Chamäleons der Art
Furcifer campani, sie graben Löcher mitten in den Weg, um darin ihre Eier
abzulegen (12-20 Stück). Wenn es im Nest warm ist, werden mehr
Weibchen geboren, wenn es kühler ist, mehr Männchen.
Einmal sehen wir ein Stück voraus ein paar wilde Zebus auf dem Weg,
und schon macht sich die Sache mit den zwei Führern bezahlt: Elisabeth
hält uns davon ab, weiterzugehen, während Adrien ein paar Schritte
vorgeht und die Viecher mit Stöcken bewirft und anschreit, damit sie
für uns den Weg frei machen. Offenbar können die Viecher gefährlich
werden.
Patrick hatte uns nicht zuviel versprochen, als er sagte, Adrien wäre
der beste Führer, den es hier gebe; er hat Biologie studiert und kann
alle Pflanzen und Tiere mit ihren lateinischen Namen benennen (siehe dazu auch das
Photoalbum mit Bildern von den Pflanzen und Tieren im Nationalpark). Erst
vor einer Woche war er mit einer Expedition der BBC im Park unterwegs.
Wir haben Glück und können eine Familie seltener Vögel (Wachteln)
beobachen, Mama, Papa und 3 Kinder, sie laufen eine Weile auf dem Weg
vor uns her, weil sie nicht kapieren, daß seitlich
weglaufen/wegfliegen besser funktionieren würde. Sie beeilen sich sehr
(was sehr witzig aussieht) und sind doch nicht schneller als
wir. Einer nach dem anderen kommen sie dann doch auf die Idee, zur
Seite auszuweichen.
Nach einiger Zeit sehen wir eine der Campsites, die es in dem Park
gibt: zwei strohgedeckte Hütten in einiger Entfernung. Unser Ziel ist
jedoch eine weitere Campsite. Auf ein paar schönen, flachen
Granitfelsen mitten im
Riambavy-Fluß (Riam = Fluß, Bavi =
weiblich; der Zufluß zum linken, weiblichen Wasserfall) machen wir
Mittagspause. Wir essen unsere Sandwiches, unsere Begleiter essen
Baguette mit Ölsardinen aus der Dose. Elisabeth hebt die leere Dose
sorgfältig auf, als Spielzeug für ihre Enkel. Die Pause wird durch
eine herannahende Regenfront abrupt beendet. Elisabeth hat noch nicht
mal eine Regenjacke dabei, nur eine Fließjacke und ihr Kopftuch! Und
ihre Schuhe (immerhin hat sie welche, im Gegensatz zu einem der beiden
Täger) sitzen so schief, daß mir jedesmal schon vom hingucken die Füße
weh tun. Adrien und Lul tragen Badelatschen. Kurze Zeit später
erreichen wir unsere
Campsite, zwei längliche Hütten
mit Feuerstellen in der Mitte, etwas abseits eine Dusch-Hütte und ein
Klohäuschen, sogar mit einem richtigen Klobecken aus Plastik (zum
Hinstellen) und einem Wasserschlauch für die Spülung, die funktioniert
allerdings im Moment nicht.
Adrien macht erst mal Feuer, das tut gut, weil es hier doch recht kühl
ist, immerhin sind wir auf 2050m. Die Träger kommen kurze Zeit später
an, das Huhn hängt kopfüber an einer der Tragekonstruktionen: dicke
Stangen, die sie sich über die Schultern legen, an jedem Ende ein großer
Sack mit Zeug. Die Porter setzen erst mal Essen auf: Reis mit Zebu,
natürlich, es ist ihr Mittagessen. Es wird in Alutöpfen aus
Ambatolampy zubereitet. Wir kauen an den Resten von unseren
Baguette. Es gibt Tee, allerdings ohne Teebeutel, da keiner daran
gedacht hat, welche einzupacken: heißes Wasser mit Zucker. Schmeckt
erstaunlich gut. Derweile trocknet Adrien unsere Matratzen am Feuer,
sie sind in dem Regenguß etwas naß geworden. Ja, sie haben richtige
dicke Matten für uns als Unterlage dabei, einfach Isomatten gibt's
hier entweder nicht oder sie sind nicht gut genug für die verwöhnten
Touristen. Adrien erzählt von einer Truppe, wo er für 16 Touristen 40
Träger brauchte, sie hätten noch dickere Matratzen gehabt und
massenhaft Bierkisten.
Die Gipfel hinter dem Camp sind in den Wolken versteckt.
Die Porter bauen die Zelte auf: eins für Frank und mich, und eins für
Adrien und Lul; sie selber und Elisabeth werden mit ihren dünnen
Wolldecken am Feuer in der Hütte schlafen. Die arme Elisabeth friert
in ihrer durchweichten Kleidung ziemlich. Wir schauen uns ein bißchen
die Umgebung an. Es hat hier im August einen Buschbrand gegeben, und
überall sieht man verbrannte Büsche. Die bilden einen krassen Kontrast
mit den weißen, flauschigen Samenständen der
Melastomaceae, die
hier überall herumstehen, und den frischen grünen Blättern. Direkt
neben der Hütte ist ein Bach mit einem kleinen Wasserfall, er dient
als Trinkwasserquelle und Spülbecken in einem. Am frühen abend bringt
Fahd unser Huhn um, daß seine letzten Stunden in einer Ecke der Hütte
verbacht hat. Ruck-Zuck ist es gerupft und ausgenommen, ich hab noch
nicht mal mehr ein Foto machen können. Die Porter rösten den Darm
über dem Feuer und essen ihn. Dann wird das Huhn gekocht.
Später am Abend kommt ein weiterer Träger an, der mit einem belgischen
Touristen unterwegs ist; der kommt allerdings mit seinem Führer erst
kurz vor Einbruch der Dunkelheit ein. Den Belgier kennen wir schon von
gestern, er hatte gefragt, ob er sich uns anschließen könnte; wir
hatten keine Einwände, aber Patrick meinte, wir hätten schließlich
viel Geld für die Reise bezahlt und ein Recht darauf, das Auto und den
Führer für uns alleine zu haben. Außerdem wollte der Belgier schon am
nächsten Tag wieder zurück und nich erst nach zwei Tagen.
Erst als wir das Huhn – mit Reis, natürlich – mit
Zwiebel-Tomatensoße und die halbe Ananas zum Nachtisch vollständig
aufgegessen haben (was ganz schön schwierig ist, denn es waren riesige
Portionen, und das "only a litlle bit more, please" scheint Fahd nicht
vestanden zu haben), machen sich die Porter und Guides selber was zu
essen (Zebu mit Reis). Jeder von ihnen ißt gut das doppelte von dem,
was wir verdrückt haben, obwohl sie auch schon ein reichliches
Mittagessen gehabt hatten. Den Rest des Abends verbringen wir in
gemütlicher Unterhaltung. Adrien erzählt, warum er und seine Porter
MIG-Piloten sind: Zur Zeit des kalten Krieges hatten die Russen ein
paar MIGs in Madagaskar stationiert, um malegassische Piloten
auszubilden. Nach den Übungsflügen verkauften die Piloten das noch im
Tank vorhandene Kerosin, um sich was dazuzuverdienen. Als die Russen
abzogen, ging das natülich nicht mehr, und statt dessen verkauften die
Piloten dann das Alu, aus dem die Flugzeuge waren, an die
Topffabrik. Deswegen sind jetzt alle Köche in Madagaskar quasi
MIG-Piloten.
Der Porter des Belgiers hat eine Cola-Flasche voller Rum
dabei, was Adrien sehr freut, denn er hatte schon mit Bedauern
festgestellt, daß er den Rum vergessen hatte. Der erste Schluck wird
den Geistern geopfert, die in einer Ecke der Hütte wohnen: Adrien
spricht ein Gebet auf malegassisch und schüttet einen Schluck Rum in
die Ecke. Er bittet die Geister um gutes Wetter und Sonnenschein für
den nächsten Tag. Dann trinken alle. Elisabeth beschwert sich über die
Geisterbeschwörung, weil ihre Familie aus Reisbauern besteht und sie
für die Felder eher Regen als Sonne brauchen.
Ich frage Patrick später nach den Geistern, und er erklärt sofort, daß Adrien sehr gut und erfahren darin sei, die Geister um Hilfe zu bitten, und daß seine Gäste deswegen oft gutes Wetter hätten. Adrien hat hinten an seinem Hut ein in Sisal gewickeltes Päckchen Kräuter befestigt; die genaue Mischung ist ein Geheimnis des jeweiligen Beschwörers und trägt maßgeblich zum Erfolg der Gebete bei.
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um 20 nach 4. Draußen wird es
ganz langsam hell, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Alle anderen
Reisegruppen (gestern spät am Abend kamen noch welche) schlafen noch
tief und Fest. Die Porter haben schon heißes Wasser (=Tee) und Kaffee
aufgesetzt und servieren uns Baguette mit Marmelade. Sie selber essen
natürlich Reis mit Zebu (dafür könnte ich langsam wirklich einen
Textbaustein gebrauchen). Gerade als die Sonne die Bergspitzen über
uns rosa anstrahlt, brechen wir auf zum Pic Boby. Es ist keine Wolke
am Himmel zu sehen. Der Gipfel liegt auf 2635m und es soll etwa 2
Stunden dauern, ihn zu erreichen. Wozu diese Hektik am frühen Morgen?
Das werden wir noch sehen. Adrien und Elisabeth begleiten uns, der
Rest wartet an der Hütte auf unsere Rückkehr. Der Weg führt am Fuß
einer großen Felswand entlang, und wir haben das Glück, dort zwei
ring-tailed lemurs (
Lemur catta) zu beobachten, die sich in der Morgensonne
wärmen. Adrien demonstriert wieder einmal seine umfangreichen
Kenntnisse der Flora und weist auf jede Orchidee (sein Spezialgebiet)
hin, an der wir vorbeikommen (und das sind viele).
Der Weg führt
stetig aufwärts, durch die ulkigsten Granit-Felsformationen, über
einen
Sattel und eine Mini-Hochebene zum
Pic Boby. Außer den Pflanzen sind die vielen Tausenfüßler erwähnenswert,
die auf dem Weg und auf den Steinen herumlaufen. In Felslöchern sind
viele Pfützen un Tümpel. Je näher wir dem Gipfel kommen, desto kühler
wird es, und oben weht ein schniediger Wind. Dementsprechend vermummt
sehen wir auf dem Gipfelfoto aus. Wir haben ja wenigstens die
Regenjacken, aber Elisabeth friert in ihrer Fließjacke ziemlich. Wir
suchen uns alle bald windgeschützte Plätze in der Sonne. Die Aussicht
ist nach allen Seiten phantastisch: nach Westen wie eine
Mondlandschaft, trockene Berghänge bis zum Horizont. Nach Osten kann
man zurück auf Ambalavao schauen, nach Norden und Süden erstrecken
sich Granitfelsen mit den unmöglichsten Formen. Der Weg zum Gifpel hat
weniger als zwei Stunden gedauert. Oben drauf ist ein großer
Steinhaufen; es gab auch einen zweiten, der aber bei dem großen Zyklon
m Januar umgestürzt ist.
Gipfelfoto. Von links: Adrien, Frank, Elizabeth, Ute.
Auch hier opfert Adrien nochmal etwas Rum,
den er extra dafür mitgenommen hat: er spricht das Gebet und gießt den
Rum auf den Steinhaufen. Wieder schimpft Elisabeth. Es gibt auch ein
Gipfelbuch, wie in den Alpen, und wir tragen uns natürlich ein
(genauer gesagt, es gibt eine Blechkiste mit losen Zetteln drin, und
wir müssen unser eigenes Papier benutzen, um unseren Eintrag zu
machen; auch Adrien und Elisabeth schreiben etwas. Gerade als wir
beschließen, wieder mit dem Abstieg zu beginnen, ziehen Wolken auf,
und in Kürze ist der ganze Gipfel eingehüllt. Kurz darauf treffen wir
den Belgier und seinen Führer, und auch die anderen Touristen - Adrien
ist eben wirklich der Beste, denn wir konnten noch die Sonne genießen
(auch wenn 4:20 uhr wirklich sehr früh ist zum Aufstehen).
Am Gipfel ziehen Wolken auf.
Als wir wieder im Camp sind, packen wir das restliche Gepäck
(Schlafsäcke, Wasservorrat für tagsüber) ein und essen etwas Baguette
mit Käse. Der Käse, eine Art Brie, ist Made in Egypt und hat einen
sehr patenten Öffnungsmechanismus für die einzelnen
Tortenstückchen. Wir brechen dann bald wieder auf, während die Träger,
genau wie gestern, erst noch in Ruhe das Gepäck
zusammenpacken. Inzwischen brennt die Sonne ziemlich runter, es ist
warm und hat akute Sonnenbrandgefahr. Jetzt geht es auf einer Höhe
etwa Richtung Westen, zu einer Landschaft, die sich "Full Moon"
nennt. Wir überqueren den Quellfluß des männlichen
Wasserfalles. Zunächst überqueren wir eine Hochebene, die von einer
Mauer umgeben ist und früher als Zebu-Weideplatz diente. Hier hat in
Alter Zeit ein Zebuhirte seinen Hut verloren, erzählt Elisabeth, und
man sieht ihn noch heute herumliegen - wir hätten den ulkigen Stein
beinahe übersehen, weil wir direkt daneben standen!
Ungefähr hier
holen uns die Porter ein und sie marschieren ohne Pause gleich
weiter. Auf der anderen Seite dieser Eben beginnt eine Mondlandschaft
aus Granit, deswegen heißt es Full Moon. Kaum Pflanzen
wachsen hier, Schatten gibt es auch kaum, nur durch die bizarren
Felsbildungen. Mitten drin machen wir Mittagspause in der
Sonne. Verdammt warm heute. Gut, daß wir so viel Wasser dabei
haben. Lul ist ziemlich geschafft, und sie kühlt ihre Füße in jeder
verfügbaren Pfütze – manchmal haben Badelatschen auch Vorteile.
Gromphadorhina portentosa
Weiter geht's, immer noch sehen wir neue exotische Pflanzen und
fotogene Felsformationen, soviele Fotos wie heute hab ich glaub ich im
ganzen Jahr bisher nicht gemacht. Endlich öffnet sich die
Mondlandschaft und gibt den Blick auf ein breites Tal frei. Gegenüber
ist eine 600m hohe Granitwand, die El Capitan durchaus Konkurrenz
machen kann. Adrien erzählt, daß hier auch viele Touristen zum
Klettern her kommen. Wir begnügen uns mit dem handlichen
Boulderfelsen vor unserer Nase, sehr zum Schrecken von
Elisabeth, die fürchtet, daß wir uns beim Stürzen den Schädel
einschlagen könnten – man braucht kein malegassisch zu können, um zu
verstehen, was sie meint. Und eigentlich hat sie Recht: schon ein
verstauchter Knöchel wäre hier ziemlich unpraktisch. Glaube kaum, daß
man hier einfach so einen Rettungshubschrauber rufen kann (Adrien und
Lul haben allerdings Handys dabei).
Blick ins Tal auf das nächste Camp.
Dann geht's ins Tal runter. Wie auch am Pic Boby sind hier überall
recht komfortable Stufen aus Steinen gebaut worden. Wir treffen auf
zwei junge Männer, die uns entgegen kommen; Adrien spricht kurz mit
ihnen und erzählt, sie wären heute schon 70km gelaufen und hätten noch
weitere 20 vor sich - kaum zu glauben! Wir können bald schon die
zweite Campsite sehen – eine Wiese, die sehr idyllisch an
einem Fluß liegt. Hier wachsen wieder Palmen und alles sieht sehr
schön tropisch aus. Diesmal haben wir die Campsite ganz für uns
alleine. Leider ist es recht windig hier und die Hütte nicht wirklich
winddicht. Jetzt ziehen auch Wolken auf. Nur auf den Felsen und in den
Pools am Fluß ist es noch warm. Die Pools enthalten leider außer dem
warmen Wasser noch jede Menge Ungeziefer, und angedenk der Warnung mit
der Bilharziose in stehenden Gewässern ist dann doch noch ein Bad im
klaren, kalten Fluß angesagt – Brrr! Dann schnell wieder in die
Klamotten und für eine Tasse heißes Zuckerwasser zurück in die
Hütte. Als wir reinkommen, springen die Porter und Elisabeth, die in
ihre Decken gewickelt ums Feuer gekauert waren, auf wie aufgeschreckte
Kaninchen und bieten uns sofort die besten Plätze an. Sie setzen auch
gleich Teewasser auf. Natürlich kocht auch ihr [Textbaustein] schon
wieder in dem Alutopf. In Adriens Abwesenheit (er schläft im Zelt)
tauen die Porter etwas auf und sie sprechen doch mehr Englisch, als
wir bisher wußten: "What is your name?" - "Frank." - "Do you need more
alcohol, Frank?".
Irgendwann kommen Adrien und Lul wieder aus ihrem Zelt und wir finden,
daß es Zeit für unser Abendessen wird. Sofort wird das Zebu zugunstens
des Spaghetti-Wassers vom Feuer genommen und in der Pfanne eine
leckere Soße mit Tomaten, Zwiebeln und Corned Beef zubereitet. Die
Spaghetti sind super, genau richtig al dente, was aber nichts daran
ändert, daß 500g für zwei Personen einfach VIEL zuviel sind. Erst als
die Porter sicher sind, daß wir wirklich nichts mehr essen (können),
teilen sie den Rest unter sich auf: "Der Vorteil von Spaghetti
gegenüber Reis ist, daß sie keine Steinchen enthalten." Danach essen
die anderen natürlich trotzdem noch ihre Riesenportion Reis mit
Zebu. Wie sie das Zebu (das war ja schon von Anfang an tot) bis
hierher eßbar-frisch gehalten haben, ist mir ein Rätsel.
Kurz nach Einbruch der dunkelheit (halb acht) verkrümeln wir uns ins
Zelt.
Man kann tatsächlich mitten in der Nacht ausgeschlafen aufwachen, wenn
man früh genug ins Bett geht. Genau wie gestern gibt's um 4:30 Uhr
Frühstück, Adrien und Lul kommen etwas später. Zeltabbau, aufräumen
und zusammenpacken bleibt wieder den Trägern überlassen. Elisabeth
verabschiedet sich hier von uns; sie muß zurück in ihr Dorf, und sie
geht sie denselben Weg zurück durch den Nationalpark. Es wäre für sie
alleine zu weit und zu gefährtlich, mit uns nach Vitsoaka und von dort
mit dem Taxi Brousse nach Ambalavao und dann zu Fuß in ihr Dorf zu
gehen. Wir machen uns auf den Weg weiter ins Tal, der großen
Granitwand entgegen. Laut Adrien haben wir 5 Stunden Zeit für die 25km
bis dahin, wo Patrick uns abholt, und dementsprechend legt er ein ganz
schönes Tempo vor. Allerdings hat er Zeit, unterwegs noch ein paar
interessante Pflanzen zu zeigen: die
Hyperace luxana (die gibt's bei google nicht, aber ich hab keine Idee, wie man das sonst buchstabieren könnte. Bin für alle sachdienlichen Hinweise dankbar) hat eine
exotische Blüte.
Heteropogon contortus ist ein unscheinbares trockenes Zeug,
aber wenn man einen einzelnen Halm anfeuchtet (Spucke), rollt er sich
plötzlich ein. Die Pflanze benutzt dieses Mechanismus, um ihre Samen in die Erde einzubuddeln, wenn's regnet.
Im Dorf
Andasy, daß wir als nächstes erreichen, müssen
wir noch unsere Nationalpark-Ticket-Nummern in ein Buch eintragen,
quasi als Beweis, daß wir heil wieder herausgekommen sind. Man könnte
ja von einem Wildschwein oder einem wilden Zebu angefallen worden
sein. Am ersten Abend im Camp gab es wegen dieser Tickets eine Diskussion zwischen Adrien und Elisabeth; ein Ticket war verloren gegangen und in den Eingang einer Wildschwein-Höhle gefallen (wenn ich das richtig verstanden haben). Adrien hatte Angst vor den Schweinen und hat es deswegen nicht wiedergeholt; Elisabeth hatte mehr Angst von einer eventuellen Kontrolle, wenn wir das Ticket nicht vorzeigen könnten, und wollte deswegen unbedingt zurückgehen und es holen. Letztendlich blieb das Ticket aber da, wo es war, und wir wurden nicht kontrolliert.
Zwischen
Reisfeldern und Zebu-Weideflächen geht es weiter. während wir am
frühen morgen noch im Schatten der Berge wandern konnten, hat uns
jetzt, in der Talmitte, die Sonne eingeholt und es wird sehr warm. Der
Weg führt parallel zum Fluß Somandao das Tal runter, an den Dörfern
Morarano,
Ambalamatsinto und
Andonaka vorbei, eine Piste entlang, die auch zu den
Kletter-Capms geht (Camp Katta und
Tsara Camp). Die
Porter überholen uns, allerdings nehmen sie im Tal eine Abkürzung, bei
der sie durch den Fluß, angeblich brusthohes Wasser, waten müssen --
wieder etwas, was uns Touris nicht zugemutet werden kann, wir nehmen
dem Umweg über die Autobrücke. Adrien weist uns auf das größte
Chamäleon der Welt hin, eine Felsformation an einem Berggipfel. Die
Kliffs sehen aus der Nähe viel weniger spektakulär aus als gestern,
aber wir kommen nicht direkt an ihrem Fuß vorbei. Dafür sehen wir
einige Hütten, die zu den Hotels und Camps der Kletterer gehören.
Endlich am Ziel. Von links: Fahd, Raoul, Frank, Ute, Lul, Adrien
Tatsächlich erreichen wir Punkt 10:30 Uhr
Vitsaoka, wo
Patrick schon auf uns wartet. 21km, sagt das GPS, zu einer Uhrzeit, wo
andere Leute gerade mit dem Frühstück anfangen. Nichts wie raus aus
den Stiefeln! Wir warten noch auf Raoul und Fahd, die im Dorf Pause
gemacht und sich für die Rückfahrt im Taxi Brousse in Schale geworfen
haben: sie tragen frische T-Shirts. Frank schenkt ihnen seine Stiefel
und seinen Schlafsack (nur um dann von Patrick zu hören, daß sie die
Sachen vermutlich nie benutzen werden, weil es ihnen zu schwer ist,
soviel eigene Ausrüstung mit sich rumzuschleppen, wenn sie schon den
schweren Kram der Touristen tragen müssen). Naja, der gute Wille
zählt, gefreut haben sie sich jedenfalls. Wir machen noch ein
Gruppen-Abschiedsfoto, und dann fährt Patrick mit uns davon. Zuerst mal müssen wir auf der staubigen Straße zurück bis zur
Nationalstraße N7, und dann geht's weiter zum
IsaloNationalpark.
Ein Teil der Fotos (C) by Frank Spychalski